Rz. 10

Um bestandsgefährdende Risiken frühzeitig identifizieren zu können, bedarf es eines Risikoüberwachungssystems, welches jedoch zu einem Risiko- und Chancenmanagementsystem[1] zu erweitern ist, um die Vorteile der Früherkennung auch im Bereich der Chancen nutzen zu können und um eine aktive Steuerung der Risiken zu ermöglichen. Mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung[2] wird es für große Kapital- und denen über § 264a HGB gleichgestellte Personenhandelsgesellschaften ab dem Geschäftsjahr 2025 auch relevant, das Risikomanagementsystem um eine Betrachtung der Auswirkungen des unternehmerischen Handelns auf die Umwelt zu erweitern (ESRS 2-GOV 5).[3] Die Rechnungslegung spielt in diesem Zusammenhang zwei wichtige Rollen.

 

Rz. 11

Zum einen fungiert der Jahresabschluss und zunehmend auch der Lagebericht mit den Nachhaltigkeitsinformationen als Indikator für die Krise, da operativ die Überschuldung direkt und die weiteren Insolvenzauslösetatbestände zumindest indirekt dem Abschluss sowie strategisch die Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells und die Resilienz des Unternehmens – ebenfalls ggf. nur indirekt – dem Lagebericht zu entnehmen sind. Die Rechnungslegung wird somit selber zum Früherkennungsinstrument, indem etwa durch entsprechende Analysen eine mangelnde Zukunftsfähigkeit, verschlechterte Rentabilität, abnehmende Liquidität oder strukturelle Ungleichgewichte offensichtlich werden. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang Plan-Jahresabschlüssen[4] zu, da diese nur intern bekannt sind und somit bei auftretenden Anzeichen einer Krise noch rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen werden können, die extern als solche nicht bekannt werden. Letztlich wird die Fortführungsprognose auch auf der Basis von (Plan-)Jahresabschlüssen erstellt. Darüber hinaus wird es nötig sein, die Abschlüsse intern aus dem Blick der Abschlussadressaten zu analysieren, wobei Erfahrungen aus durchlaufenen Ratingverfahren bei Kreditinstituten einfließen können.[5] Allerdings ist zu bedenken, dass besonders der eher vergangenheitsorientierte Jahresabschluss häufig erst relativ spät auf eine kritische Entwicklung hinzuweisen vermag. Bis sich beispielsweise eine sinkende Kundenzufriedenheit im Jahresabschluss niederschlägt, kann es ggf. Jahre dauern. Für den Lagebericht könnten diese eher strategischen Inforamtionen als Vorlaufindikatoren dagegen ggf. schon früher auffallen. Die Risikoidentifikation muss daher als kontinuierlicher Prozess das Unternehmen als Ganzes sowie das relevante Umfeld betrachten und bereits an qualitativen oder noch nicht monetarisierten Indikatoren auch gerade etwa der Nachhaltigkeitsberichterstattung ansetzen. Letztlich ist das Risikomanagement Teil einer ordnungsmäßigen Geschäftsführung, die jede Entscheidung an den Unternehmenszielen Erfolg und Liquidität unter Beachtung der dabei akzeptierten Risikolage ausrichtet.[6]

 

Rz. 12

Zum anderen müssen der Jahresabschluss und der Lagebericht aber auch die Risiken zumindest in Teilen mit aufnehmen und der Jahresabschluss darf ggf. nicht nach der Unternehmensfortführungsprämisse erstellt werden. Dabei müssen grundsätzlich gem. § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB alle Risiken i. e. S. im handelsrechtlichen Jahresabschluss berücksichtigt werden, die bis zum Abschlussstichtag entstanden bzw. eingetreten sind.[7] Diese Risiken sind auch in monetärer Form in den Bilanzpositionen zu berücksichtigen, was insbesondere die Rückstellungen betrifft. Andere Beispiele für die Risikodarstellung im Jahresabschluss sind außerplanmäßige Abschreibungen. Des Weiteren sind bestimmte Eventualverpflichtungen angabepflichtig. Bei diesen Positionen geht es immer um einzuschätzende, zukünftige und wahrscheinliche Entwicklungen mit negativen Auswirkungen. Gleichwohl werden nicht alle Risiken abgebildet, da etwa im Anlagevermögen das Niederstwertprinzip lediglich gemildert zur Anwendung kommt. Daher ist die Risikodarstellung nach HGB zwar durch das Vorsichtsprinzip geprägt, aber aufgrund der unterstellten Prämissen oft nur sehr ungenau, was eine Interpretation der Daten deutlich erschwert und auch durch den Risikobericht als Teil des Lageberichts häufig nur wenig verbessert wird.

[1] Vgl. Müller/Müller, Unternehmenscontrolling, 3. Aufl. 2020, S. 211 ff.
[3] Vgl. Baumüller/Lopatta/Müller, in Freiberg/Lanfermann, ESRS-Kommentar, 1. Aufl., § 4 Rz. 67 ff. sowie Rz. 99 ff.
[5] Vgl. Müller u. a., Finanzierung mittelständischer Unternehmen nach Basel III, 2. Aufl. 2011, S. 29 ff.
[6] Vgl. Müller, Management-Rechnungswesen, 2003, S. 438.

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