Leitsatz

1. Es ist gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar, ob sich die Prüfungsbehörde an die Maßstäbe gehalten hat, nach denen erfahrungsgemäß der Ausgleich für eine erhebliche Störung durch Lärm oder ähnliche äußere Einwirkungen zu bemessen ist (Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung).

2. Von einer solchen Störung zu unterscheiden ist aber die Beeinträchtigung der Prüflinge durch die Art und Weise der Aufgabenstellung selbst.

3. Die Berichtigung der für eine Aufsichtsarbeit gestellten Aufgabe durch die Prüfungsbehörde noch während der Bearbeitungszeit ist unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.

4. Die Prüfungsbehörde hat einen weiten Bewertungsspielraum bei ihrer Entscheidung über die Frage, welcher Ausgleich in Anbetracht einer für notwendig gehaltenen Berichtigung des Sachverhalts der Aufgabe einer Aufsichtsarbeit angemessen ist.

 

Normenkette

Art. 3 Abs. 1 GG , Art. 12 GG , Art. 19 Abs. 4 GG , Art. 20 Abs. 3 GG , § 18 Abs. 1 Satz 3 DVStB , § 21 DVStB , § 25 Abs. 2 DVStB und 4 DVStB

 

Sachverhalt

In einer Klausur mit einem bilanzsteuerrechtlichen Aufgabenteil war zu einem Bilanzansatz eine Fußnote enthalten, die den hinter dem Ansatz stehenden Lebenssachverhalt erläutern sollte. Die in dieser Erläuterung enthaltene Jahresangabe war indes sinnwidrig; wäre die Jahresangabe als richtig anzusehen, wäre der Bilanzansatz rechtlich grob falsch; nach einer anderen Erläuterung im Aufgabentext sollte indes von der Richtigkeit der Bilanzansätze ausgegangen werden.

Erst nachdem etwa zwei Stunden der Bearbeitungszeit verstrichen waren, wurde die falsche Jahreszahl von der Prüfungsaufsicht korrigiert, so dass die Aufgabe nunmehr in jeder Hinsicht "stimmig" war. Wegen der unterstellten Beeinträchtigung der Prüfungsteilnehmer wurde die Bearbeitungszeit der Klausur von der beklagten Prüfungsbehörde um eine halbe Stunde verlängert (anders als von den Prüfungsbehörden anderer Länder, die im Hinblick auf denselben Fehler zum Teil z.B. pauschale Bewertungsverbesserungen, zum Teil gar keinen Ausgleich gewährt haben).

Der klagende Prüfling hielt diese Kompensation für ungenügend; er habe sich an dem fehlerhaft gestellten Teil der Prüfungsaufgabe "festgebissen" und ihn nach Bekanntgabe der Korrektur ein zweites Mal bearbeiten müssen. Infolgedessen habe ausreichende Zeit und Ruhe für andere Teile der Prüfungsaufgabe gefehlt.

 

Entscheidung

Der BFH hat im Streitfall eine Kompensation des Fehlers durch Verlängerung der Bearbeitungszeit für zulässig und die gewährte Schreibzeitverlängerung dem Umfang nach für – unter Berücksichtigung des Bewertungsvorrechts der Behörde – ausreichend gehalten. Der Fehler habe nur einen verhältnismäßig unbedeutenden Teil der Aufgabe betroffen; diese habe im Übrigen von ihm unbeeinträchtigt gelöst werden können. Angesichts dessen und des Hinweises auf die zu unterstellende Richtigkeit der Bilanzansätze habe sich ein Prüfling nicht unverhältnismäßig lange mit dem fehlerhaften Aufgabenteil beschäftigen dürfen.

Die unterschiedlichen Kompensationsmaßnahmen anderer Länder seien rechtlich für den Streitfall nicht von Bedeutung; denn die Steuerberaterprüfung sei unbeschadet der einheitlichen schriftlichen Aufgaben eine Landesprüfung.

 

Hinweis

1. Störungen einer schriftlichen Prüfung, die auf "äußeren Einwirkungen" beruhen (wie Lärmbeeinträchtigungen), muss ein Prüfling unverzüglich, spätestens bis zum Ende der Bearbeitungszeit geltend machen (§ 20 Abs. 4 DVStB). Sonst kann er sich nicht darauf berufen, seine Leistungen seien wegen solcher Beeinträchtigungen schlechter ausgefallen als sie sonst ausgefallen wären.

Leistungsbeeinträchtigungen, die aus der eigenen Person des Prüflings herrühren (wie Krankheit, schlechtes Befinden), muss ein Prüfling dadurch geltend machen, dass er nach § 21 DVStB von der Prüfung zurücktritt; das gestattet ihm die DVStB gleichsam bis zum letzten Moment des schriftlichen Prüfungsteils. Er kann dann die (gesamte) Prüfung neu ablegen.

Mit beiden Regelungen soll verhindert werden, dass der Prüfling erst nachdem er sein schlechtes Abschneiden erkannt hat, sich nachträglich aus der Prüfung stehlen kann bzw. eine Verbesserung des Prüfungsergebnisses durch Anhebung der Note zum Ausgleich der geltend gemachten Störung erreichen kann. Außerdem entspricht es der Fairness, der Prüfungsbehörde die Chance zu geben, äußere Störungen abzustellen und dadurch einen ordnungsgemäßen Prüfungsablauf doch noch zu gewährleisten.

2. Sind "äußere" Störungen einer schriftlichen Prüfung rechtzeitig gerügt worden, wird die Prüfungsbehörde versuchen, sie sofort abzustellen, so dass sie sich von vornherein auf das Ergebnis der Prüfung nicht auswirken können. Gelingt ihr das nicht, kann sie versuchen, "Kompensationsmaßnahmen" zu ergreifen, um die eingetretene Beeinträchtigung auszugleichen; sie kann etwa die Bearbeitungszeit um den Zeitraum verlängern, in dem die Prüflinge durch Lärm gestört waren. Ein solcher 1:1-Ausgleich ist bei Lärmstörungen in der Regel erforderlich, aber auch ausreichend.

Es ist im Streitfall vom F...

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