Rz. 749

Dem Arbeitgeber kann es regelmäßig auch zumutbar sein, den Arbeitnehmer für einen anderen freien Arbeitsplatz umzuschulen oder fortzubilden oder ihn auf einem anderen Arbeitsplatz einzuarbeiten, statt eine Beendigungskündigung auszusprechen. Soweit § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG die Weiterbeschäftigungspflicht unter entsprechenden Voraussetzungen ausdrücklich anerkennt, greift diese unabhängig von der gesetzlichen Voraussetzung eines Widerspruchs der Arbeitnehmervertretung. Auch § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG will das ultima-ratio-Prinzip nur konkretisieren, nicht einschränken.[1] Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen kommen insbesondere dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber Arbeitsabläufe umgestaltet oder modernisiert und die Arbeitsplätze ein neues Anforderungsprofil erhalten.

 

Rz. 750

Die Begriffe der Umschulung und Fortbildung sind im Kündigungsschutzgesetz nicht definiert. Die Aufzählung macht allerdings deutlich, dass Bildungsmaßnahmen im weiteren Sinne vor einer Beendigungskündigung in Betracht zu ziehen sind, sofern sie eine Weiterbeschäftigung ermöglichen. Es werden daher sowohl die Weiterbildung im Rahmen eines ausgeübten Berufs als auch die Qualifizierung für eine andere berufliche Tätigkeit erfasst. Eine Umschulung ist dabei die umfassendere Maßnahme, da sie den Erwerb von anderen beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten bezweckt. Sie ist gerichtet auf die Erlangung eines Bündels von anderen Verrichtungsfähigkeiten. Bei einer Fortbildung behält der Arbeitnehmer hingegen die gleiche Funktion, wird aber im Rahmen des bestehenden Arbeitsvertrags im Zuge technischer Entwicklungen oder gestiegener Anforderungen im Beruf qualifiziert.[2]

 

Rz. 751

Welche Umschulung oder Weiterbildung dem Arbeitgeber zumutbar ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Es sind die Belastungen des Arbeitgebers in betrieblicher und wirtschaftlicher Hinsicht gegen das Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt des Arbeitsplatzes abzuwägen. In erster Linie ist die Zumutbarkeit abhängig von der bisherigen und restlichen Beschäftigungsdauer des Arbeitnehmers und der konkreten Vertragsgestaltung. Entscheidend sind auch der zu erwartende Kostenaufwand sowie die Umschulungsfähigkeit des Arbeitnehmers, also die Frage, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Arbeitnehmer nach Abschluss der Maßnahme neue Fertigkeiten und Techniken erworben hat.[3]

Ist ein Arbeitnehmer über einen langen Zeitraum beim Arbeitgeber beschäftigt und ist das Vertragsverhältnis nur mit einer langen Kündigungsfrist zu beenden, wird dem Arbeitgeber eine längere Umschulung und Weiterbildung eher zuzumuten sein. Qualifizierungsmaßnahmen sind grundsätzlich auch nicht zwingend auf den Zeitraum der Kündigungsfrist zu beschränken.[4]

Je weiter das Aufgabengebiet des Arbeitnehmers umschrieben ist und je wahrscheinlicher die Notwendigkeit einer fortlaufenden Qualifizierung nach der Art der Leistung oder des erforderlichen Arbeitsgeräts ist, umso eher ist dem Arbeitgeber die Finanzierung der Fortbildung zuzumuten. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, ob der Arbeitgeber bereits bei der Einstellung des Arbeitnehmers damit rechnen musste, dass eine Umschulung oder Fortbildung in naher Zukunft erforderlich sein wird.[5]

Zudem verhält sich der Arbeitgeber im Hinblick auf § 162 BGB treuwidrig, wenn er andere Arbeitnehmer fortlaufend schult, dies aber bei dem zu kündigenden Arbeitnehmer nicht in Betracht zieht.[6]

Ist die Qualifizierung allerdings mit erheblichen Kosten für den Arbeitgeber verbunden, ist ihm eine solche nur zuzumuten, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über diese Maßnahme auch nachhaltig gesichert werden kann.[7]

Eine Weiterbeschäftigung ist dem Arbeitgeber auch dann nicht zuzumuten, wenn der Arbeitnehmer einer Umschulung widersprochen hat.[8] Dem Gesetzeswortlaut des § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG lässt sich zwar das Erfordernis eines Einverständnisses des Arbeitnehmers nicht eindeutig entnehmen. Nach dem systematischen Zusammenhang kann aber aus der Formulierung auch nicht geschlossen werden, ein Einverständnis sei nur bei einer Beschäftigung zu solchen Arbeitsbedingungen erforderlich, die ohne Umschulung oder Weiterbildung zur Verfügung stünden.[9]

 

Rz. 752

Auch nach zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen kann der Arbeitgeber allerdings nicht auf die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers verwiesen werden, wenn bei Zugang der Kündigungserklärung kein entsprechender anderer Arbeitsplatz, der den erworbenen Qualifikationen des Arbeitnehmers entspricht, frei ist und auch nicht mit hinreichender Sicherheit vorhersehbar ist, dass ein solcher Arbeitsplatz nach Abschluss der entsprechenden Maßnahme frei sein wird. Dem Arbeitgeber ist es nicht zumutbar, einen qualifikationsgerechten Arbeitsplatz erst zu schaffen. Somit hat der Arbeitnehmer keinen "Anspruch" auf Beschäftigung allein zum Zwecke der Qualifikation.[10]

Berücksichtigungsfähig sind allerdings die Arbeitsplätze, die in absehbarer Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist frei werden, sofern dem Arbeitge...

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