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BSG Urteil vom 06.02.1958 - 8 RV 449/56

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Leitsatz (amtlich)

1. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben bei Klagen gegen Zuungunstenbescheide das Recht zugrunde zu legen, das zur Zeit des Erlasses eines solchen Bescheides gegolten hat.

2. Erweisen sich die Voraussetzungen der Bescheiderteilung als unzutreffend, so kann ein Zuungunstenbescheid dann nicht erteilt werden, wenn die Gewährung von Versorgung aus anderen Gründen gerechtfertigt ist.

3. Die Erschießung eines Grenzgängers ohne Anruf durch russische Soldaten im Oktober 1945 an der Zonengrenze stellt auch bei illegalem Grenzübertritt einen Willkürakt dar und ist eine unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne der BVG §§ 1 Abs 2 Buchst a 5 Abs 1 Buchst d.

Leitsatz (redaktionell)

1. Die bindende Wirkung des Bescheides bezieht sich auf den bescheidmäßigen Ausspruch zB, daß Hinterbliebenenrente zusteht. Die Feststellungen, die diesen Ausspruch tragen, nehmen an der bindenden Wirkung nur teil, weil der Ausspruch nicht für sich allein, sondern durch den ihn tragenden Sachverhalt erläutert bindend wird.

Letzterer ist für die bindende Wirkung von so untergeordneter Bedeutung, daß die Beseitigung eines bindenden Bescheides sich nur auf den bescheidmäßigen Ausspruch bezieht. Ergibt sich also, daß zwar die Voraussetzungen der Bescheiderteilung unzutreffend sind, der Bescheid aber aus anderen Gründen zutreffend ist, so ist für eine Beseitigung der bindenden Wirkung kein Raum, weil der in erster Linie bindend gewordene Bescheidausspruch nicht beseitigt zu werden braucht, um die wirkliche Sachlage mit der Rechtslage übereinstimmen zu lassen.

2. § 41 VerwVG gilt nicht für die im Zeitpunkt seines Inkrafttretens (1.4.1955) noch nicht abgeschlossenen Streitfälle.

3. Ein Berichtigungsbescheid hat grundsätzlich keine Dauerwirkung.

Normenkette

BVG § 1 Abs. 2 Buchst. a Fassung: 1950-12-20; BVG § 5 Abs. 1 Buchst. d Fassung: 1953-08-07; KOVVfG § 41 Fassung: 1955-05-02; KBLG BY Art. 30 Abs. 4

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 16. März 1956 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat den Klägerinnen die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

Gründe

Das Versorgungsamt bewilligte den Klägerinnen durch die Bescheide vom 6. Juni 1951 und 7. Juni 1951 Hinterbliebenenrente seit dem 1. Dezember 1949 nach dem Bayerischen Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG) und seit dem 1. Oktober 1950 nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), nachdem die Klägerin zu 1.) in ihrem Antrag vom 7. Dezember 1949 angegeben hatte, ihr Ehemann Paul D... der Vater der Klägerin zu 2.), sei nach der Entlassung aus der Wehrmacht auf dem Weg zu seiner Familie beim Überschreiten der Zonengrenze erschossen worden. Wie das Versorgungsamt später ermittelte, hatte sich Paul D... nach der Kapitulation im Jahre 1945 bei seiner nach Bayern geflüchteten Familie aufgehalten. Im Herbst 1945 begab er sich in die sowjetische Besatzungszone Deutschlands, um zurückgelassenes Flüchtlingsgut und Ausweispapiere zu holen. Am 31. Oktober 1945 wurde er unmittelbar an der Grenze zwischen der russischen und amerikanischen Besatzungszone auf bayerischem Gebiet erschossen aufgefunden. Daraufhin hob das Versorgungsamt durch den Bescheid vom 8. Januar 1952 die Rentenbewilligungsbescheide vom 6. und 7. Juni 1951 auf, lehnte den Antrag auf Versorgung ab und forderte die gezahlte Rente zurück, weil sich die Angaben im Rentenantrag als unzutreffend erwiesen hätten. Paul D... habe die Reise in die sowjetische Besatzungszone Deutschlands im Herbst 1945 auf eigene Gefahr unternommen. Der auf der Rückreise eingetretene Tod sei daher nicht die Folge einer Schädigung im Sinne des Art. 1 Abs. 1 KBLG und des § 1 Abs. 5 BVG.

Die Berufung der Klägerinnen nach altem Recht blieb erfolglos. Auf ihren Rekurs nach früherem Recht, der nach § 215 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Berufung auf das Bayerische Landessozialgericht übergegangen ist, hat dieses das Urteil des ersten Rechtszuges und den Zuungunstenbescheid des Versorgungsamts aufgehoben. Es hat festgestellt, Paul D... sei bei dem Versuch, die Zonengrenze zu überschreiten, durch russische Soldaten getötet worden, ohne vorher zum Stehenbleiben aufgefordert zu sein. Das Landessozialgericht hat ausgeführt: wenn auch der zur Rentenbewilligung führende Sachverhalt unzutreffend gewesen sei, so sei doch nach Art. 30 Abs. 4 KBLG die Entziehung der Hinterbliebenenrente nicht gerechtfertigt gewesen; der Tod des Paul D... sei die Folge einer unmittelbaren Kriegseinwirkung im Sinne des § 2 Abs. 1 Buchst. d und e der Durchführungsverordnung (DurchfVO) vom 1. Mai 1949 zum KBLG (GVBl. 1949 S. 113) und des § 5 Abs. 1 Buchst. d und e BVG. Die Erschießung durch russische Soldaten sei ein Gewaltakt, der sich nicht durch das unbefugte Überschreiten der Zonengrenze rechtfertigen lasse. Man könne D... auch kein bewußt fahrlässiges Verhalten vorwerfen. Wesentlich für seinen Tod sei letztlich der Willkürakt der russischen Besatzungsmacht. Das Landeszentralgericht hat die Revision zugelassen.

Der Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Er rügt insbesondere die Verletzung der Art. 1, 30 Abs. 4 KBLG, des § 2 der DurchfVO vom 1. Mai 1949 zum KBLG und der §§ 1, 5 BVG. Dem Anspruch der Klägerinnen sei die bisherige materielle Rechtsgrundlage entzogen worden, nachdem sich zweifelsfrei herausgestellt habe, daß der Tod nicht auf dem Heimweg aus der Kriegsgefangenschaft eingetreten sei. Das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, daß der Tod D... durch einen schädigenden Vorgang oder durch eine nachträgliche Auswirkung kriegerischer Vorgänge im Sinne der angeführten Vorschriften anzusehen sei. Eine mit der Besetzung deutschen Gebiets zusammenhängende besondere Gefahr habe nicht vorgelegen, weil die Besetzung im Zeitpunkt der Schädigung abgeschlossen gewesen sei und weil ein unbefugtes Überschreiten von Grenzen zu allen Zeiten und in allen Ländern notfalls mit der Waffe verhindert würde. Die Bewachung der Zonengrenze sei auch nicht als eine nachträgliche Auswirkung kriegerischer Vorgänge, die einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen haben (§ 5 Abs. 1 Buchst. e BVG), anzusehen. Nehme man aber das Vorliegen einer unmittelbaren Kriegseinwirkung an, so bestehe deshalb kein Versorgungsanspruch, weil dem eigenverantwortlichen Verhalten des Verstorbenen eine so große Bedeutung zukomme, daß demgegenüber die Schädigung völlig zurücktrete.

Die Klägerinnen beantragen,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG). Sie ist daher zulässig.

Das angefochtene Urteil ist unter anderem auf Vorschriften des Bayer. KBLG gestützt. Dieses ist mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) nach dessen Art. 125 Nr. 1 Bundesrecht geworden (BSG. 1 S. 56 [59]). Die §§ 2, 5 Abs. 1 der DurchfVO vom 1. Mai 1949 zum KBLG, die das Landessozialgericht weiter angewendet hat, sind Vorschriften, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt (§ 162 Abs. 2 SGG), weil sie mit den §§ 2, 4 Abs. 1 der Dritten DurchfVO vom 23. Juli 1949 (RegBl. S. 212) zum Württ. -Badischen KBLG inhaltlich übereinstimmen. Infolgedessen sind alle diese Vorschriften revisibles Recht im Sinne des § 162 Abs. 2 SGG.

Die zulässige Revision ermöglicht es daher, das angefochtene Urteil in vollem Umfange nachzuprüfen. Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.

Das Landessozialgericht hat die Rechtmäßigkeit des Zuungunstenbescheides vom 8. Januar 1952 nach der Sach- und Rechtslage zur Zeit seines Erlasses geprüft und verneint, obgleich der zu dieser Zeit geltende Art. 30 Abs. 4 KBLG vor der Verkündung des angefochtenen Urteils durch § 41 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) ersetzt worden ist. Um zu entscheiden, welche der beiden Vorschriften angewendet werden muß, ist zunächst zu prüfen, ob nach dem zeitlichen Geltungswillen des VerwVG dessen § 41 für noch nicht abgeschlossene Streitfälle gilt.

Hinsichtlich des zeitlichen Geltungswillens für § 47 VerwVG hat das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung entschieden (vgl. statt anderen BSG. 3 S. 234 ff. [237], 5 S. 267 ff. [268]), daß das Gesetz die materiell-rechtlichen Bestimmungen seines § 47 auf anhängige Fälle angewendet wissen wollte. Dieser zeitliche Geltungswille ergibt sich einerseits aus der umfassenden und erschöpfenden Regelung einer bis dahin gesetzlich nicht geregelten, sondern durch die Rechtsprechung nach langjährig entwickelten Grundsätzen entschiedenen Materie, und andererseits aus der in § 52 niedergelegten allgemeinen Sofortwirkung. Im Gegensatz dazu übernimmt § 41 VerwVG den Grundgedanken einer bis dahin bestehenden gesetzlichen Regelung und ermächtigt die Verwaltungsbehörde zu einer erneuten Bescheiderteilung. Für diese Vorschrift können die zu § 47 VerwVG angestellten Erwägungen daher nicht Platz greifen. Da sonach das neue Recht nicht kraft gesetzlicher Regelung anzuwenden ist, bleibt weiter zu untersuchen, ob es auch deshalb unanwendbar ist, weil der angefochtene Zuungunstenbescheid keine Dauerwirkung hatte und deshalb seinem Wesen nach durch spätere Ereignisse nicht berührt werden konnte.

Der Beklagte hatte hier den auf dem Ableben des Ehemanns der Klägerin zu 1.) und den damit zusammenhängenden Umständen beruhenden Versorgungsanspruch durch die beiden Bescheide vom 6. und 7. Juni 1951 gestaltet und für die Zukunft so lange geregelt, als die Berechtigung zum Bezuge von Hinterbliebenenrenten begründet blieb. Er hatte also Bescheide mit Dauerwirkung erlassen. Durch den angefochtenen Zuungunstenbescheid vom 8. Januar 1952 wurden die beiden Bescheide aufgehoben, weil die wirkliche Sachlage mit der in ihnen angenommenen nicht übereinstimmte. Der Zuungunstenbescheid zerstörte die Dauerwirkung der beiden Rentenbescheide für die Zukunft und machte gleichzeitig für die Vergangenheit den Bezug der Renten zu einem ungerechtfertigten. Er äußerte mit seinem Erlaß mehrere Rechtswirkungen und erschöpfte sich mit ihnen; eine Dauerwirkung hatte er nicht. Seinem Wesen nach konnte er durch spätere Ereignisse nicht mehr berührt werden, so daß er auch von einer Änderung der maßgebenden gesetzlichen Vorschrift nicht ohne weiteres betroffen wurde (im Ergebnis übereinstimmend BSG. 1 S. 56, 3 S. 251, 5 S. 246 [247], Urteile vom 26.6.1957 - 8 RV 121/55 - und 17.9.1957 - 9 RV 146/54 -; außerdem BVerwG. 1 S. 35, 2 S. 55, sowie Bettermann NJW. 1958 S. 81 ff. [84]).

Hiernach hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung zutreffend Art. 30 Abs. 4 KBLG zugrunde gelegt. Nach dieser Vorschrift konnte ein Bescheid zu Ungunsten des Berechtigten nur dann aufgehoben werden, wenn sich die Voraussetzungen der Bescheiderteilung als unzutreffend erwiesen hatten. Diese Befugnis ist eine dem Recht der Kriegsopferversorgung eigentümliche Möglichkeit für den Versorgungsträger, nachträglich, und zwar rückwirkend auf den Zeitpunkt der bisherigen Rentenfeststellung, die wirkliche Sachlage mit der Rechtslage in Übereinstimmung zu bringen. Er gestattet eine Durchbrechung der bindenden Wirkung von Verwaltungsbescheiden und rührt damit an die Grundlagen der Rechtssicherheit. Infolgedessen darf diese Vorschrift nur in den engsten Grenzen angewendet werden (BSG. 1 S. 56 [60]; Urteil vom 26. Juni 1957 - 8 RV 121/55 -).

Die bindende Wirkung des Bescheides bezieht sich auf den bescheidsmäßigen Ausspruch - im vorliegenden Fall die Erklärung, daß Hinterbliebenenrenten zustehen. Die Feststellungen, welche diesen Ausspruch tragen, nehmen an der bindenden Wirkung nur teil, weil der Ausspruch nicht für sich allein, sondern durch den ihn tragenden Sachverhalt erläutert bindend wird. Letzterer ist für die bindende Wirkung von so untergeordneter Bedeutung, daß die Beseitigung eines bindenden Bescheides sich nur auf den bescheidsmäßigen Ausspruch bezieht. Es kann nicht genügen, daß sich die zunächst festgestellten Voraussetzungen für die Bescheiderteilung als unzutreffend erweisen, vielmehr muß die Unrichtigkeit dieser Voraussetzungen auch bei Berücksichtigung der neu ermittelten Tatsachen den bescheidsmäßigen Ausspruch unrichtig machen. Ergibt sich also, daß zwar die Voraussetzungen unzutreffend, der Bescheid aber aus anderen Gründen zutreffend ist, so ist für eine Beseitigung der bindenden Wirkung kein Raum, weil der in erster Linie bindend gewordene Bescheidsausspruch nicht beseitigt zu werden braucht, um die wirkliche Sachlage mit der Rechtslage übereinstimmen zu lassen. Deshalb hat das Landessozialgericht zu Recht geprüft, ob die Bescheide vom 6. und 7. Juni 1951, nachdem ihre ursprüngliche Voraussetzung sich als unzutreffend erwiesen hat, aus anderen Gründen aufrechterhalten werden können.

Das Versorgungsamt hat in den Bescheiden vom 6. Juni 1951 und 7. Juni 1951 den Klägerinnen Hinterbliebenenrente bewilligt, weil es den Tod des Ehemannes der Klägerin zu 1.) als Leistungsgrund im Sinne des Art. 1 Abs. 1 KBLG bzw. als Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG angesehen hat. Diese Vorschriften umfassen nicht nur Schädigungen, die anläßlich militärischen oder militärähnlichen Dienstes eingetreten sind, sondern auch solche, die durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung eingetreten sind. Zwar ist das Versorgungsamt auf Grund der Angaben der Klägerin zu 1.) davon ausgegangen, daß ihr Ehemann auf dem Heimweg von der Kriegsgefangenschaft beim Überschreiten der russisch-amerikanischen Zonengrenze von Grenzposten der russischen Besatzungsmacht erschossen worden ist. Es hat aber auch geprüft, ob dieser Sachverhalt als unmittelbare Kriegseinwirkung angesehen werden kann, und hat dies bejaht. Es hat somit eine Schädigung auf dem Heimweg von der Kriegsgefangenschaft und eine unmittelbare Kriegseinwirkung als Versorgungsgrund der Rentenbewilligung zugrunde gelegt. Wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, ist auch auf Grund des nachträglich ermittelten Sachverhalts der Hinterbliebenenrentenanspruch von der Antragstellung ab begründet gewesen. Das Landessozialgericht hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, der Ehemann der Klägerin zu 1.) habe sich im Herbst 1945 zu einer in Sachsen wohnenden Verwandten begeben, um Flüchtlingsgut und Ausweispapiere, die er dort zurückgelassen hatte, abzuholen. Auf dem Rückweg nach Hof/Bayern sei er beim unbefugten Überschreiten der sowjetisch-amerikanischen Zonengrenze von russischen Wachtposten erschossen und am 31. Oktober 1945 unmittelbar an der Grenze auf bayerischem Gebiet aufgefunden worden. Er sei von den Grenzposten vor der Abgabe der tödlichen Schüsse nicht zum Stehenbleiben aufgefordert worden.

Diese von der Revision nicht angegriffenen, daher das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 163 SGG) erfüllen den Tatbestand des § 2 Abs. 1 Buchst. d der DurchfVO vom 1. Mai 1949 zum KBLG und des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG. Hiernach gelten als unmittelbare Kriegseinwirkung schädigende Vorgänge, die u.a. infolge einer mit der militärischen Besetzung deutschen Gebiets zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten sind. Allerdings genügt, wie der 8. Senat im Anschluß an BSG. 2 S. 99 (103) und 4 S. 234 (236). bereits entschieden hat, ein Zusammenhang des schädigenden Vorgangs mit der Besetzung allein nicht; vielmehr muß der schädigende Vorgang durch eine Gefahr verursacht sein, die der militärischen Besetzung deutschen Gebiets im zweiten Weltkrieg unter Berücksichtigung ihrer zeitlichen und örtlichen Besonderheiten eigentümlich war. Denn die Einfügung des Wortes "besonderen" vor dem Wort "Gefahr" bedeutet eine Einschränkung des zu berücksichtigenden Gefahrenkreises. Gefahren, die ihrer Art nach etwa in ähnlicher Weise hätten eintreten können, wenn das Deutsche Reich nicht besetzt gewesen wäre oder wenn eine deutsche Verwaltung fortbestanden hätte, sollten als Versorgungsgrund ausgeschlossen werden, selbst wenn im Einzelfall ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Besetzung und einem schädigenden Vorgang vorliegt (Urteil des 8. Senats vom 26.4.1957 - BSG. 5 S. 116 [118/119] - und vom 26.6.1957 - 8 RV 31/56 -). Die militärische Besetzung deutschen Gebiets hat mancherlei Gefahren für Leib und Leben der Zivilbevölkerung mit sich gebracht. Zu den damit zusammenhängenden besonderen Gefahren sind in erster Linie Gewalttätigkeiten und Willkürakte gegen Einzelpersonen zu rechnen. Ein solcher Willkürakt liegt hier vor.

Nach der Kapitulation im Jahre 1945 wurde Deutschland innerhalb seiner Grenzen, wie sie am 31. Dezember 1937 bestanden, für Besatzungszwecke in vier Zonen aufgeteilt (vgl. die Feststellung seitens der Regierungen Amerikas, Englands, Frankreichs und der Sowjetunion vom 5.6.1945 - Amtsbl. des Kontrollrats (KR.) in Deutschland, Ergänzungsbl . Nr. 1 S. 11 -). Das Überschreiten dieser Grenzen war der deutschen Zivilbevölkerung verboten. Interzonenpässe wurden von den Militärregierungen erst von Ende 1946 ab zunächst nur zum Zwecke des Interzonenhandels und erst vom Frühjahr 1947 ab auch für dringende Reisen privater Art ausgestellt (vgl. Kontrollratsdirektiven Nr. 43 vom 29.10.1946 und Nr. 49 vom 23.4.1947 - Amtsbl. des KR. S. 215, 274). Trotz dieses Verbots wurden die Zonengrenzen in der damaligen Zeit in sehr vielen Fällen von Deutschen ohne Genehmigung der Militärregierungen überschritten. Wenn dabei Grenzgänger festgenommen, längere Zeit festgehalten und bestraft wurden, so ist darin nur eine allgemeine Gefahr zu erblicken, weil diese in etwa derselben Weise hätte eintreten können, wenn deutsche Behörden den Grenzverkehr zu regeln gehabt hätten. Willkürakte von Angehörigen der Besatzungsstreitkräfte gegen Deutsche, die beim unbefugten Überschreiten der Zonengrenzen angetroffen wurden, sind aber schädigende Vorgänge, die infolge einer mit der Besetzung deutschen Gebiets zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten sind. Die Erschießung des Ehemannes der Klägerin zu 1.) durch Grenzposten der russischen Besatzungsmacht ist als ein solcher Willkürakt anzusehen, weil er wegen der Übertretung des Verbots nicht in einem normalen Verfahren zur Rechenschaft gezogen, sondern - ohne daß er von den Grenzposten zum Stehenbleiben aufgefordert worden war - erschossen worden ist.

Zwar hat er dadurch, daß er unbefugt die Zonengrenze überschritten hat, selbst eine Bedingung für seinen Tod gesetzt. Der Willkürakt der russischen Grenzposten hat aber entgegen der Ansicht der Revision eine so überragende Bedeutung, daß er allein als die wesentliche Ursache für den Eintritt des Todes und damit allein als die Ursache im Rechtssinn anzusehen ist (vgl. BSG. 1 S. 72 [76] und S. 150 [156, 157]). Hiernach ist der Tod des P. D. als Folge einer unmittelbaren Kriegseinwirkung im Sinne des Art. 1 Abs. 1 KBLG i.V. mit § 2 Abs. 1 Buchst. d der DurchfVO vom 1. Mai 1949 zum KBLG und § 1 Abs. 2 Buchst. a i.V. mit § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG anzusehen.

Aus diesen Gründen standen die durch die Bescheide vom 6. Juni 1951 und 7. Juni 1951 bewilligten Hinterbliebenenrenten den Klägerinnen zu, wenngleich ihr Ehemann bzw. Vater nicht auf dem Heimweg von der Kriegsgefangenschaft getötet worden ist. Die Renten konnten ihnen daher nicht nach Art. 30 Abs. 4 Satz 1 KBLG entzogen werden. Das Berufungsgericht hat deshalb mit Recht das Urteil des Oberversicherungsamts vom 20. November 1952 und den Zuungunstenbescheid des Versorgungsamts vom 8. Januar 1952 aufgehoben. Die Revision des Beklagten war daher als unbegründet zurückzuweisen. (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Fundstellen

  • Haufe-Index 2340682
  • BSGE , 288
  • NJW 1958, 1062

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