Prof. Dr. Sven Hayn, Dr. Thomas Ströher
Tz. 142
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
In manchen Fällen, insbesondere wenn Verfügungsgewalt nicht über Stimmrechte, sondern über vertragliche Regelungen vermittelt wird, kann auch nach Beurteilung der vertraglichen Rechte unklar bleiben, ob der Investor die maßgeblichen Tätigkeiten bestimmen kann. In diesen Fällen ist zu prüfen, ob Hinweise auf die praktische Fähigkeit des Investors zur einseitigen Lenkung der maßgeblichen Tätigkeiten (IFRS 10.B18ff.) vorliegen. Es könnte sein, dass der Investor die maßgeblichen Tätigkeiten unilateral steuern kann, obwohl keine in dieser Hinsicht eindeutigen vertraglichen Rechte vorliegen. Dies wird nur in Ausnahmefällen der Fall sein (zB wenn in Sanierungssituationen oder bei Fonds bzw. Private-Equity-Strukturen mit bestimmten Partnern zusammengearbeitet wird, die ohne vertragliche Grundlage im Interesse des Investors handeln könnten), da Geschäftsbeziehungen und Entscheidungsbefugnisse grundsätzlich nur auf Basis einer vertraglichen Vereinbarung begründet werden; eine Analyse dieser Rechtsposition des Investors ist daher regelmäßig ausreichend (vgl. Tz. 77 ff.). Die Prüfung, ob Verfügungsgewalt aufgrund praktischer Möglichkeiten vorliegt, ist anhand der maßgeblichen Tätigkeiten vorzunehmen. Dabei sind ua. folgende Faktoren zu berücksichtigen (IFRS 10.B18):
- die Möglichkeit zur Bestimmung oder Genehmigung der Geschäftsleitung, sofern diese die maßgeblichen Tätigkeiten lenken können;
- die Möglichkeit zur Durchsetzung oder Verhinderung von wesentlichen Transaktionen des Beteiligungsunternehmens zugunsten des Investors;
- die Dominierung des Nominierungsprozesses der Mitglieder des Lenkungsorgans;
- die Geschäftsleitung des potenziellen Tochterunternehmens setzt sich aus nahestehenden Personen des Investors iSd. IAS 24 zusammen;
- die Mehrheit der Mitglieder des Lenkungsorgans setzt sich aus nahestehenden Personen des Investors zusammen.
Für ein Beispiel im Zusammenhang mit faktischer Beherrschung über Stimmrechte vgl. Tz. 106b.
Tz. 142a
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
In manchen Fällen können Hinweise dafür vorliegen, dass der Investor eine besondere Beziehung zum Beteiligungsunternehmen (IFRS 10.B19) hat, die über das Halten einer passiven Beteiligung hinausgeht. Auch dies wird nur in Ausnahmefällen der Fall sein, da Geschäftsbeziehungen und Entscheidungsbefugnisse grundsätzlich nur auf Basis einer vertraglichen Vereinbarung begründet werden. Hierbei könnte es sich um folgende Hinweise handeln, die gemeinsam mit der Rechtsposition des Investors oder anderen Indikatoren eine Machtposition begründen können (IFRS 10.B19):
Tz. 142b
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Bei der Beurteilung gilt grundsätzlich: Je mehr der Investor schwankenden Renditen aus dem Beteiligungsunternehmen ausgesetzt ist bzw. je größer das Anrecht des Investors auf Rendite ist, desto größer ist der Anreiz für den Investor, Rechte zu erwerben, die ihm Verfügungsgewalt über die maßgeblichen Tätigkeiten verleihen (IFRS 10.B20), um die schwankenden Renditen auch steuern zu können. Insoweit stellen (das Anrecht auf) schwankende Renditen und die damit verbundenen Risiken einen Indikator für die Macht des Investors dar, diese Renditen steuern zu können. Dieser Indikator ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen. Keine Verfügungsgewalt trotz hoher oder disproportionaler schwankenden Renditen könnte zB vorliegen, wenn bei Sanierungsverhandlungen hohe schwankende Renditen durch Beteiligung an künftigen Erträgen (zB Erlöse aus der Veräußerung von Vermögenswerten) lediglich als Kompensation für eine relativ niedrige Vergütung während der Sanierungsphase vereinbart wurde, ohne dass damit weitergehende Entscheidungsbefugnisse vereinbart wurden. Eine disproportionale Beteiligung tritt in diesen Fällen häufig dadurch ein, dass das Eigenkapital bereits vollständig aufgezehrt wurde und die verbleibenden Risiken vornehmlich den Fremdkapitalinvestor und nicht die Gesellschafter treffen. Es könnte dah...