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BGH Beschluss vom 28.10.2010 - VII ZB 15/10

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Altfälle, Geschäftsgebühr. Verfahrensgebühr. Anrechnung. Rechtskraft einer Entscheidung im Kostenfestsetzungsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

a) Auch in Altfällen ist eine Geschäftsgebühr nur unter den Voraussetzungen des § 15a Abs. 2 RVG auf die Verfahrensgebühr anzurechen (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 9.12.2009 - XII ZB 175/07, FamRZ 2010, 456).

b) Die Rechtskraft einer Entscheidung im Kostenfestsetzungsverfahren über einen Antrag, mit dem eine Verfahrensgebühr unter hälftiger Anrechnung der Geschäftsgebühr geltend gemacht worden ist, steht einer Nachfestsetzung der restlichen Verfahrensgebühr nicht entgegen.

 

Normenkette

RVG § 15a

 

Verfahrensgang

OLG Dresden (Beschluss vom 16.02.2010; Aktenzeichen 3 W 170/10)

LG Chemnitz (Beschluss vom 21.01.2010; Aktenzeichen 2 O 2043/06)

 

Tenor

Auf die Beschwerden des Klägers werden der Beschluss des 3. Zivilsenats des OLG Dresden vom 16.2.2010 und der Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Chemnitz vom 21.1.2010 aufgehoben.

Aufgrund des rechtskräftigen Urteils des LG Chemnitz vom 10.12.2008 sind als Nachfestsetzung zum Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Chemnitz vom 12.2.2009 von dem Beklagten an den Kläger weitere Kosten i.H.v. 318,68 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.11.2009 zu erstatten.

Der Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.

Wert des Beschwerdegegenstandes: 318,68 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Kläger hat den Beklagten auf Zahlung von Kostenvorschuss in Anspruch genommen. Das LG hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 7.691,49 EUR nebst Zinsen verurteilt und ihm die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Im Kostenfestsetzungsverfahren hat der Kläger lediglich eine um die 0,65-fache Geschäftsgebühr ermäßigte Verfahrensgebühr in Ansatz gebracht. Das LG hat entsprechend entschieden. Am 5.11.2009 hat der Kläger einen Nachfestsetzungsantrag gestellt und darin die Festsetzung der restlichen Verfahrensgebühr von 318,68 EUR geltend gemacht, weil die Anrechnung der Geschäftsgebühr zu Unrecht erfolgt sei. Das LG hat den Antrag abgelehnt. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die von ihm zugelassene Rechtsbeschwerde des Klägers, der seinen Antrag weiterverfolgt.

II.

Rz. 2

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Rz. 3

1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Nachfestsetzung sei unzulässig, da ihr die materielle Rechtskraft des Festsetzungsbeschlusses vom 12.2.2009 entgegenstehe. Das LG habe über die Verfahrensgebühr rechtskräftig entschieden. Daran ändere nichts, dass der Kläger seinerzeit nur die Kosten der ermäßigten Verfahrensgebühr geltend gemacht habe. Mehr habe ihm nach der Rechtsprechung des BGH nicht zugestanden. Das LG habe also nicht nur über einen Teil der Verfahrensgebühr entschieden, sondern über den Erstattungsanspruch in voller Höhe, so wie er dem Kläger zugestanden habe. Demnach bleibe kein Rest, der von den Wirkungen der Rechtskraft ausgenommen und daher einer Nachfestsetzung zugänglich wäre.

Rz. 4

2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der Nachfestsetzungsantrag ist begründet. Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr findet nicht statt (a). Einer Nachfestsetzung steht die Rechtskraft des Beschlusses des LG Chemnitz vom 12.2.2009 nicht entgegen (b).

Rz. 5

a) Der BGH hat bis zur Einführung des § 15a RVG durch Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30.7.2009 entschieden, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG VV Nr. 3100 auch im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen sei (vgl. grundlegend BGH, Beschl. v. 22.1.2008 - VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323).

Rz. 6

Nach Inkrafttreten des § 15a RVG vertreten alle mit der Entscheidung befassten Senate des BGH teilweise unter Aufgabe ihrer bisherigen Rechtsprechung die Auffassung, dass durch § 15a RVG lediglich eine Klarstellung der bisherigen Rechtslage erfolgt ist (BGH, Beschl. v. 2.9.2009 - II ZB 35/07, NJW 2009, 3101 Rz. 8; Beschl. v. 9.12.2009 - XII ZB 175/07, FamRZ 2010, 456 Rz. 16; Beschl. v. 11.3.2010 - IX ZB 82/08, AGS 2010, 159 Rz. 6; Beschl. v. 29.4.2010 - V ZB 38/10, AGS 2010, 263 Rz. 8; Beschl. v. 10.8.2010 - VIII ZB 15/10, bei juris). Danach findet auch für Kostenfestsetzungen vor Inkrafttreten dieser Norm eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nur unter den in § 15a Abs. 2 RVG genannten Voraussetzungen statt. Der VII. Zivilsenat schließt sich dieser Rechtsprechung an und nimmt zur Begründung Bezug auf die Entscheidung des XII. Zivilsenats vom 9.12.2009 (XII ZB 175/07, a.a.O.).

Rz. 7

b) Danach ist auf den Nachfestsetzungsantrag des Klägers eine weitere Verfahrensgebühr i.H.v. 318,68 EUR nebst Zinsen festzusetzen. Dieser Festsetzung steht nicht die Rechtskraft des Kostenfestsetzungsbeschlusses des LG vom 12.2.2009 entgegen.

Rz. 8

Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass Kostenfestsetzungsbeschlüsse der materiellen Rechtskraft fähig sein können (vgl. BGH, Beschl. v. 16.1.2003 - V ZB 51/02, NJW 2003, 1462). Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Annahme, über den im Nachfestsetzungsverfahren geltend gemachten Teil der Verfahrensgebühr sei bereits entschieden. Dieser war nicht Gegenstand der Entscheidung vom 12.2.2009.

Rz. 9

aa) Die Rechtskraft eines Kostenfestsetzungsbeschlusses bezieht sich nur auf die im Antrag geforderten und im Beschluss beschiedenen Beträge. Eine Nachforderung eines bislang nicht geltend gemachten Teils bezüglich desselben Postens hindert sie grundsätzlich nicht (Bork in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 103 Rz. 12; PG/K. Schmidt, ZPO, 2. Aufl., § 103 Rz. 27; Giebel in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 104 Rz. 128 f.; vgl. OLG Stuttgart MDR 2009, 1136, zur Nachfestsetzung der Umsatzsteuer; BVerfG Rpfleger 1995, 476, zur Nachfestsetzung der Erhöhungsgebühr für Mehrvertretung). Dies deckt sich auch mit dem allgemeinen Verständnis der Rechtskraftwirkung bei offenen (BGH, Urt. v. 30.1.1985 - IVb ZR 67/83, BGHZ 93, 330) und verdeckten Teilklagen (BGH, Urt. v. 9.4.1997 - IV ZR 113/96, BGHZ 135, 178). Danach ergreift die Rechtskraft des Urteils nur den geltend gemachten Anspruch im beantragten Umfang; eine Erklärung des Klägers, er behalte sich darüber hinausgehende Ansprüche vor, ist nicht erforderlich. Soweit ein Antrag nur beschränkt geltend gemacht worden ist, ist grundsätzlich über den überschießenden Teil nicht entschieden.

Rz. 10

bb) Soweit in der Rechtsprechung von diesen Grundsätzen Ausnahmen gemacht worden sind (vgl. dazu BGH, Urt. v. 9.4.1997 - IV ZR 113/96, BGHZ 135, 178 [182 m.w.N.]), handelt es sich um besonders gelagerte Sachverhalte, deren Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Kläger hat insb. durch seinen Antrag nicht zum Ausdruck gebracht, dass er eine abschließende, eine Nachforderung ausschließende Entscheidung über die Berücksichtigung der Verfahrensgebühr nur in gekürztem Umfang haben wollte. Allein der Umstand, dass er auf der Grundlage der damals gefestigten Rechtsprechung davon ausging, ihm stünde nur eine gekürzte Gebühr zu, rechtfertigt diese Annahme nicht. Etwas anderes kann auch nicht aus der Entscheidung des V. Zivilsenats vom 16.1.2003 (V ZB 51/02, NJW 2003, 1462) hergeleitet werden. Diese Entscheidung befasst sich lediglich mit der Auslegung eines Kostenfestsetzungsbeschlusses hinsichtlich des Zinsanspruchs und kann zu der hier entscheidungserheblichen Frage nichts beitragen.

Rz. 11

cc) Der Kläger hat von vornherein nur eine um die hälftige Geschäftsgebühr gekürzte Verfahrensgebühr in Ansatz gebracht. Das LG hat demgemäß auch nur darüber entschieden, dass dem Kläger eine Verfahrensgebühr in dieser Höhe zusteht. Eine Entscheidung über die Frage, ob dem Kläger eine höhere Verfahrensgebühr zusteht, hat es nicht getroffen. Demgemäß hat es auch über die höhere Verfahrensgebühr nicht rechtskräftig entschieden. Eine Nachfestsetzung des Teils der Verfahrensgebühr, über die im Kostenfestsetzungsverfahren nicht entschieden worden ist, weil eine anteilige Geschäftsgebühr von vornherein im Antrag abgezogen worden ist, ist danach möglich (vgl. auch N. Schneider, FamRZ 2009, 1823 [1824]; Hansens, RVGreport 2009, 354, 355; ders. RVGreport 2009, 417, 418; Thiel, AGS 2010, 308).

Rz. 12

3. Die angefochtenen Beschlüsse sind danach aufzuheben. Da die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 ZPO), entscheidet der Senat selbst und gibt dem Nachfestsetzungsantrag in beantragter Höhe statt.

Rz. 13

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2545129

BGHZ 2011, 227

BB 2010, 3034

NJW 2010, 8

NJW 2011, 1367

FamRZ 2011, 104

JurBüro 2011, 78

ZIP 2011, 304

AnwBl 2011, 149

MDR 2011, 136

Rpfleger 2011, 178

ZfBR 2011, 140

ZfS 2011, 101

AGS 2010, 580

ErbR 2011, 82

NJW-Spezial 2011, 28

RVGreport 2011, 28

BRAK-Mitt. 2011, 37

RVG prof. 2011, 38

Rafa-Z 2011, 8

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