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BGH Urteil vom 20.03.1995 - II ZR 198/94

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Leitsatz (amtlich)

›a) Wird in einem Schriftsatz auf bestimmte Unterlagen Bezug genommen, ohne daß diese beigefügt worden sind oder nachgereicht werden, so werden sie nicht - auch nicht durch Bezugnahme i.S. von § 137 Abs. 3 ZPO - Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

b) Das Berufungsurteil beruht dann nicht auf diesem Mangel, wenn der Wortlaut der in den Unterlagen enthaltenen entscheidungserheblichen Ausführungen, auf die sich eine Partei bezieht, in dem entsprechenden Schriftsatz zitiert oder in anderen zu den Akten gelangten Unterlagen enthalten ist.‹

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf

OLG Düsseldorf

 

Tatbestand

Der Kläger macht gegen den Beklagten einen Schadenersatzanspruch von 49.329,-- DM geltend. Diesem Begehren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger war Inhaber von 567 Aktien der G. Aktiengesellschaft mit Sitz in Gr. Diese war durch den Eintritt von Umsatzverlusten und aufgrund von Pensionszusagen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Auf der für den 3. Februar 1989 einberufenen Hauptversammlung zeigte der Vorstand an, daß nach der vorläufigen Jahresbilanz per 31. Dezember 1988 das Grundkapital der Gesellschaft von 49,9165 Mio. DM um mehr als die Hälfte unterschritten war. Er legte der Hauptversammlung gleichzeitig ein mit den Gesellschaftsgläubigern abgesprochenes Sanierungskonzept vor, nach dem diese auf Forderungen in Höhe von ca. 78 Mio. DM zu verzichten bereit waren. Zum weiteren Ausgleich der Bilanz per 31. Dezember 1988 sollte das Grundkapital im Verhältnis 5 : 2 um 29,9499 Mio. DM auf 19,9666 Mio. DM herabgesetzt werden. Ferner sollte ein genehmigtes Kapital von 9,9833 Mio. DM geschaffen werden.

Die Kapitalherabsetzung scheiterte, weil sich dafür nicht die nach dem Gesetz erforderliche Mehrheit fand. Dem vorgeschlagenen genehmigten Kapital stimmte die Hauptversammlung mit der erforderlichen Mehrheit zu.

Der Vorstand beantragte daraufhin am 4. Februar 1989 die Eröffnung des Vergleichsverfahrens. Auf Antrag des Vergleichsverwalters wurde am 28. Februar 1989 über das Vermögen der Gesellschaft das Anschlußkonkursverfahren eröffnet.

Die Aktien der G. AG, die vor der Hauptversammlung bei einem Nennwert von 50,-- DM noch Kurse bis zu 87,-- DM erreicht hatten, sanken in der Zeit vom 7. bis 16. Februar 1989 auf 61,-- DM. Sie wurden anschließend wertlos.

Der Beklagte ist Herausgeber des "E.-Spiegel" und maßgeblich an der Aktiengesellschaft beteiligt, die diese Zeitschrift verlegt. In ihr berichtete er auch über die Entwicklung der Verhältnisse bei der G. AG. Er vertrat die Ansicht, das von der Verwaltung vorgeschlagene Sanierungskonzept benachteilige einseitig die Kleinaktionäre. Bei einem weitergehenden Forderungsverzicht der Gläubigerbanken reiche eine Kapitalherabsetzung im Verhältnis 10: 9 aus. Er warb bei den Aktionären darum, ihn für die Hauptversammlung vom 3. Februar 1989 mit dem Ziel mit der Stimmrechtsausübung zu bevollmächtigen, gegen die geplante Herabsetzung des Grundkapitals im Verhältnis 5 : 2 zu stimmen.

In der Hauptversammlung vom 3. Februar 1989 stimmte der Beklagte, der mit 209.700 Stimmen 39,17 % der an der Abstimmung beteiligten Stimmen vertrat, gegen den Kapitalherabsetzungsvorschlag der Verwaltung.

Der Kläger, der dem Beklagten keine Stimmrechtsvollmacht erteilt hatte, macht diesen für das Scheitern der Sanierung der G. AG verantwortlich. Der Konkurs dieser Gesellschaft sei allein auf die Ablehnung der von der Verwaltung vorgeschlagenen Kapitalherabsetzung im Verhältnis 5 : 2 durch den Beklagten zurückzuführen, die von den Gesellschaftsgläubigern als unabdingbare Voraussetzung für den Erlaß der Schulden in Höhe von 78 Mio. DM aufgestellt gewesen sei. Das habe seinen Aktienbesitz vollständig entwertet.

Die Klage hatte vor Landgericht und Oberlandesgericht keinen Erfolg. Mit der - zugelassenen - Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

I. Die Revision rügt, es könne nicht festgestellt werden, welchen Sachverhalt das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt habe. Es habe im Tatbestand auf "die zu den Akten gereichten Unterlagen" Bezug genommen. In den Entscheidungsgründen habe es im Zusammenhang mit der Erörterung der Überschuldung der Gesellschaft auf eine vorläufige Konzernbilanz zum 31. Dezember 1988 verwiesen, auf die sich der Beklagte in der Berufungserwiderung als Anlage B 2 bezogen habe. Ferner habe das Berufungsgericht bei der Prüfung der Frage, ob die Zusage über den Forderungsverzicht der Gläubiger unabdingbar von der Herabsetzung des Grundkapitals im Verhältnis 5 : 2 abhängig gewesen sei, im Hinblick auf Äußerungen des Vorstandsvorsitzenden zu der in Aussicht genommenen Kapitalerhöhung auf die Ausführungen verwiesen, die in der Berufungserwiderung als Anlage F 11 angeführt seien. Bei der Prüfung, ob dem Kläger ein Schadenersatzanspruch aus § 826 BGB zustehe, habe es seitenlang auf Ausführungen verschiedener Personen verwiesen, die angeblich in dem Tonbandprotokoll enthalten seien. Der Beklagte habe sich darauf in der Berufungserwiderung als Anlage B 7 bezogen.

Diese Anlagen befänden sich jedoch nicht bei den Akten. Da ihr Inhalt weder im Urteil noch in den Akten niedergelegt worden sei, könne in der Revisionsinstanz nicht nachgeprüft werden, ob das Berufungsgericht die in Bezug genommenen Akten zu Recht herangezogen und zutreffend beurteilt habe.

II. Die Rüge der Revision hat Erfolg.

1. Die von der Revision aufgeführten Unterlagen sind zwar in der Berufungserwiderung des Beklagten vom 17. Dezember 1993 zitiert, jedoch nicht mit diesem Schriftsatz überreicht worden. Die Anlagen B 2 und B 7 sind Bestandteil des Anlagenhefters mit den Anlagen B 0 bis B 7, das in dem vor dem Senat rechtshängigen Verfahren B. ./. H. - II ZR 144/94 (OLG Düsseldorf - 7 U 123/93; LG Düsseldorf - 7 O 324/92) mit dem Schriftsatz des Beklagten vom 17. Juni 1992 eingereicht worden ist und sich bei diesen Akten befindet. Die Anlage F 11 gehört zu dem Anlagenkonvolut F 1 bis F 28, das mit der Berufungsbegründung des Klägers vom 5. Mai 1993 in dem vor dem Senat rechtshängigen Verfahren V. ./. H. - II ZR 141/94 (OLG Düsseldorf - 7 U 67/93; LG Düsseldorf - 7 O 79/92) zu den Gerichtsakten gelangt und noch vorhanden ist. Auf die genannten Anlagen wird bereits in den von dem Beklagten eingereichten Berufungserwiderungen vom 28. Juni 1993 (OLG Düsseldorf - 7 U 67/93) und 6. September 1993 (OLG Düsseldorf - 7 U 123/93), die mit der Berufungserwiderung vom 17. Dezember 1993 des vorliegenden Verfahrens wörtlich übereinstimmen, Bezug genommen. Weder in den von den Parteien in der ersten Instanz gewechselten Schriftsätzen noch in der Berufungsbegründung des Klägers dieses Verfahrens werden diese Anlagen genannt.

Daraus folgt, daß sie nicht zu den Akten des vorliegenden Verfahrens gelangt sind.

Da die Akten, deren Bestandteil die genannten Anlagen sind, auch weder von dem Landgericht noch dem Berufungsgericht beigezogen worden sind, sind sie auch nicht auf diesem Wege Gegenstand des Akteninhalts geworden.

Unter diesen Umständen sind sie nicht - auch nicht durch Bezugnahme (vgl. §§ 137 Abs. 3, 131 Abs. 1 ZPO) - zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung (§ 128 Abs. 1 ZPO) geworden. Sie durften daher im Berufungsurteil auch nicht in Bezug genommen und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden.

2. Das Berufungsurteil beruht auch auf diesem Verfahrensfehler (§§ 549, 563 ZPO). Denn die Möglichkeit, daß das Berufungsgericht ohne diesen Verfahrensfehler zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, kann revisionsrechtlich nicht ausgeschlossen werden. Das trifft auf die Anlagen F 11 und B 7 zu.

a) Soweit die Revision rügt, daß der Entscheidung die Ausführungen des Vorstandsvorsitzenden der G. AG zugrunde gelegt worden sind, ohne daß die dazu in Bezug genommene Anlage vorgelegen hat, ist dieser Gesichtspunkt für die Entscheidung der Frage erheblich, ob die Entscheidung der Gläubiger, Schulden in Höhe von ca. 78 Mio. DM zu erlassen, unabdingbar von einer Herabsetzung des Kapitals im Verhältnis 5 : 2 abhängig war. Denn das Berufungsgericht führt aus, die von dem Beklagten befürwortete Herabsetzung im Verhältnis 5 : 3 habe keine Gefährdung der Gläubigerinteressen herbeiführen können. Insoweit hält es für wesentlich, daß nach den Erklärungen des Vorstandsvorsitzenden die durch eine Kapitalerhöhung zu gewinnenden Mittel der Gesellschaft nicht sofort zugeführt zu werden brauchten, also nach Ansicht des Vorstandes die Fortführungsprognose positiv war. Zwar sind die diesbezüglichen Ausführungen auszugsweise in der Berufungserwiderung zitiert. Das Berufungsgericht bezieht sich jedoch auf S. 20-22 des Tonbandprotokolls. Daraus ist ersichtlich, daß die Auszüge nicht den gesamten, vom Berufungsgericht berücksichtigten Wortlaut wiedergeben. Sie können somit dem Kläger auch nicht die vollständige, dem Beklagten und dem Berufungsgericht zugängliche Information über den Wortlaut der Rede des Vorstandsvorsitzenden, auf den sich das Berufungsgericht bezogen hat, vermitteln. Die Entscheidung kann demnach nicht mit der Begründung aufrechterhalten werden, dem Kläger seien die betreffenden Ausführungen aus einer anderen ordnungsgemäß in den Prozeß eingeführten Quelle zur Kenntnis gebracht worden (vgl. für den Fall der Rückgabe entscheidungserheblicher Unterlagen nach Beendigung der Tatsacheninstanz BGHZ 80, 64, 67).

b) Die Berücksichtigung der Anlage B 2 war allerdings nicht entscheidungserheblich, weil sie den Kläger nicht beschwert. Das Berufungsgericht geht nur für den Fall von einer positiven Fortführungsprognose aus, daß der Gesellschaft Schulden in Höhe von 78 Mio. DM durch die Gläubiger erlassen werden. Wie die Prognose ohne Schuldenerlaß zu stellen gewesen wäre, läßt es offen. Es kommt unter Abwägung verschiedener Umstände zu dem Ergebnis, daß sich an der bei Berücksichtigung eines Schuldenerlasses zu stellenden positiven Fortführungsprognose mit der Ablehnung der Kapitalherabsetzung im Verhältnis 5 : 2 durch den Beklagten nichts geändert hat, weil die vorgeschlagene Kapitalherabsetzung nicht "conditio sine qua non" für den Schuldenerlaß gewesen sei. Wäre das Berufungsgericht entsprechend den Vorstellungen der Revision auch für den Fall des Schuldenerlasses von einer negativen Fortführungsprognose ausgegangen, hätte das Verhalten des Beklagten für den Eintritt des vom Kläger behaupteten Schadens nicht mehr ursächlich werden können. Die Klage hätte bereits aus diesem Grunde abgewiesen werden müssen.

c) Soweit die Revision rügt, das Berufungsgericht habe die Ausführungen einer Reihe von Teilnehmern der Hauptversammlung bei der Entscheidung der Frage berücksichtigt, ob der Beklagte nach § 826 BGB haftet, ist auch dieser Verfahrensfehler entscheidungserheblich. Auf diese Äußerungen stützt das Berufungsgericht seine Überzeugung, daß sich die Beteiligten noch um eine angemessene Lösung der Sanierungsfrage bemühten, so daß der Beklagte nicht sittenwidrig gehandelt habe.

Auch hier kann nicht davon ausgegangen werden, daß dem Kläger die Einzelheiten der berücksichtigten Beiträge auf andere Weise im Prozeß bekannt geworden sind. Denn ihr Inhalt ist in der Berufungserwiderung nur teilweise wiedergegeben worden. Dem Kläger ist damit keine genaue und umfassende Beurteilung der Beiträge möglich.

III. Das Berufungsurteil war wegen dieses Verfahrensfehlers daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Soweit die zitierten Anlagen von den Parteien nunmehr in das Verfahren eingeführt werden, wird das Berufungsgericht im wesentlichen die Grundsätze zu beachten haben, die der Senat in den übrigen Parallelverfahren seinen Entscheidungen vom selben Tage zugrunde gelegt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993333

NJW 1995, 1841

BGHR ZPO § 128 Abs. 1 Verfahrensfehler 1

BGHR ZPO § 549 Abs. 1 Beruhen 3

DRsp IV(412)227Nr. 1 (Ls)

WM 1995, 1292

MDR 1996, 196

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