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BVerfG Beschluss vom 12.11.1998 - 2 BvR 1838/98

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Verfahrensgang

Bayerischer VGH (Beschluss vom 19.10.1998; Aktenzeichen 10 ZS 98.2537)

VG München (Beschluss vom 31.08.1998; Aktenzeichen M 17 S 98.3622)

 

Tenor

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

 

Gründe

Der minderjährige Beschwerdeführer begehrt die vorläufige Außervollzugsetzung seiner Ausreisepflicht, die durch seine Abschiebung in die Türkei aus der Untersuchungshaft vollzogen werden soll. Gegen die Durchsetzung seiner Ausreisepflicht, die aufgrund der Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist, hatte er zuvor vergebens die Fachgerichte um Eilrechtsschutz angerufen. Nur dies und nicht die in einem anderen Verfahren erfolgte Ausweisung ist Gegenstand des hier zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellten Eilverfahrens. Ebensowenig können andere in der öffentlichen Diskussion erhobene Einwände gegen eine Abschiebung des Beschwerdeführers, die weder im fachgerichtlichen Verfahren noch mit der Verfassungsbeschwerde vorgetragen worden sind, Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung sein.

I.

Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes hat die einstweilige Anordnung auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren die Aufgabe, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern; sie soll auf diese Weise dazu beitragen, Wirkung und Bedeutung einer erst noch zu erwartenden Entscheidung in der Hauptsache zu sichern und zu erhalten (vgl. BVerfGE 42, 103 ≪119≫). Gemäß dieser Sicherungsfunktion ist im Rahmen eines Verfassungsbeschwerde-Verfahrens kein Raum für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, wenn für die Verfassungsbeschwerde die Annahmevoraussetzungen des § 93a BVerfGG nicht gegeben sind (vgl. dazu BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫). Letzteres ist hier der Fall.

Da die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG für eine weitere Begründung der Verfassungsbeschwerde (§§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG) noch offen ist, erfolgt eine Entscheidung über die Annahme der Verfassungsbeschwerde erst nach Ablauf dieser Frist.

II.

1. Inwiefern der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs rechtsfehlerhaft sein und infolgedessen gegen das Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verstoßen könnte, wirkungsvollen Rechtsschutz zu erlangen, legt die Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend dar. Die Verfassungsbeschwerde verkennt insoweit insbesondere, daß der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Beschwerdezulassung gerade keine eigene Sachentscheidung trifft – dies ist dem Beschwerdeverfahren selbst vorbehalten – und im Rahmen der Beurteilung des Beschwerdezulassungsgrundes nach § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur – beschränkt auf die geltend gemachten ernstlichen Zweifel am angegriffenen erstinstanzlichen Beschluß – eine eingeschränkte Sachprüfung vornehmen kann.

2. Mit ihren bisherigen Ausführungen ist die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts München bereits nach dem Grundsatz der Subsidiarität dieses außerordentlichen Rechtsbehelfs unzulässig (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).

a) Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangene gerichtliche Entscheidungen. Deshalb bestehen zunächst durchgreifende Bedenken gegen die Zulässigkeit unter dem Gesichtspunkt der Rechtswegerschöpfung (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG), soweit das Hauptsacheverfahren ausreichende Möglichkeiten bietet, den behaupteten Grundrechtsverletzungen abzuhelfen. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich (allein) auf die Hauptsache beziehen (vgl. BVerfGE 77, 381 ≪401≫; 86, 15 ≪22 f.≫ m.w.N.). Daher ist der Beschwerdeführer mit seinen Ausführungen dazu, daß ihm ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis – unter welchem grundrechtlichen Gesichtspunkt auch immer – zustehe, zunächst auf den Hauptsacherechtsweg zu verweisen. Im Eilverfahren wurde allein über die sofortige Vollziehbarkeit der mit der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis verbundenen Ausreisepflicht entschieden.

b) Soweit sich seine Grundrechtsrügen (auch) auf das Eilverfahren – also auf die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht bereits vor der rechtskräftigen Entscheidung über die Hauptsache – beziehen, geht es nur um ein kurzfristiges Verlassen des Bundesgebietes bis zu diesem Zeitpunkt, nicht aber um die Frage, ob dem Beschwerdeführer im Hinblick auf Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zusteht.

Grundrechtsverstöße, die sich gerade aus der Ablehnung des einstweiligen Rechtsschutzes ergeben sollen, werden vom Beschwerdeführer zwar auch gerügt; dies geschieht aber erstmals im Rahmen der Verfassungsbeschwerde, so daß der Zulässigkeit dieser Rügen gleichfalls unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität die mangelnde Ausschöpfung des eröffneten Rechtswegs (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) entgegensteht.

Es kann deshalb offen bleiben, ob die Fachgerichte hier bereits im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO als Voraussetzung für die sofortige Vollziehung der Bescheide das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses prüfen mußten, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (vgl. BVerfGE 35, 382 ≪401 f.≫; 38, 52 ≪58≫; 69, 220 ≪227 f.≫), oder ob sie den Beschwerdeführer insoweit auf ein anderes Verfahren (gegebenenfalls nach § 123 Abs. 1 VwGO in bezug auf Hinderungsgründe für den Vollzug der kraft Gesetzes bestehenden sofort vollziehbaren Ausreisepflicht) hätten verweisen dürfen oder ob veränderte Umstände eingetreten sind, die ihrerseits im Rahmen eines Verfahrens gemäß § 80 Abs. 7 VwGO beim Verwaltungsgericht geltend gemacht werden können. So kann etwa das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug noch vor einer Hauptsacheentscheidung nur schwerlich mit der Gefahr weiterer Straftaten des Beschwerdeführers schon in diesem Zeitraum begründet werden, nachdem er in Untersuchungshaft genommen wurde und seine Abschiebung nunmehr aus der Haft heraus erfolgen soll. Bedenken können sich aber auch im Hinblick auf die in § 50 Abs. 5 Satz 2 AuslG vorgesehene vorherige Ankündigung einer Abschiebung aus der Haft ergeben, und zwar einerseits wegen des nach der hier angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts am 4. September 1998 ergangenen Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs im Eilverfahren betreffend die Ausweisung und andererseits wegen der offenbar – jedoch ohne gesonderte Ankündigung – erfolgten Änderungen des für eine Abschiebung vorgesehenen Zeitpunktes (noch Anfang August 1998 sollte die Abschiebung erst nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft erfolgen, jetzt aber offenbar noch aus der Untersuchungshaft).

Ebenfalls kann offen bleiben, ob die in Anbetracht der für das Eilverfahren und das Hauptsacheverfahren geltenden unterschiedlichen gerichtlichen Prüfungsmaßstäbe bedenkenswerte Argumentation des Beschwerdeführers, bei einem in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Minderjährigen sei eine besonders gründliche Prüfung geboten, die in einem summarischen Eilverfahren gerade nicht erfolgen könne, in der Sache begründet ist. Diese Rüge hätte spätestens im Beschwerdezulassungsverfahren vorgebracht werden müssen und zwar etwa als Frage grundsätzlicher Bedeutung (§ 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), da sie sich spezifisch gerade auf das Eilverfahren bezieht.

c) Das Verwaltungsgericht hat die Ablehnung des begehrten vorläufigen Rechtsschutzes auf die offensichtliche Rechtmäßigkeit der zu vollziehenden Bescheide vom 24. Juli 1998 und vom 7. August 1998 gestützt. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen gegen einen Verwaltungsakt anzuordnen oder wiederherzustellen ist, beantwortet sich nach § 80 VwGO. Die Anwendung und Auslegung dieser einfachrechtlichen Bestimmung obliegt in erster Linie den dazu berufenen Fachgerichten (vgl. BVerfG ≪Vorprüfungsausschuß≫, Beschluß vom 11. Februar 1982 – 2 BvR 77/82 –, NVwZ 1982, S. 241 und vom 22. August 1983 – 2 BvR 1193/83 –, NVwZ 1984, S. 165; BVerfG ≪Vorprüfungsausschuß≫, Beschluß vom 15. Februar 1982 – 2 BvR 1492/81 –, DÖV 1982, S. 451, jeweils m.w.N.). Wenn die Gerichte Eilrechtsschutz ablehnen, weil sie den angegriffenen Verwaltungsakt aufgrund näherer Prüfung der Sach- und Rechtslage als aller Voraussicht nach rechtmäßig erachten, so daß die vom Beschwerdeführer in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfe erfolglos bleiben werden, ist dies grundsätzlich nicht zu beanstanden. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie einer gesetzlichen Anordnung des Sofortvollzuges im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Abwägung keine eigenständige Bedeutung beimessen. Denn auch bei einer solchen gesetzlichen Regelung kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung unter den gleichen Voraussetzungen in Betracht wie in Fällen, in denen eine entsprechende Regelung nicht gegeben ist (vgl. BVerfGE 69, 220 ≪229 f.≫). Daß das Verwaltungsgericht dies im vorliegenden Fall nicht beachtet haben könnte, ist nicht ersichtlich. Es hat die Frage der Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Bescheide in dem für eine Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen Umfang umfassend geprüft. Die vom Beschwerdeführer dagegen vorgebrachten Einwände bleiben der Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Osterloh, Sommer, Broß

 

Fundstellen

Haufe-Index 1276450

NVwZ 1999, 53

NVwZ 1999, 9

DVBl. 1999, 163

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