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FF 11/2010, Ein Faible fürs Fiktive

Dr. Mathias Grandel
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Dr. Mathias Grandel

Wir Familienrechtler geben uns nicht gern damit zufrieden, die Verhältnisse so zu nehmen, wie sie sind. Wenn es uns gerechtfertigt scheint, erlauben wir uns, anstelle der tatsächlichen Verhältnisse der Entscheidungsfindung fiktive Umstände zugrunde zu legen.

Wohnt ein Ehegatte mietfrei in eigener Immobilie, legen wir zur Unterhaltsberechnung fiktive ersparte Aufwendungen zugrunde. Kommt ein Ehegatte seiner Erwerbsobliegenheit nicht nach, nehmen wir fiktiv an, er hätte eine Arbeitsstelle gefunden, wenn er sich nur ausreichend bemüht hätte. Wir rechnen ihm ein fiktives Gehalt aus einer ebenso fiktiv ausgewählten Beschäftigungsmöglichkeit an. Verletzt ein Ehegatte seine Obliegenheit zur Vermögensumschichtung, erfinden wir fiktive Kapitaleinkünfte. An eine Fiktion knüpft nahtlos die nächste an. Will z.B. eine Mutter ihr Kind selbst betreuen, läuft sie Gefahr, dass sie unterhaltsrechtlich so behandelt wird, als würde ihr Kind eine Fremdbetreuungseinrichtung besuchen und als stünde sie für Erwerbsarbeit zur Verfügung. Daran schließt sich die zweite Fiktion an, dass sie dann einen Arbeitsplatz hätte finden können und fiktiv 1.100 EUR verdienen würde. Mit § 1578b BGB hat der Gesetzgeber die Spielwiese für fiktive Verläufe ins schier Unermessliche vergrößert. Erwerbsverläufe über Jahrzehnte hinweg dürfen fiktiv nachgezeichnet werden.

Das Verführerische und Reizvolle an Fiktionen ist, dass sie praktisch nie widerlegt werden können. Die Unrichtigkeit unterstellter Lebenssachverhalte, die gar nicht stattgefunden haben, lässt sich nicht beweisen. Die lästige Bindung an vorgegebene Tatsachen entfällt. Dem richterlichen Beurteilungsspielraum sind außer dem Verstoß gegen Denkgesetze und allgemeingültige Erfahrungssätze keine Grenzen gesetzt. Das mag den Hang zum Fiktiv...

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