Rz. 64

 

Beispiel

In einem Tarifvertrag ist zur Urlaubsabgeltung Folgendes geregelt:

"Eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs ist unzulässig, es sei denn, dass ausscheidenden Arbeitnehmern der Urlaub bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus betrieblichen Gründen nicht mehr gewährt werden kann."

Der Tarifvertrag regelt zudem einen Urlaubsanspruch von 30 Tagen kalenderjährlich. Ein Arbeitnehmer scheidet zum 30.9.2023 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Ihm stehen noch 15 Tage Urlaub aus dem Jahr 2023 zu. Diese kann er bis zum 30.9.2023 nicht mehr nehmen, weil er bis zu diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig erkrankt ist.

Lösung

Nach der Regelung im Tarifvertrag sind die Voraussetzungen, die einen Urlaubsabgeltungsanspruch begründen würden, nicht erfüllt: Der Resturlaub ist nicht aus betrieblichen Gründen gewährt worden, sondern aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen (Krankheit).

Diese Tarifbestimmung ist insoweit nichtig, als hierdurch der dem Arbeitnehmer zustehende gesetzliche Urlaubsanspruch ausgeschlossen oder gemindert wird (§ 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG). Der Übergang des Urlaubsanspruchs in einen Abgeltungsanspruch wird an engere Voraussetzungen geknüpft als in § 7 Abs. 4 BUrlG. Dies verstößt gegen die Unabdingbarkeit des gesetzlichen Urlaubsanspruchs nach § 13 Abs. 1 Satz i. V. m. §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG. Durch eine tarifliche Regelung kann der gesetzliche Urlaubsanspruch und sein Übergang in einen Urlaubsabgeltungsanspruch nicht ausgeschlossen werden[1], weil dieser Anspruch nicht tarifdispositiv, sondern unabdingbar ist.

Sofern und soweit der gesetzliche Urlaubsanspruch entstanden ist, kann er durch Tarifvertrag auch nicht an die Erbringung von Arbeitsleistungen durch den Arbeitnehmer geknüpft werden.[2]

Dem Arbeitnehmer standen nach §§ 1, 3 BUrlG für das Kalenderjahr 2023 an gesetzlichem Urlaub in der 5-Tage-Woche 20 Arbeitstage (24 Werktage) zu. Für diesen Urlaubsanspruch von 20 Arbeitstagen ist mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Urlaubsabgeltungsanspruch insoweit entstanden, als der Urlaub noch nicht genommen war. Der Arbeitgeber hat deshalb gem. § 7 Abs. 4 BUrlG noch 5 Urlaubstage abzugelten (30 Tage abzüglich 15 Tage genommenen Urlaubs = 15 Tage Rest; da hierin 10 Tage an übergesetzlichem Urlaub enthalten sind, hat der Arbeitgeber nur 5 Tage – den gesetzlichen Rest – bis zur Erfüllung der dem Arbeitnehmer zustehenden 20 gesetzlichen Urlaubstage – abzugelten). Im Übrigen greift die tarifliche Regelung, wonach der Urlaubsabgeltungsanspruch gekürzt wird, weil das Ausscheiden nicht auf betrieblichen Gründen beruht.[3]

Dieses Ergebnis wird seit der Entscheidung des EuGH[4] zu Art. 7 der RL 2003/88/EG auch unionsrechtlich gestützt (s. Rz. 38). Danach darf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht deshalb erlöschen, weil der Arbeitnehmer krankheitsbedingt nicht in der Lage war, im Kalenderjahr bzw. Übertragungszeitraum den Anspruch auszuüben. Ihm muss jedenfalls ein Zeitraum von 15 Monaten nach Ablauf des Urlaubsjahres verbleiben, um den Urlaub noch in Anspruch nehmen zu können.[5]

 
Hinweis

Rechtsprechungsentwicklung bei fehlender Tilgungsbestimmung von (über-)gesetzlichen Urlaubsansprüchen (§ 366 Abs. 2 BGB)

Trifft der Arbeitgeber bei der Urlaubsgewährung keine Erfüllungs- bzw. Tilgungsbestimmung, kann sich die Frage stellen, welchen Urlaubsanspruch er mit der tatsächlichen Gewährung von 15 Tagen erfüllen wollte: Den tariflichen Mehrurlaub von 10 Tagen oder den gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Tagen? Zunächst ging die Rechtsprechung ohne nähere Begründung zu § 366 Abs. 2 BGB davon aus, dass zunächst der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch erfüllt werden solle.[6] Da die Tarifvertragsparteien aber zulasten des Arbeitnehmers nur in den tariflichen Mehrurlaubsanspruch eingreifen können, bietet dieser die geringere Sicherheit. Nach § 366 Abs. 2 BGB wäre dann zunächst der tarifliche Anspruch erfüllt worden. Folge ist, dass der – auch unionsrechtlich besonders geschützte – Mindesturlaubsanspruch länger unerfüllt bleibt als der übergesetzliche. Für die überwiegenden Fälle, in denen Tarifverträge ohne Differenzierung zwischen gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaubsanspruch regeln, dass dem Arbeitnehmer ein Urlaubsanspruch von 30 Tagen zusteht, hat das Bundesarbeitsgericht diese Situation zwischenzeitlich dadurch entschärft, dass es angenommen hat, dem Arbeitnehmer stehe nur ein einheitlicher Urlaubsanspruch zu, der im Umfang von 20 Tagen auf 2 Anspruchsgrundlagen beruhe – einer gesetzlichen und einer tariflichen – nicht jedoch 2 unterschiedliche Ansprüche.[7] § 366 Abs. 2 BGB finde dann keine Anwendung. Vielmehr erfülle der Arbeitgeber bis zum Umfang von 20 Urlaubstagen den gesetzlichen und tariflichen Urlaubsanspruch parallel, ohne eine Tilgungsbestimmung treffen zu müssen, dass er den gesetzlichen Anspruch erfüllen will.

Diese Rechtsprechung hat das BAG "nuanciert und weiterentwickelt", indem es die These vom "einheitlichen" Urlaubsanspruch aufgegeben und gleichzeitig die Tilgungsbestimmung des § 366 Abs. 2 ...

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