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BFH Urteil vom 05.04.2006 - IX R 111/00 (veröffentlicht am 12.07.2006)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Darlehenszinsen zum Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft durch deren Arbeitgeber als Werbungskosten

Leitsatz (amtlich)

Schuldzinsen für Darlehen, mit denen Arbeitnehmer den Erwerb von Gesellschaftsanteilen an ihrer Arbeitgeberin finanzieren, um damit die arbeitsvertragliche Voraussetzung für die Erlangung einer höher dotierten Position zu erfüllen, sind regelmäßig Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen (Anschluss an BFH-Urteil vom 21. April 1961 VI 158/59 U, BFHE 73, 449, BStBl III 1961, 431).

Normenkette

EStG § 19 Abs. 1; EStG § 20 Abs. 1; EStG § 9 Abs. 1 Nr. 1

Verfahrensgang

Hessisches FG (Entscheidung vom 07.09.2000; Aktenzeichen 11 K 1357-1358/98; EFG 2001, 422)

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erzielte in den Streitjahren 1994 und 1995 als Wirtschaftsprüferin bei D, einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft, Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie aus ihrer Aktienbeteiligung an der D Einkünfte aus Kapitalvermögen.

In den Steuererklärungen für die Streitjahre machte sie die Aufwendungen für Schuldzinsen bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Die Aufwendungen beträfen ein Arbeitgeberdarlehen, das sie zur teilweisen Finanzierung des Erwerbs von D-Aktien aufgenommen habe. Arbeitsvertraglich sei sie verpflichtet gewesen, diese Aktien zur Sicherung ihrer Position in der AG zu erwerben.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) behandelte die Zinsaufwendungen dagegen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen mit der Folge, dass die Werbungskostenüberschüsse der Klägerin aus der streitigen Beteiligung wegen der weiteren nicht den Freibetrag nach § 20 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) übersteigenden Einnahmeüberschüsse aus anderen Kapitaleinnahmen ohne einkommensteuerrechtliche Auswirkung blieben. Der dagegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 422 veröffentlichten Urteil statt.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 Nr. 1 EStG. Entgegen der Auffassung des FG seien die streitigen Zinsaufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen. Mangels Auswirkungen bei dieser Einkunftsart hätte die Klage deshalb abgewiesen werden müssen.

Das FA beantragt, das Urteil des Hessischen FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der Aktienerwerb habe überwiegend im Zusammenhang mit ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gestanden; ohne Übernahme der Geschäftsanteile hätte sie die angestrebte Anstellung als Partnerin der Arbeitgeberin nicht erhalten. Die Finanzierungskosten hätten damit unmittelbar und ausschließlich ihrer Tätigkeit als Partnerin bzw. Direktorin ihrer Arbeitgeberin gedient und seien deshalb bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet; das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Zu Unrecht hat das FG die streitigen Zinsaufwendungen als Werbungskosten der Klägerin bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt; sie sind vielmehr Werbungskosten aus Kapitalvermögen, die sich aufgrund des Freibetrags nach § 20 Abs. 4 EStG im Streitfall nicht steuermindernd auswirken.

1. Nach § 9 Abs. 1 EStG sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Dieser Begriff gilt für alle Überschusseinkünfte (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 bis 7 Abs. 2 Nr. 2 EStG) in gleicher Weise.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind Werbungskosten alle Aufwendungen, die durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind (vgl. BFH-Beschluss vom 28. November 1977 GrS 2-3/77, BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105; BFH-Urteil vom 20. November 1979 VI R 25/78, BFHE 129, 149, BStBl II 1980, 75). Erforderlich ist danach, dass objektiv ein Zusammenhang der Aufwendungen mit der auf Einnahmeerzielung gerichteten Tätigkeit besteht und sie subjektiv zur Förderung dieser steuerlich relevanten Tätigkeit getragen werden (BFH-Urteil vom 28. November 1980 VI R 193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368).

b) Betreffen die Aufwendungen eines Arbeitnehmers den Erwerb einer Beteiligung an seiner Arbeitgeberin --wie im Streitfall an der AG--, so ist dem Einkommensteuergesetz keine ausdrückliche Regelung zu entnehmen, ob diese Aufwendungen den Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit oder aus Kapitalvermögen zuzurechnen sind.

Im Hinblick darauf sind derartige Aufwendungen nach der Rechtsprechung des BFH jedenfalls "nicht ohne weiteres" den Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zuzurechnen, weil sie "im allgemeinen" nicht unmittelbar mit diesen Einkünften, sondern mit solchen aus Kapitalvermögen im Zusammenhang stehen, selbst wenn damit auch die Arbeitnehmertätigkeit gefördert wird (BFH-Urteil vom 21. April 1961 VI 158/59 U, BFHE 73, 449, BStBl III 1961, 431). Insbesondere bei Schuldzinsen für Kredite, die der Arbeitnehmer einer Kapitalgesellschaft für die Finanzierung von Anschaffungskosten einer Beteiligung an dieser Gesellschaft aufwendet, ist meist davon auszugehen, dass die Zinsaufwendungen grundsätzlich nicht durch den Beruf des Steuerpflichtigen, sondern durch die angestrebte Gesellschafterstellung veranlasst und deshalb --bei Bejahung von Überschusserzielungsabsicht-- im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen sind.

Das gilt gleichermaßen, wenn sich der Steuerpflichtige an der Kapitalgesellschaft nicht nur in Erwartung der Ausschüttung von Gewinnen beteiligt, sondern auch, um durch die Zuführung von Kapital den Fortbestand der Gesellschaft und damit gleichzeitig seinen eigenen Arbeitsplatz zu erhalten. Denn der wirtschaftliche Zusammenhang der Aufwendungen mit den Einkünften aus Kapitalvermögen steht in solchen Fällen regelmäßig im Vordergrund und verdrängt die Beziehung zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (BFH-Urteile vom 21. Juli 1981 VIII R 128/76, BFHE 134, 119, BStBl II 1982, 36, für einen Kredit zur Anschaffung einer GmbH-Beteiligung durch einen leitenden Angestellten im Zuge einer Kapitalerhöhung; vom 21. Juli 1981 VIII R 154/76, BFHE 134, 113, BStBl II 1982, 37, für den Erwerb eines Aktienpakets durch einen Arbeitnehmer als Daueranlage, jeweils unter Hinweis auf das BFH-Urteil in BFHE 73, 449, BStBl III 1961, 431; BFH-Urteil vom 18. August 1992 VIII R 22/89, BFH/NV 1993, 465, für nachträgliche Anschaffungskosten). Dieser vorrangige Zusammenhang mit den Einkünften aus Kapitalvermögen gilt grundsätzlich auch dann, wenn sich der Steuerpflichtige an seiner Arbeitgeberin beteiligt, um dadurch eine höher dotierte Position zu erlangen.

c) Nur ausnahmsweise kann auf dieser Grundlage die Annahme in Betracht kommen, dass der Arbeitnehmer mit dem Erwerb einer Beteiligung nicht die mit der Stellung als Gesellschafter verbundenen Rechte (vgl. dazu BFH-Urteile in BFHE 73, 449, BStBl III 1961, 431, und vom 12. Mai 1995 VI R 64/94, BFHE 177, 472, BStBl II 1995, 644; ebenso FG Köln, Urteil vom 22. November 2001 10 K 5735/96, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2002, 337; FG Hamburg, Urteil vom 8. März 2002 II 424/00, EFG 2002, 962), sondern nahezu ausschließlich die Sicherung seines bestehenden oder die Erlangung eines höherwertigen Arbeitsplatzes erstrebt. Das kann insbesondere bei negativer Überschussprognose und damit erkennbar fehlender Absicht zur Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen aus einer solchen Beteiligung der Fall sein.

2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG zu Unrecht die streitigen Aufwendungen den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zugerechnet. Denn die Klägerin erzielte aus den Aktien, die sie von ihrer Arbeitgeberin erwarb, Gewinnanteile und damit Einkünfte aus Kapitalvermögen. Den Erwerb dieser Aktien finanzierte sie mittels eines Darlehens, so dass die Aufwendungen in wirtschaftlichem Zusammenhang mit dieser Einkunftsart stehen.

Zwar besteht auch ein Zusammenhang mit den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit; denn sie war aufgrund des Anstellungsvertrags verpflichtet, sich an ihrer Arbeitgeberin zu beteiligen und erzielte durch den Partnerstatus höhere Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Auch ist die Beteiligung an den Bestand ihrer Tätigkeit bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft geknüpft. Diese Beziehung wird im Streitfall aber überlagert durch den Zusammenhang der Schuldzinsen mit dem Erwerb der Beteiligung.

Maßgebend für die Abgrenzung ist die Einkunftsart, die im Vordergrund steht und die Beziehungen zu den anderen Einkünften verdrängt (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. Urteile vom 31. Oktober 1989 VIII R 210/83, BFHE 160, 11, BStBl II 1990, 532; in BFHE 73, 449, BStBl III 1961, 431; in BFHE 134, 113, 118, BStBl II 1982, 37, 40; vom 19. Oktober 1982 VIII R 97/79, BFHE 137, 418, BStBl II 1983, 295). Das ist hier bei den Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 3 EStG a.F. der Fall. Denn zwischen Arbeitsverhältnis und Zinszahlung tritt der Aktienbesitz als eigenständige Erwerbsquelle. Unabhängig davon, ob und inwieweit der Aktienerwerb durch das Arbeitsverhältnis motiviert war, finanziert die Klägerin mit dem Darlehen die Anschaffungskosten ihrer Beteiligung, deren Gewinnanteile ebenso wenig zu Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 19 Abs. 1 EStG führen wie die damit zusammenhängenden Schuldzinsen zu Werbungskosten bei dieser Einkunftsart. Dementsprechend erfasst die Rechtsprechung auch Wertveränderungen einer Beteiligung an der Arbeitgeberin nur unter den Voraussetzungen des § 23 EStG oder des § 17 EStG (vgl. BFH-Urteil in BFHE 177, 472, BStBl II 1995, 644, m.w.N.).

Im Übrigen sind Anhaltspunkte für eine ausnahmsweise anderweitige Beurteilung (Zuordnung zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit) weder aus den bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) noch sonst ersichtlich; insbesondere hat die Klägerin nicht geltend gemacht, Einnahmeüberschüsse seien aus der Aktienbeteiligung nicht erzielbar gewesen.

3. Da die Vorentscheidung auf einer abweichenden Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen.

Fundstellen

  • Haufe-Index 1538926
  • BFH/NV 2006, 1559
  • StB 2006, 323
  • BStBl II 2006, 654
  • BFHE 2006, 341
  • BFHE 213, 341
  • BB 2006, 1607
  • DB 2006, 1535
  • DStRE 2006, 972
  • DStZ 2006, 561
  • DStZ 2006, 534
  • HFR 2006, 984
  • WPg 2006, 1224
  • FR 2006, 838
  • Inf 2006, 608
  • SteuerBriefe 2006, 1084
  • GStB 2006, 33
  • NWB 2008, 531
  • NWB 2006, 2405
  • EStB 2006, 279
  • StuB 2006, 601
  • AuA 2006, 672
  • KÖSDI 2006, 15191
  • LGP 2006, 127
  • NZA-RR 2006, 528
  • SPA 2006, 7
  • SWK 2006, 1086
  • NWB direkt 2006, 7
  • RdW 2007, 132
  • StBW 2006, 2
  • SJ 2006, 4
  • WISO-SteuerBrief 2006, 3
  • stak 2006

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