Leitsatz (amtlich)
Das nach KGKG § 2 Abs 4 S 3 für das Jahreseinkommen maßgebende Jahr (das Kalenderjahr, für das die letzte Veranlagung zur Einkommensteuer durchgeführt ist), bleibt auch für eine Anwendung des KGKG § 2 Abs 4 S 1 so lange das Berechnungsjahr, bis dem Antragsteller ein neuer Steuerbescheid zugestellt ist.
Normenkette
KGKG § 2 Abs. 4 S. 3 Fassung: 1961-07-18, S. 1 Fassung: 1961-07-18
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 15. März 1962 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Kläger beantragte unter Vorlage des Einkommensteuerbescheides für 1959 am 4. September 1961 Zweitkindergeld ab 1. April 1961. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil das Jahre s einkommen des Klägers die Höchstgrenze von 7.200 DM (§ 2 des Kindergeldkassengesetzes vom 18. Juli 1961 - BGBl I 1001 - KGKG -) überschritten habe.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch und legte der Beklagten im Oktober 1960 den Einkommensteuerbescheid für 1960 vor, aus dem sich ergab, daß das zu versteuernde Jahreseinkommen die gesetzliche Jahreshöchstgrenze nicht überschritt. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück, da bei der ersten Antragstellung die letzte Veranlagung zur Einkommensteuer für das Jahr 1959 durchgeführt gewesen sei und daher vom Kalenderjahr 1959 als Berechnungsjahr im Sinne des KGKG ausgegangen werden müsse. Einen Wechsel im Berechnungsjahr könne sie erst ab Zustellung des neuen Steuerbescheides vornehmen und daher Zweitkindergeld erst ab 1. Oktober 1961 bewilligen.
Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte, dem Kläger für die Zeit vom 1. April bis 30. September 1961 Zweitkindergeld zu gewähren: Da der Kläger im Zeitpunkt seiner ersten Antragstellung nur den Steuerbescheid für 1959 vorlegen konnte, habe die Beklagte an sich zutreffend gemäß § 2 Abs. 4 Satz 3 i. V. m. § 2 Abs. 2 KGKG ihrer Prüfung das Berechnungsjahr 1959 zugrunde gelegt und wegen Überschreitung der Jahreseinkommensgrenze einen Anspruch auf Zweitkindergeld verneint. Jedoch müsse im vorliegenden Fall die Bestimmung des § 35 Satz 2 KGKG eingreifen, nach der ausnahmsweise für 1961 das Jahr 1960 als Berechnungsjahr zugrunde zu legen sei, falls ein Antrag auf Zweitkindergeld bis zum 31. Dezember 1961 gestellt würde. Wohl werde in § 35 Satz 2 KGKG wörtlich nur § 2 Abs. 4 Satz 1 , nicht auch Satz 3 KGKG aufgeführt, doch sei diese textliche Fassung der Bestimmung nach Meinung des Gerichts lückenhaft und lediglich auf ein gesetzgeberisches Versehen zurückzuführen. Da der Kläger seinen Antrag auch fristgerecht bis zum 31. Dezember 1961 unter Vorlegung des Steuerbescheides für 1960 wiederholt habe, sei ihm der Anspruch auf Zweitkindergeld rückwirkend ab 1. April 1961 zuzuerkennen gewesen.
Berufung wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits gemäß § 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen.
Die Beklagte legte mit Einwilligung des Klägers Sprungrevision ein und trägt vor: Bei Personen, die zur Einkommensteuer veranlagt würden, sei Berechnungsjahr im Sinne des KGKG gemäß § 2 Abs. 4 Satz 3 jeweils das Kalenderjahr, für das die letzte Veranlagung zur Einkommensteuer durchgeführt sei. Die Rechtfertigung dieser Bestimmung ergebe sich schon aus dem Umstand, daß mit Rücksicht auf die für die Abgabe der Einkommensteuererklärung geltenden Fristen eine Veranlagung für das nach § 2 Abs. 4 Satz 1 KGKG maßgebende Berechnungsjahr in der Regel noch nicht durchgeführt sei. Das nach § 2 Abs. 4 Satz 3 als Berechnungsjahr geltende Kalenderjahr - für das die letzte Veranlagung durchgeführt wurde - bleibe dies so lange, bis dem Steuerpflichtigen ein neuer Steuerbescheid zugestellt werden. Erst von da ab seien die sich aus dem neuen Steuerbescheid ergebenden Einkommensverhältnisse zu Gunsten oder zu Ungunsten des Berechtigten zu berücksichtigen. Ein früherer Wechsel des Berechnungsjahres sei nicht möglich und vom Gesetzgeber auch nicht gewollt. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut von § 2 Abs. 4 Satz 3 KGKG. Im Gegensatz zu der Meinung des SG könne § 35 KGKG auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht angewandt werden. Der Wortlaut dieser Bestimmung sei eindeutig und ausschließlich auf § 2 Abs. 4 Satz 1 KGKG bezogen, so daß eine erweiternde Auslegung auch auf Satz 3 nicht in Frage kommen könne.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
II.
Die Sprungrevision ist zulässig (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG) und begründet.
Nach § 1 KGKG haben Anspruch auf Zweitkindergeld Personen, deren Jahreseinkommen in dem Berechnungsjahr 7.200 DM nicht übersteigt, und zwar nach § 6 KGKG für jeden Monat, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wenigstens einen Tag bestanden haben.
§ 2 Abs. 4 KGKG bestimmt in Satz 1, daß Berechnungsjahr das vorletzte Kalenderjahr ist, soweit die Gewährung von Zweitkindergeld für die ersten 6 Monate eines Kalenderjahres in Betracht kommt, und für die übrigen Monate das letzte Kalenderjahr. Als Ausnahme von dieser Grundregel sieht Satz 2 vor, daß bei Zweitkindergeld für die ersten 6 Monate des Jahres auf Wunsch des Antragstellers das letzte Kalenderjahr Berechnungsjahr ist, wenn der Antrag erstmals in den ersten 6 Monaten eines Jahres gestellt wird. Satz 3 stellt - von Satz 1 und 2 abweichend - eine weitere Sonderregelung für alle diejenigen Personen auf, die zur Einkommensteuer veranlagt werden und für das an sich nach Satz 1 oder Satz 2 maßgebende Berechnungsjahr noch keinen Einkommensteuerbescheid erhalten haben. Er bestimmt, daß in diesen Fällen Berechnungsjahr immer dasjenige Jahr ist, für das die letzte Veranlagung durchgeführt wurde. Da das gesamte KGKG sich in seinen Bestimmungen eng an das Steuerrecht anlehnt, trägt dieser Satz 3 folgerichtig auch den Besonderheiten der üblichen Einkommensteuerveranlagung Rechnung und dem Umstand, daß mit Rücksicht auf die alljährlich ungefähr gleichen Steuererklärungstermine der Antragsteller nur selten oder fast nie den Veranlagungsbescheid für das an sich gemäß Satz 1 oder 2 maßgebende Berechnungsjahr zur Verfügung haben wird. Insoweit hat der Gesetzgeber bewußt und eindeutig eine Differenzierung der Grundlagen der Anspruchsprüfung bei Lohnsteuerpflichtigen einerseits und Einkommensteuerpflichtigen andererseits in Kauf genommen und festgelegt (vgl. Lauterbach/Wickenhagen "Die Kindergeldgesetzgebung", Anm. 8 zu § 2 KGKG). Aus § 6 KGKG ergibt sich weiter in Verbindung mit den §§ 1 und 2 des Gesetzes, daß ein Anspruch auf Zweitkindergeld frühestens in dem Monat entstehen kann, in dem ein dafür günstiger Steuerbescheid ergeht, d. h. dem Anspruchsberechtigten bezw. Steuerpflichtigen zugestellt, zumindest aber vom Finanzamt erteilt wird. Zu einem früheren Zeitpunkt kann von einer "Veranlagung" nach allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen noch nicht gesprochen werden.
Da der Kläger bei seinem ersten Antrage auf Zweitkindergeld am 4. September 1961 den Steuerbescheid für 1960 unstreitig noch nicht besaß, sondern ihn erst im Oktober 1961 erhielt, konnte er ihn somit erst bei seinem Widerspruch am 23. Oktober 1961 vorlegen. In seinem Fall war demnach Berechnungsjahr im Sinne des § 2 Abs. 4 Satz 3 KGKG für die Zeit vom 1. April bis zum 30. September 1961 das Jahr 1959, nämlich dasjenige Kalenderjahr, für das er bei Antragstellung den zuletzt erhaltenen Steuerbescheid vorweisen konnte, die "letzte Veranlagung" im Sinne des Gesetzes.
Die Übergangsbestimmung des § 35 KGKG vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Nach ihr wird das Zweitkindergeld für die Zeit vom 1. April 1961 ab gewährt, wenn der Antrag bis zum 30. Juni 1962 gestellt worden ist (Satz 1); Berechnungsjahr ist für das Jahr 1961 abweichend von § 2 Abs. 4 Satz 1 das Jahr 1960 (Satz 2). Entgegen der Auffassung des SG erscheint es nicht angebracht, diese Übergangsregelung auf alle von dem Gesetz erfaßten Personen, Fälle oder Fallgruppen auszudehnen, vor allem deshalb nicht, weil tatsächliche Gegebenheiten ihrer praktischen Durchführung entgegenstehen oder diese noch zusätzlich erschweren würden, statt den Anlauf des Gesetzes zu erleichtern. Die Erschwerung würde wenigstens bei den 1961 gestellten Anträgen eintreten, weil immer dort, wo noch kein Steuerbescheid für 1960 vorlag, vor seinem Erhalt ein Antrag auf Zweitkindergeld überhaupt nicht hätte gestellt werden dürfen oder, falls doch gestellt, ohne Vorlage der Veranlagung für 1960 nicht entscheidungsreif gewesen wäre. Mit Rücksicht auf die relativ lange Übergangsfrist bis zum 30. Juni 1962 hätte jedoch jedem Einkommensteuerpflichtigen freigestanden, ohne Nachteile erst den Steuerbescheid für 1960 abzuwarten und sodann ab 1. April 1961 Zweitkindergeld zu beantragen. In diesem Falle wäre gemäß § 2 Abs. 4 Satz 3 oder auch Satz 1 zweite Hälfte KGKG automatisch das Jahr 1960 Berechnungsjahr gewesen, und es hätte einer Übergangsregelung nicht bedurft. Abgesehen hiervon ist jedoch auch der Wortlaut des § 35 Satz 2 KGKG so eindeutig, in sich folgerichtig, dem Sinn und Zweck des Gesetzes entsprechend und auch mit seiner Entstehungsgeschichte und dem in ihr zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers übereinstimmend, daß im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofes von einem "Redaktionsfehler" des Gesetzgebers nicht ausgegangen werden darf und eine ausdehnende Auslegung von Satz 2 auch auf § 2 Abs. 4 Satz 3 KGKG ausscheidet (vgl. z. B. BVerfG 1, 299, 312; 10, 234, 244; 11, 126, 130 sowie BGHZ 23, 377, 390; 33, 321, 330). Im übrigen besagt schon die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 36 - jetzt § 35 - KGKG dasselbe wie später der Wortlaut des § 35 KGKG selbst (vgl. Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, Drucksache Nr. 2648); der zuständige Bundestagsausschuß hat sie insoweit übernommen.
Zusammenfassend ist also festzustellen, daß die Beklagte in ihren beiden vom Kläger angefochtenen Bescheiden zu Recht für die Zeit vom 1. April bis zum 30. September 1961 das Jahr 1959 als Berechnungsjahr zugrunde legte und, da der Kläger in ihm die Jahreseinkommensgrenze von 7.200 DM überschritten hatte, einen Anspruch auf Zweitkindergeld für diese 5 Monate verneinte. Das Urteil des SG ist deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen