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BGH Beschluss vom 05.05.2011 - VII ZB 17/10

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässigkeit der Pfändung des Geldentschädigungsanspruchs eines Strafgefangenen wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen durch den Staat

 

Leitsatz (amtlich)

Die Pfändung des Geldentschädigungsanspruchs eines Strafgefangenen wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen durch den Staat ist unzulässig.

 

Normenkette

ZPO § 829; BGB § 242

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Beschluss vom 09.02.2010; Aktenzeichen I-7 T 13/10)

AG Bochum (Beschluss vom 26.10.2009; Aktenzeichen 53 M 4571/09)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Bochum vom 9.2.2009 (richtig: 2010) wird zurückgewiesen.

Die Gläubigerin hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Gläubigerin, eine Oberjustizkasse, betreibt als Vollstreckungsbehörde die Beitreibung von Justizkostenforderungen des Landes N. i.H.v. 4.126,29 EUR gegen den Schuldner, einen Strafgefangenen. Dieser macht wegen behaupteter menschenunwürdiger Haftunterbringung Schadensersatzansprüche gegen das Land geltend.

Rz. 2

Die Gläubigerin hat als Vollstreckungsbehörde am 26.10.2009 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, mit dem die angebliche Forderung des Schuldners an das Land als Drittschuldnerin auf Auszahlung von Beträgen aus

"1. allen gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüchen gegen das Land N. aufgrund seiner tatsächlichen Unterbringung oder Unterbringungen in Justizvollzugseinrichtungen des Landes N., 2. allen gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüchen gegen das Land N. aufgrund der Rechtsverfolgung der in Ziff. 1 genannten Forderungen (insb. Rechtsanwalts- und Gerichtskosten)"

gepfändet und zur Einziehung überwiesen worden ist.

Rz. 3

Die dagegen eingelegte Erinnerung hat das AG zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde hat das Beschwerdegericht den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufgehoben. Die Gläubigerin hat Rechtsbeschwerde eingelegt und zunächst die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde des Schuldners insgesamt erstrebt. Hinsichtlich einer Forderung i.H.v. 3.025,82 EUR haben die Parteien im Rechtsbeschwerdeverfahren die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.

II.

Rz. 4

Die gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Rz. 5

1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Pfändung möglicher Ansprüche des Schuldners gegen das Land auf Entschädigung wegen menschenunwürdiger Unterbringung in Justizvollzugsanstalten des Landes stelle ebenso wie die Aufrechnung gegen einen solchen Anspruch eine unzulässige Rechtsausübung dar. Gleiches gelte für die aus diesen Verfahren entstehenden Nebenforderungen.

Rz. 6

2. Das hält der rechtlichen Überprüfung stand.

Rz. 7

a) Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde allerdings darauf hin, dass der Gläubiger grundsätzlich die Möglichkeit hat, eine dem Schuldner gegen ihn zustehende Forderung zu pfänden (Brehm in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 829 Rz. 124; Schuschke/Walker/Schuschke, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 4. Aufl., § 829 ZPO Rz. 11; PG/Ahrens, ZPO, 3. Aufl., § 829 Rz. 21; Musielak/Becker, ZPO, 8. Aufl., § 829 Rz. 14; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 69. Aufl., § 829 Rz. 38). Er kann aufgrund der Pfändung und Überweisung in der Regel selbst die Aufrechnung mit der ihm gegen den Schuldner zustehenden Forderung erklären. Ob dies auch möglich ist, wenn der Gläubiger ohne die Pfändung und Überweisung wegen eines materiellen Aufrechnungsverbots nicht aufrechnen konnte, ist umstritten (vgl. die Nachweise bei Staudinger/Gursky, BGB [2006], § 393 Rz. 2).

Rz. 8

b) Der Senat muss dieser Frage nicht nachgehen. Denn rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht entschieden, dass bei dem hier vorliegenden Sachverhalt gemäß dem auch für das Prozessrecht Geltung beanspruchenden § 242 BGB (BGH, Beschl. v. 10.5.2007 - V ZB 83/06, BGHZ 172, 218, 222 m.w.N.) bereits die Pfändung des Anspruchs ausgeschlossen ist. Denn die Pfändung des Geldentschädigungsanspruchs wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen erweist sich unter Berücksichtigung der Funktion und des Zwecks dieses Anspruchs und der Eigenart des zwischen dem Schuldner und dem Land N. bestehenden Rechtsverhältnisses als unzulässige Rechtsausübung.

Rz. 9

aa) Steht einem Strafgefangenen ein Anspruch auf Geldentschädigung für immaterielle Schäden infolge menschenunwürdiger Haftbedingungen gegen den Staat zu, ist nach der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 1.10.2009 - III ZR 18/09, BGHZ 182, 301, 304) eine Aufrechnung des Staates mit Gegenforderungen gem. § 242 BGB unzulässig. Der Anspruch des Strafgefangenen auf Geldentschädigung leitet sich aus dem Schutzauftrag der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG ab. Er hat neben der Genugtuung für den Verletzten auch den Zweck einer wirksamen Sanktion und Prävention in dem Sinne, dass der verpflichtete Staat dazu angehalten wird, menschenunwürdige Haftbedingungen von vornherein zu vermeiden oder aber zumindest alsbald zu beseitigen und nicht länger fortdauern zu lassen (BGH, Urt. v. 1.10.2009 - III ZR 18/09, a.a.O., S. 304 f.; Urt. v. 4.11.2004 - III ZR 361/03, BGHZ 161, 33, 35 ff.). Diesen Zweck kann der Geldentschädigungsanspruch wirksam nur erfüllen, wenn er für den ersatzpflichtigen Staat spürbare Auswirkungen hat. Dies ist nicht der Fall, wenn die Forderungen, mit denen der Staat aufrechnen möchte, bei wirtschaftlicher Betrachtung wertlos sind, weil - wie in vielen Fällen - der Strafgefangene vermögenslos ist (BGH, Urt. v. 1.10.2009 - III ZR 18/09, a.a.O., S. 305).

Rz. 10

bb) Aus den gleichen Erwägungen ist dem Staat auch die Pfändung eines gegen ihn gerichteten Anspruchs eines Strafgefangenen auf Geldentschädigung wegen immaterieller Schäden infolge menschenunwürdiger Haftbedingungen zu versagen. Eine Zulassung der Pfändung eines aus einer menschunwürdigen Haftunterbringung herrührenden Entschädigungsanspruchs zur Befriedigung offener Verfahrenskosten würde - worauf die Rechtsbeschwerdeerwiderung zu Recht hinweist - die Funktion der Genugtuung, der Sanktion und der Prävention ebenso ins Leere laufen lassen wie die Zulassung einer Aufrechnung. Denn mit dem Zugriff auf die Forderung des Strafgefangenen würden deren nachteilige Wirkungen verblassen. Der Staat würde sich auf diese Weise eine Befriedigung der wirtschaftlich wertlosen Forderung verschaffen und gleichzeitig den mit der Zuerkennung des Entschädigungsanspruchs verfolgten Zweck umgehen. Letztlich träten nach der aufgrund einer Pfändung und Überweisung zur Einziehung regelmäßig erfolgenden Aufrechnung des Gläubigers mit dem Entschädigungsanspruch lediglich mit zeitlicher Verzögerung die wirtschaftlichen Folgen der unzulässigen Aufrechnung mit den Justizkostenforderungen ein.

Rz. 11

cc) Das Pfändungsverbot erstreckt sich - wie das Beschwerdegericht zu Recht angenommen hat - auch auf die aus der Rechtsverfolgung der Entschädigungsansprüche erwachsenen Ansprüche, insb. die Rechtsanwalts- und Gerichtskosten. Werden mit dem Aufrechnungsverbot - wie hier - Zwecke der Sanktion und der Prävention verfolgt, muss sich wegen der engen materiellen Verbindung mit der Hauptforderung das Pfändungsverbot auch auf die Kosten der Rechtsverfolgung erstrecken (vgl. auch BGH, Urt. v. 24.3.2011 - IX ZR 180/10, WM 2011, 756 Rz. 47 f.). Mit entsprechenden Erwägungen hat der Senat bereits entschieden, dass sich das Vollstreckungsprivileg des § 850 f Abs. 2 ZPO auch auf Ansprüche auf Erstattung von Prozesskosten erstreckt, wenn diese Folge der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung sind (BGH, Beschl. v. 10.3.2011 - VII ZB 70/08, in juris Rz. 16).

Rz. 12

c) Die gegen dieses Ergebnis von der Rechtsbeschwerde erhobenen Einwände greifen nicht.

Rz. 13

aa) Aus Entscheidungen, in denen der BGH die Pfändung einer Forderung für möglich gehalten hat, gegen die der Gläubiger materiell-rechtlich nicht aufrechnen durfte (vgl. BGH, Urt. v. 24.6.1985 - III ZR 219/83, BGHZ 95, 109, 115), lässt sich nicht ableiten, dass die beabsichtige Pfändung und Überweisung der Forderung auch bei dem hier gegebenen Sachverhalt zulässig sein müsste. Denn der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich von diesen Fällen dadurch, dass der zu pfändende Anspruch insb. auch der Sanktion und Prävention dient und aus einer Verletzung eines besonderen Rechtsverhältnisses zwischen dem Strafgefangenen und dem Staat hergeleitet wird, das dem Staat besondere Fürsorgepflichten auferlegt (vgl. BGH, Urt. v. 1.10.2009 - III ZR 18/09, BGHZ 182, 301 Rz. 14). Eine solche Grundlage hat auch der von der Rechtsbeschwerde vergleichsweise herangezogene Schmerzensgeldanspruch nicht. Aus dem gleichen Grund kommt es auch nicht darauf an, dass die Pfändung einer Forderung aus unerlaubter Handlung möglich ist.

Rz. 14

bb) Ohne Belang ist, ob und inwieweit eine Pfändung stattfinden kann, wenn die Entschädigungsforderung des Schuldners befriedigt worden ist. Selbst wenn dann ein uneingeschränkter Zugriff von Gläubigern stattfinden könnte, führte dies entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zu widersprüchlichen Ergebnissen. Solche hätten ihren Grund in den Pfändungsvorschriften. Diese untersagen es der Gläubigerin wegen der unzulässigen Rechtsausübung, auf die Forderung des Schuldners im Wege der Zwangsvollstreckung zuzugreifen.

Rz. 15

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 91a ZPO. Soweit die Parteien die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, waren der Gläubigerin die Kosten aufzuerlegen, weil die Rechtsbeschwerde aus den dargelegten Gründen auch insoweit keinen Erfolg gehabt hätte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2705121

NJW 2011, 8

EBE/BGH 2011

FamRZ 2011, 1145

NJW-RR 2011, 959

JurBüro 2011, 497

WM 2011, 1141

DGVZ 2012, 124

MDR 2011, 882

Rpfleger 2011, 535

GuT 2011, 168

HRA 2011, 5

StRR 2011, 247

StV 2012, 170

VE 2011, 147

NRÜ 2011, 295

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