LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.7.2023, 10 Sa 625/23

Leitsatz (amtlich)

Eine Arbeitnehmerin, die sich in stationärer Behandlung befindet, fehlt nicht unentschuldigt.

Sachverhalt

Die Klägerin war in der Zeit vom 1. bis zum 17.7.2020 in Urlaub. Am folgenden Tag, dem 18.7.2020, erkrankte die Klägerin und musste deshalb stationär im Krankenhaus aufgenommen werden. Unklar und zwischen den Parteien streitig ist, ob die beklagte Arbeitgeberin hierüber durch das Umfeld der Klägerin informiert wurde. Mit Schreiben vom 4.8.2020 erkundigte sich die Beklagte nach dem Verbleib der Klägerin und bat zudem um Rückmeldung. Am 10.8.2020 informierte der Sozialdienst des behandelnden Krankenhauses die Beklagte über die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin. Gleichzeitig wurde für die Klägerin Entgeltfortzahlung an diese gebeten.

Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis außerordentlich. Zudem zahlte sie keine Vergütung für Juli und August 2020 an die Klägerin.

Diese erhob Klage gegen die Kündigung und forderte die Vergütung für Juli und August 2020.

Die Entscheidung

Die Klage hatte Erfolg; denn die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung lagen nach Auffassung des Gerichts hier nicht vor.

Das Gericht begründete dies damit, dass die Beklagte seit dem 10.8.2020 Kenntnis von der bestehenden und fortdauernden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin gehabt hatte, so dass zum Zeitpunkt der Kündigung jedenfalls kein Verstoß mehr gegen die Anzeigepflicht nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz vorgelegen hatte. Zudem hatte die Beklagte dann auch Kenntnis davon gehabt, dass die Klägerin aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit nicht unentschuldigt gefehlt hatte. Weiter führte das Gericht aus, dass selbst wenn die Klägerin zuvor gegen ihre Anzeige- und/oder Nachweispflichten aus dem EFZG verstoßen haben sollte, es sich hierbei um eine auf steuerbarem Verhalten beruhende Vertragspflichtverletzung handelte. Und bei dieser sei – auch nach der ständigen Rechtsprechung des BAG – grundsätzlich davon auszugehen, dass ihr künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden könne. Deshalb setze die ordentliche wie auch die außerordentliche Kündigung grds. eine Abmahnung voraus, die vorliegend fehlte. Und fehle es bereits an einem wichtigen Grund für die außerordentliche, fristlose Kündigung, so komme es auf die Interessenabwägung nicht mehr an.

Anmerkung

Durch dieses Urteil wird deutlich, dass zwischen "unentschuldigtem" und "entschuldigtem" Fehlen zu unterscheiden ist. Beim entschuldigten Fehlen im arbeitsrechtlichen Sinn kommt es nicht auf die Anzeige beim Arbeitgeber und die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an, sondern darauf, ob der Arbeitnehmer gerechtfertigt gefehlt hat.

Zwar ist auch ein entschuldigtes Fehlen im arbeitsrechtlichen Sinne keine Entschuldigung des Arbeitnehmers, dass er seinen Arbeitgeber über das Fehlen nicht benachrichtigt. Allerdings ist diese Pflichtverletzung zunächst mit einer Abmahnung zu ahnden. Und erst bei mehreren Pflichtverletzungen dieser Art kann an eine verhaltensbedingte Kündigung gedacht werden. Bei einem unentschuldigten Fehlen besteht dagegen kein rechtfertigender Grund für das Fehlen, so dass diese Pflichtverletzung durchaus schwerer wiegt.

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