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BSG Urteil vom 30.01.1985 - 2 RU 1/84

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Jagdausübung. Jagdgast. Bejagung eines Fuchsbaues. Unfall beim Ausgraben des Fuchses

Orientierungssatz

1. Der Begriff der Jagdausübung ist den einschlägigen Vorschriften des Jagdrechts zu entnehmen, weil es einen hiervon unterschiedlichen sozialversicherungsrechtlichen Begriff der Jagdausübung nicht gibt (vgl BSG 15.12.1982 2 RU 5/82 = SozR 2200 § 542 Nr 2).

2. Das Freischaufeln der Röhren eines Fuchsbaues, um den Fuchs aufzuspüren, gehört für einen Jagdgast zur typischen Jagdausübung bei der Bejagung eines Fuchsbaues, so daß ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO ausscheidet.

Normenkette

RVO § 539 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1963-04-30; RVO § 539 Abs 2 Fassung: 1963-04-30; RVO § 542 Nr 3 Fassung: 1963-04-30; BJagdG

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 19.10.1983; Aktenzeichen L 17 U 223/82)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 13.07.1982; Aktenzeichen S 18 U 235/81)

Tatbestand

Der Ehemann der Klägerin - P.E.(E.)- ist bei einer Jagd auf Füchse in M. tödlich verunglückt. Nach Auffassung der Klägerin ist er einem Arbeitsunfall erlegen.

Der Ehemann der Klägerin, der beruflich als Dreher tätig war, galt als Spezialist für die Bejagung von Füchsen und besaß einen auf die Fuchsjagd abgerichteten Hund. Von dem Jagdpächter P. M. war er durch einen Mittelsmann gebeten worden, an der Bejagung eines Fuchsbaues teilzunehmen. Am 3. April 1981 trafen sich M. und der Ehemann der Klägerin, der seinen Freund G. mitgebracht hatte, an dem Fuchsbau, der sich tief in einer Böschung auf dem Gelände einer Ziegelei befand. Nachdem der Ehemann der Klägerin festgestellt hatte, daß er den Fuchs nicht mit dem Spaten ausgraben konnte, empfahl er M. und dem ebenfalls an der Jagd beteiligten B., auf den Fuchs anzusitzen. Daraufhin wurde die Jagd zunächst abgebrochen, jedoch wieder aufgenommen, als sich die Möglichkeit ergab, zum Ausheben des Fuchsbaues einen von S. geführten Bagger einzusetzen. Während M., B. und G. sich etwa zehn bis 15 m entfernt von der Grabungsstelle schußbereit aufhielten, wies der Ehemann der Klägerin den Baggerführer ein. Es wurde jeweils ein Stück aus der Böschung gebaggert, bis die Fuchsröhre nicht mehr zu sehen war. Alsdann gruben abwechselnd der Ehemann der Klägerin und G. mit dem Spaten weiter, um die Fuchsröhre freizulegen. Danach wurde wieder der Bagger eingesetzt. Diese Arbeiten zogen sich ein bis zwei Stunden hin, bis der Bagger wegen eines Defektes nicht mehr eingesetzt werden konnte. Als der Ehemann der Klägerin sich mit seinem Hund in der Grabungsstelle befand, um festzustellen, welche Röhre "befahren" war, brach Erdreich aus der Böschung und verschüttete ihn. Er konnte nur noch tot geborgen werden.

Die Beklagte lehnte eine Hinterbliebenenentschädigung mit der Begründung ab, der Ehemann der Klägerin sei als Jagdgast versicherungsfrei gewesen (Bescheid vom 27. August 1981). Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 13. Juli 1982). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung, mit der die Klägerin nur noch einen Anspruch auf Witwenrente geltend gemacht hat, durch Urteil vom 19. Oktober 1983 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt: Der Ehemann der Klägerin sei nicht einem Arbeitsunfall erlegen, da er im Unfallzeitpunkt weder als Jagdpächter noch als Beschäftigter des Jagdpächters versichert gewesen sei. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei er auch nicht wie ein nach § 539 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Versicherter tätig gewesen. Er habe vielmehr die Jagd aufgrund der vom Jagdausübungsberechtigten erteilten Jagderlaubnis als Jagdgast ausgeübt und sei somit nach § 542 Nr 3 RVO versicherungsfrei gewesen. Zur Jagdausübung gehöre auch das Aufsuchen und Nachstellen des Wildes (§ 1 Abs 4 des Bundesjagdgesetzes idF der Bekanntmachung vom 29. September 1976 -BJagdG- BGBl I 2849). Es sei deshalb unerheblich, daß sich die Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin ohne Mitführen einer Schußwaffe auf das Aufspüren und Ausgraben des Fuchses beschränkt habe, während das Abschießen dem Jagdpächter und den zwei anderen Jägern vorbehalten gewesen sei. Wie ein nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO Versicherter (§ 539 Abs 2 RVO) wäre der Ehemann der Klägerin nur bei untergeordneten Hilfsdiensten tätig geworden, zu denen zwar auch das Ausgraben von Fuchs- und Dachsbauten zu zählen sei. Die Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin habe sich jedoch aufgrund ihrer Aufgabenstellung und Ausgestaltung wesentlich von der mechanischen Tätigkeit eines Jagdgehilfen abgehoben. Er habe nicht nur ausgraben, sondern den Fuchs aufspüren und den Baggerführer sachkundig einweisen und anleiten sollen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, ihr Ehemann habe eine vorzugsweise mechanische Tätigkeit verrichtet, die ausschließlich dem Zweck gedient habe, den Fuchs auszugraben, nicht aber ihn zu erlegen. Er sei mit Hilfsdiensten betraut und damit wie ein versicherter Jagdgehilfe tätig gewesen (§ 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO).

Sie beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. Oktober 1983, das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13. Juli 1982 und den Bescheid der Beklagten vom 27. August 1981 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Hinterbliebenenrente nach dem am 3. April 1981 verstorbenen Ehemann P.E. aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß der Klägerin eine Witwenrente aus der Unfallversicherung nicht zusteht.

Eine Witwenrente ist bei Tod durch Arbeitsunfall zu gewähren (§ 589 Abs 1 Nr 3 iVm § 590 RVO). Arbeitsunfall ist ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 548 Abs 1 Satz 1 RVO). Der Ehemann der Klägerin hat keinen Arbeitsunfall erlitten. Er war bei seiner Tätigkeit im Unfallzeitpunkt weder nach § 539 Abs 1 Nr 5 iVm § 776 Abs 1 Nr 3 RVO als Jagdpächter noch nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses zum Jagdpächter M. gegen Arbeitsunfall versichert. Davon geht zutreffend auch die Klägerin aus. Entgegen ihrer Auffassung bestand aber auch kein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO. Der Ehemann der Klägerin ist nicht wie ein nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO Versicherter, sondern als Jagdgast tätig geworden, der nach § 542 Nr 3 RVO versicherungsfrei ist.

Versicherungsfrei in der Unfallversicherung sind ua Personen, die aufgrund einer vom Jagdausübungsberechtigten unentgeltlich oder entgeltlich erteilten Jagderlaubnis die Jagd ausüben (§ 542 Nr 3 RVO). In einem Klammerhinweis hat der Gesetzgeber diese Personen ausdrücklich als Jagdgäste bezeichnet. Die Tätigkeit der Jagdgäste ist nach dem Wortlaut des Gesetzes durch die Jagdausübung geprägt, an welcher sie in Wahrnehmung der Befugnisse des Jagdausübungsberechtigten beteiligt sind (s § 11 BJagdG, § 12 des Landesjagdgesetzes Nordrhein-Westfalen idF der Bekanntmachung vom 11. Juli 1978 -GVBl NRW S 318-; BSG SozR 2200 § 542 Nr 2). Der Begriff der Jagdausübung ist den einschlägigen Vorschriften des Jagdrechts zu entnehmen, weil es einen hiervon unterschiedlichen sozialversicherungsrechtlichen Begriff der Jagdausübung nicht gibt (BSG aaO mwN). Demgemäß erstreckt sich die Jagdausübung auf das Aufsuchen, Nachstellen, Erlegen und Fangen von Wild (§ 1 Abs 4 BJagdG). Zum Wild gehören nach der Definition des Gesetzes die dem Jagdrecht unterliegenden wildlebenden Tiere (§ 1 Abs 1 BJagdG). Für die Beantwortung der Frage, ob eine Jagdausübung anzunehmen ist oder nicht, kommt es somit darauf an, ob der Berechtigte jagdbares Wild aufsucht (zur Hege des Wildes s BSG SozR Nr 1 zu § 542 RVO), ihm nachstellt, es erlegt oder fängt (BSG SozR 2200 § 542 Nr 2). Auch der Fuchs (vulpes vulpes) unterliegt nach § 2 Abs 1 Nr 1 BJagdG dem Jagdrecht. Die Bejagung des Fuchsbaues mit dem Ziel, den Fuchs aufzuspüren und zu erlegen, ist damit Ausübung der Jagd.

Die im Urteil des LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind mit der Revision nicht angegriffen und deshalb für das Bundessozialgericht (BSG) bindend (§ 163 SGG). Danach hat der Ehemann der Klägerin aufgrund einer von dem Jagdausübungsberechtigten, dem Jagdpächter M., geäußerten Bitte an der Bejagung des Fuchsbaues teilgenommen. Er besaß somit die nach § 542 Nr 3 RVO erforderliche Jagderlaubnis, welche - da unentgeltlich erteilt - auch ohne Schriftform jedenfalls dann wirksam ist, wenn - wie hier - der Jagdausübungsberechtigte den Jagdgast begleitet (s § 11 Abs 1 Satz 3 BJagdG; § 12 Abs 1 und 3 des Landesjagdgesetzes Nordrhein-Westfalen; Hencke, Jagdrecht in Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl, § 12 LJG Anm 5). Der Unfall ereignete sich, als der Ehemann der Klägerin sich in Ausübung der Jagdberechtigung mit seinem Hund an der Grabungsstelle des Fuchsbaues befand, um festzustellen, welche Röhre "befahren" war. Der Ehemann der Klägerin ist demnach als Jagdgast bei der Jagdausübung verunglückt (§ 542 Nr 3 RVO). Wie das LSG zutreffend angenommen hat, steht dem hier nicht entgegen, daß der Ehemann der Klägerin anders als die anderen an der Jagd beteiligten Jäger keine Schußwaffe bei sich führte, weil ua auch das Aufsuchen und Nachstellen von Wild zur Jagdausübung gehört. Gerade für das im Verlauf der Jagdausübung für notwendig erachtete Ausgraben des Fuchsbaues als einer für die Art der Bejagung am Unfalltag notwendigen jagdlichen Mitwirkung bei der Erlegung des Fuchses war der Ehemann der Klägerin nicht nur als Arbeitshilfe oder als Hundebesitzer, sondern zur Unterstützung anderer Jagdberechtigter wegen seiner besonderen Erfahrungen und Kenntnisse als Jäger auf dem Gebiet der Fuchsjagd mit einem zum Aufspüren des Fuchses abgerichteten Hund zur Teilnahme an der Jagd ebenfalls als Jagdberechtigter eingeladen worden. Seine Eigenschaft als Jagdgast, die nach der Lage des Falles seiner Tätigkeit das entscheidende Gepräge gab (vgl BSG SozR Nr 19 zu § 539 RVO), schließt die Anwendung des § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO aus (BSG SozR Nr 19 zu § 539 RVO, Nr 1 zu § 542 RVO; BSG SozR 2200 § 542 Nr 2).

Die Revision ist insoweit anderer Auffassung und meint, der Ehemann der Klägerin sei wie ein aufgrund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses beschäftigter Jagdgehilfe tätig geworden, weil er eine "vorzugsweise mechanische Tätigkeit" arbeitsteilig mit dem Baggerführer beim Ausgraben des Fuchses verrichtet habe. Dieser Auffassung ist nicht zu folgen.

Versicherungsschutz besteht nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO für Personen, welche die Jagd im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses ausüben, zB als in dieser Weise beschäftigte Jagdgehilfen, Jagdaufseher oder Treiber (s BSG SozR Nr 19 zu § 539 RVO, Nr 3 zu § 542 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-9. Aufl, S 478t, 476q -jeweils mwN-; s auch BSGE 52, 89 zur Versicherung eines Unternehmers bei einer seinem nichtlandwirtschaftlichen Unternehmen dienenden Jagdausübung), und nach § 539 Abs 2 RVO sind gegen Arbeitsunfall ferner Personen versichert, die wie ein nach Abs 1 Versicherter tätig werden. Die Ausübung der Jagd durch Jagdgäste ist jedoch, obwohl sie auch von gemäß § 539 Abs 1 Versicherten durchgeführt werden kann, nach dem Willen des Gesetzgebers (§ 542 Nr 3 RVO) jedenfalls versicherungsfrei und damit von der Versicherungspflicht und dem Versicherungsschutz auch aufgrund des § 539 Abs 2 RVO ausgenommen (vgl ua BSG SozR Nr 19 zu § 539 RVO). Dies schließt zwar nicht aus, daß ein Jagdgast aufgrund des § 539 Abs 2 RVO versichert ist, wenn er eine Tätigkeit ausübt, die nicht mehr zur typischen Jagdausübung durch Jagdgäste gehört und sonst von einer in einem Beschäftigungsverhältnis stehenden Person verrichtet werden könnte (s BSG aaO; BSG SozR Nr 1 zu § 542 RVO; Brackmann aaO S 478u, 476q mwN). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Für die Abgrenzung von Tätigkeiten, die zur Jagdausübung gehören, und Tätigkeiten anderer Art, die von nicht mit der Jagdausübung befaßten Personen auch aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) verrichtet werden oder verrichtet werden könnten, ist eine "mechanische" oder "untergeordnete" Tätigkeit (s BSG SozR 2200 § 542 Nr 2) als Kriterium nicht geeignet. Soweit das Freischaufeln der Röhren, um den Fuchs aufzuspüren, als mechanische oder untergeordnete Tätigkeit angesehen werden kann, gehört sie jedenfalls für einen Jagdgast zur typischen Jagdausübung bei der Bejagung eines Fuchsbaues, so daß ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO ausscheidet.

Die Revision ist danach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.

Fundstellen

  • Dokument-Index HI1664551

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