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BGH Urteil vom 03.07.1978 - II ZR 54/77

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückständige Gesellschafterbeiträge, Abwicklung, Darlegungslast und Beweislast

 

Leitsatz (amtlich)

Im Abwicklungsstadium trifft den auf Zahlung rückständiger Beiträge in Anspruch genommenen Gesellschafter die Darlegungslast und Beweislast dafür, daß der eingeforderte Betrag für die Durchführung der Abwicklung nicht benötigt wird. Der Liquidator hat jedoch die insoweit bedeutsamen Verhältnisse der Gesellschaft darzulegen, soweit nur er dazu imstande ist. (Aufgabe BGH, 1977-02-03, II ZR 201/75, WM 1977, 617)

 

Orientierungssatz

Verpflichtungen zu Kapitalleistungen – insbesondere von Darlehen –, die im Gesellschaftsvertrag einer Massengesellschaft festgelegt worden sind, sind im Zweifel auch dann gesellschaftsvertraglicher Art, wenn sie nicht als echte Kommanditeinlagen geschuldet werden (Vergleiche BGH, 1977-11-28, II ZR 235/75, WM 1978, 85).

 

Tatbestand

Die Klägerin ist eine Kommanditgesellschaft, die auf die Aufnahme einer Vielzahl von Kommanditisten gerichtet ist. Nach dem Gesellschaftsvertrag vom 5. September 1973 haben die Kommanditisten neben der Kommanditeinlage ein Darlehen in Höhe des vierfachen Betrages der Einlage zu gewähren. Mit dem Gesellschaftskapital sollte in Bad A. ein Moorsanatorium errichtet und betrieben werden. Nachdem dieses Vorhaben – mangels Baugenehmigung – gescheitert war, beschlossen die Gründungsgesellschafter am 21. Juli 1975 – noch vor der Aufnahme weiterer Kommanditisten – die Gesellschaft zu liquidieren.

Der Beklagte ist Gründungskommanditist. Er übernahm und zahlte eine Kommanditeinlage von 10.000 DM. Zur Erfüllung der Darlehensverpflichtung zahlte er 10.000 DM, nachdem die Gesellschafterversammlung am 31. Januar 1974 beschlossen hatte, von dem zunächst nicht eingeforderten Darlehen 50% abzurufen. Am 23. September 1975 widerrief er sein Darlehensversprechen unter dem Gesichtspunkt des § 610 BGB. Die Klägerin hält diesen Widerruf für unwirksam.

Das Landgericht hat den Antrag der Klägerin, den Beklagten zur Zahlung von 10.000 DM nebst Zinsen zu verurteilen, abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihm stattgegeben. Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

I. Ihr kann allerdings nicht gefolgt werden, soweit sie meint, der Beklagte sei deshalb von der Verpflichtung zur Zahlung der geforderten 10.000 DM frei geworden, weil er sein Darlehensversprechen nach § 610 BGB widerrufen habe.

Es ist zwar richtig, daß die Verpflichtung der Gesellschafter zur Gewährung eines Darlehens in der Weise begründet werden kann, daß ein selbständiger Darlehensvertrag geschlossen wird, der unmittelbar den gesetzlichen Bestimmungen über das Darlehen unterliegt mit der Folge, daß der Gesellschafter grundsätzlich einem Drittgläubiger gleichsteht und damit berechtigt ist, das Darlehensversprechen unter den Voraussetzungen des § 610 BGB zu widerrufen. Das ist hier jedoch nicht anzunehmen.

Wie der Senat in seinem Urteil vom 28. November 1977 (II ZR 235/75, WM 1978, 85) ausgesprochen hat, sind Verpflichtungen zu Kapitalleistungen – insbesondere von Darlehen –, die im Gesellschaftsvertrag einer Massengesellschaft festgelegt worden sind, im Zweifel auch dann gesellschaftsvertraglicher Art, wenn sie nicht als echte Kommanditeinlagen geschuldet werden. Im vorliegenden Falle handelt es sich um einen solchen Vertrag; er ist nur nicht durchgeführt worden, weil das vorgesehene Gesellschaftsunternehmen nicht errichtet werden konnte. Es ist auch sonst nichts ersichtlich, was der Anwendung dieser Grundsätze entgegenstehen könnte. Im Gegenteil, aus den vom Berufungsgericht festgestellten Umständen und den einzelnen Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages ergibt sich eine Bestätigung dafür, daß die Pflicht zur Gewährung eines Darlehens in diesem Sinne zu beurteilen ist und den Bedingungen des Gesellschaftsverhältnisses unterliegt. Danach sind unter anderem alle Kommanditisten – nur diese haben eine Kapitaleinlage zu erbringen – in gleicher Weise (im Verhältnis 1/4) zur Gewährung eines „Gesellschafterdarlehens” verpflichtet (§ 5 Abs 1, § 6 Abs 1). Diese Verpflichtung ist notwendiger Bestandteil der Kommanditbeteiligung, und sie war – wie aus den hierzu getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts folgt – zur Erreichung des Gesellschaftszwecks unerläßlich. (Vgl ferner die §§ 10 Abs 2, 14 Abs 2, 15 Abs 2 und 7 des Gesellschaftsvertrages).

Damit ist ein einseitiger Widerruf des Darlehensversprechens ausgeschlossen. Eine Kündigung ist nur möglich, soweit die gesellschaftsvertraglichen Bindungen nicht entgegenstehen. Nach § 6 Abs 2 des Gesellschaftsvertrags hätte zwar die Möglichkeit bestanden, hinsichtlich der Darlehensverträge etwas anderes zu bestimmen. Das ist jedoch nicht geschehen. Dem Vorbringen des Beklagten kann auch nichts dafür entnommen werden, daß er, insbesondere aufgrund einer zulässigen Kündigung, das Gesellschaftsverhältnis selbst beendet hätte und dadurch von seiner Darlehensverpflichtung frei geworden wäre.

II. Das angefochtene Urteil kann deshalb keinen Bestand haben, weil das Berufungsgericht der Tatsache nicht hinreichend Rechnung getragen hat, daß die Klägerin aufgelöst ist und sich im Abwicklungsstadium (§§ 161 Abs 2, 145ff HGB) befindet.

1. Die Revision wendet allerdings erfolglos ein, das Darlehen werde deshalb nicht mehr geschuldet, weil es im Abwicklungsstadium seinem bestimmungsgemäßen Zweck nicht mehr zugeführt werden könne.

Hierbei bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, ob Verpflichtungen der hier in Frage stehenden Art im Abwicklungsstadium (mit den unter 2. dargelegten Einschränkungen) grundsätzlich fortbestehen, weil es sich um echte, neben der Haftungseinlage zu erbringende Beiträge der Kommanditisten im Sinne des § 705 BGB handelt. Nach dem Vortrag der Klägerin ist davon auszugehen, daß die eingeforderten Beträge zur „Realisierung ihr noch zustehender Forderungen” benötigt werden. Unter diesen Umständen wäre eine Geltendmachung im Liquidationsstadium nur dann ausgeschlossen, wenn sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergäbe, daß im Falle der Auflösung der Gesellschaft dieser Betrag nicht mehr geschuldet wird. Das ist jedoch nicht der Fall und wird vom Beklagten nicht behauptet.

2. Das Berufungsgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß zu den nach § 149 HGB einzuziehenden Forderungen rückständige Kommanditeinlagen und sonstige Beiträge der Gesellschafter gehören, diese aber nicht mehr geschuldet werden, wenn sie für die Zwecke der Abwicklung nicht benötigt werden.

Entgegen der Ansicht der Revision ist ferner dem Berufungsgericht in der Auffassung zuzustimmen, den Beklagten treffe die Darlegungslast und Beweislast dafür, daß der eingeforderte Betrag für die Durchführung der Abwicklung nicht benötigt wird. Der Senat sieht keine Gründe, von der insoweit gefestigten und anerkannten Rechtsprechung abzuweichen (vgl insbesondere ROHG 22, 135, 136; 25, 158, 167; RGZ 45, 155; Schilling in GroßKomm HGB 3. Aufl § 149 Anm 12; Schlegelberger/Geßler, HGB 4. Aufl § 149 Anm 7; Heimann/Kötter, HGB 21. Aufl § 149 Anm 3; Düringer/Hachenburg, HGB 3. Aufl § 149 Anm 9). Soweit in dem Urteil vom 3. Februar 1977 (II ZR 201/75, WM 1977, 617) beiläufig etwas anderes ausgesprochen ist, wird daran nicht festgehalten.

Eine Verpflichtung des Liquidators, im Einzelfalle nachzuweisen, daß die eingeforderten rückständigen Beiträge zur Durchführung der Abwicklung erforderlich sind, stünde im Widerspruch zum Interesse der Gesellschafter, die Aktiva der Gesellschaft möglichst schnell und ungehindert flüssig zu machen, damit insbesondere die Gläubiger befriedigt und mögliche weitere Ansprüche von der Gesellschaft abgewendet werden können. Dem entgegenstehenden Interesse des Gesellschafters, rückständige Beiträge nur noch insoweit entrichten zu müssen, als sie der Förderung des Abwicklungszwecks dienen, ist dadurch hinreichend Rechnung getragen, daß die Liquidatoren bei Beginn der Liquidation eine Bilanz aufzustellen haben und die Überwachungsrechte, Einsichtsrechte und Auskunftsrechte des einzelnen Gesellschafters fortbestehen (§ 156 HGB). Die auf Zahlung in Anspruch genommenen Gesellschafter sind danach – nicht zuletzt in Verbindung mit der allgemeinen Verpflichtung der Liquidatoren, die Verhältnisse der Gesellschaft im Streitfalle darzulegen, soweit sie wegen ihrer Stellung allein dazu imstande sind – in der Lage, gegebenenfalls den Nachweis zu führen, daß die Beitragsleistung zur Durchführung der Abwicklung nicht mehr erforderlich ist.

3. Dagegen hat die Rüge der Revision Erfolg, das Berufungsgericht habe den Beklagten zu Unrecht mit der Begründung zur Zahlung verurteilt, er habe nicht behauptet und unter Beweis gestellt, daß der geforderte Darlehensbetrag zur Erfüllung der Liquidationsaufgaben nicht erforderlich sei.

a) Wie dargelegt, kann es zwar nicht Aufgabe des Abwicklers sein, bei der Geltendmachung gesellschaftsvertraglicher Ansprüche den Nachweis zu führen, daß die geforderte Leistung zur Erfüllung des Abwicklungszwecks notwendig ist. Andererseits darf dem in Anspruch genommenen Gesellschafter nicht die Möglichkeit genommen werden nachzuweisen, daß die Erreichung des Abwicklungszweckes auch ohne die von ihm zu erbringende Leistung gewährleistet ist. Zu diesem Nachweis wird er im Regelfalle aber nur dann in der Lage sein, wenn der Abwickler die Verhältnisse der Gesellschaft darlegt. Daraus folgt, daß im Streitfalle der Abwickler zu einer solchen Darlegung verpflichtet ist, soweit nur er dazu imstande ist. Der dem in Anspruch genommenen Gesellschafter obliegende Beweis ist dementsprechend als geführt anzusehen, wenn die erforderliche Aufklärung verweigert wird.

b) Im vorliegenden Falle hat der Beklagte behauptet, die von der Klägerin geforderte Zahlung diene nicht der Abwicklung. Dies ergibt sich aus seinen vom Berufungsgericht im Tatbestand des Urteils – der insofern den Angaben und Würdigungen in den Entscheidungsgründen vorgeht – in bezug genommen (BU 4 iVm dem Tatbestand des LG-Urt Bl 5) Schriftsätzen vom 12. März 1976 (GA 28, 33) und 1. April 1976 (GA 50) in Verbindung mit der vorgelegten Niederschrift über die Gesellschafterversammlung vom 21. Juli 1975 (Anl zur Klageschrift). Damit entstand für die Klägerin die Verpflichtung, im einzelnen darzulegen, wozu sie die geforderten 10.000 DM im Rahmen der Abwicklung benötige. Denn allein sie war hierzu aufgrund ihres Einblicks in die Verhältnisse der Gesellschaft in der Lage. Das pauschale Vorbringen, die Klägerin benötige zur ordnungsgemäßen Abwicklung entsprechende Mittel, reichte hierfür nicht aus. Der Beklagte hätte einen Beweis nur dann antreten können und müssen, wenn die Klägerin ihrer Darlegungspflicht nachgekommen wäre. Das gilt um so mehr, als der Beklagte vorgetragen und unter Hinweis auf das Protokoll der Gesellschafterversammlung vom 21. Juli 1975 und die Schreiben M. und der Klägerin vom 11. August, 25. August und 15. September 1975 (Anl B 5, 6, 7 zu GA 45/51) erhärtet hat, der Betrag von 10.000 DM solle ausschließlich dazu dienen, die gesellschaftsvertraglichen Ansprüche des Hauptgesellschafters M. zu befriedigen, dh einen Ausgleich zwischen den Gesellschaftern selbst herbeizuführen.

c) Das führt andererseits nicht dazu, daß – wie die Revision meint – die Klage nunmehr als unbegründet abzuweisen ist.

Die Klägerin hat vor dem Berufungsgericht obsiegt und für ihr – allerdings nur pauschales – Vorbringen Zeugenbeweis angetreten. Die fehlende Substantiierung ist offenbar allein darauf zurückzuführen, daß beide Parteien und das Berufungsgericht den dargelegten rechtlichen Gesichtspunkt nicht gesehen und berücksichtigt haben. Damit dies nachgeholt werden kann, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

III. Beim gegenwärtigen Sachstand und Streitstand kann das angefochtene Urteil nicht mit anderer Begründung aufrecht erhalten werden.

Angesichts der besonderen Verhältnisse des vorliegenden Falles stellt sich zwar die Frage, ob der Abwickler nicht nur die typischen Abwicklungsgeschäfte zu erledigen hat, sondern ihm auch die Aufgabe übertragen ist, den endgültigen Ausgleich unter den Gesellschaftern herbeizuführen. Dieser Schluß könnte vor allem deshalb gerechtfertigt sein, weil es sich hier – ungeachtet des Umstandes, daß die Gesellschaft schon frühzeitig gescheitert ist und nur aus den Gründergesellschaftern besteht – um einen Kommanditgesellschaftsvertrag handelt, der den Anforderungen einer Massengesellschaft entspricht und dementsprechend in § 16 bestimmt: „In allen Fällen der Liquidation der Gesellschaft erfolgt dies durch den oder die jeweiligen persönlich haftenden Gesellschafter …” (vgl hierzu im einzelnen das oa SenUrt v 14.11.77). Aus der daraus folgenden Aufgabe und Pflicht, die Aktivsalden und Passivsalden unter den Gesellschaftern auszugleichen, ergäbe sich auch das Recht und die Pflicht, die noch ausstehenden Einlagen – soweit zur Kompensation nötig – einzuziehen. Hierbei wäre auch zu berücksichtigen, ob und in welchem Umfange die einzelnen Gesellschafter ihre Verpflichtung, die Gesellschafterdarlehen zu gewähren, erfüllt haben.

Unter diesem Gesichtspunkt könnte die Klägerin zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber deshalb nicht durchdringen, weil eine Einziehung zu diesem Zweck nur in Betracht käme, wenn und soweit ein im Rahmen der Auseinandersetzungsrechnung zu erstellender Ausgleichsplan ein Passivsaldo zu Lasten des Beklagten aufwiese. Solche Rechnungen und Pläne sind bisher jedoch nicht erstellt und vorgelegt worden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 649152

NJW 1978, 2154

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