Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeitpunkt der Anrechnung von KapESt und KSt

 

Leitsatz (NV)

1. Begehrt der Steuerpflichtige die Einbeziehung bestimmter Kapitalerträge in das von ihm zu versteuernde Einkommen, um dadurch im Ergebnis die Anrechnung der Kapitalertrag- und Körperschaftsteuer gemäß §36 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 2 und 3 EStG zu erreichen, so bestehen (auch) Streitigkeiten über die Verwirklichung der Steueransprüche i. S. von §218 Abs. 2 AO 1977, die den Erlaß eines Abrechnungsbescheides rechtfertigen.

2. Die Steueranrechnung hat in jenem Veranlagungszeitraum zu erfolgen, in welchem die entsprechenden Einkünfte und die anrechenbare Körperschaftsteuer erfaßt werden. Darauf, ob dies zu Recht oder zu Unrecht erfolgt ist, kommt es nicht an.

 

Normenkette

EStG § 20 Abs. 1 Nrn. 1-2, § 36 Abs. 2 S. 2 Nrn. 2-3, § 45a; KStG § 44; AO 1977 § 130 Abs. 2, § 218 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Hamburg

 

Tatbestand

Gegen die als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger und Revisionskläger (Kläger) erging am 22. Juli 1992 ein Einkommensteuerbescheid für 1991 (Streitjahr), der am 19. August 1992 geändert wurde. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein mit der "Bitte um Berücksichtigung der Steuerbescheinigung von L-AG vom 16. 6. 1992 für 1991". Beigefügt war die Steuerbescheinigung gemäß §44 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG), §45 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) über die am 16. Juni 1992 für 1991 gezahlte Dividende. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) änderte daraufhin seinen Einkommensteuerbescheid 1991 -- durch Bescheid vom 22. September 1992 -- erneut, berücksichtigte Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe der Bruttodividende von 120 634 DM, rechnete u. a. die bescheinigte Kapitalertragsteuer von 19 302 DM sowie Körperschaftsteuer von 43 429 DM an und errechnete ein entsprechendes Steuerguthaben. Es folgten weitere Änderungsbescheide wegen anderer, hier nicht in Streit stehender Punkte, zuletzt vom 13. Dezember 1993, durch die sich das Guthaben auf 18 788 DM erhöhte.

Im weiteren Verlauf änderte das FA -- gemäß §174 der Abgabenordnung (AO 1977) -- mit Bescheid vom 8. April 1994 den Einkommensteuerbescheid 1991 ein weiteres Mal, ließ die besagten Kapitaleinkünfte darin unberücksichtigt und legte sie im Bescheid für 1992 (ebenfalls vom 8. April 1994) der Besteuerung zugrunde. Die auf die Dividende für 1991 entfallende anrechenbare Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer wurden nunmehr auf die für 1992 festgesetzte Einkommensteuer angerechnet. Das sich hiernach ergebende Steuerguthaben wurde mit den zurückzufordernden Erstattungsbeträgen aus 1991 verrechnet.

Die Kläger wandten sich gegen den für 1991 geänderten Bescheid mit Einspruch, weil die Voraussetzungen des §174 AO 1977 nicht vorlägen und es deshalb auch bei der Anrechnung der anrechenbaren Steuern bleiben müsse. Das FA erließ daraufhin am 22. Dezember 1994 einen Abrechnungsbescheid gemäß §218 Abs. 2 AO 1977, den die Kläger ebenfalls anfochten. Die Einsprüche blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der gegen den Einkommensteuerbescheid gerichteten Klage statt, wies die gegen den Abrechnungsbescheid gerichtete Klage aber ab. Die Entscheidungsgründe sind in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 1343 abgedruckt.

Ihre Revision begründen die Kläger mit Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragen, das FG-Urteil hinsichtlich des Abrechnungsbescheides vom 22. Dezember 1994 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. März 1995 und auch den Abrechnungsbescheid vom 22. Dezember 1994 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. März 1995 selbst aufzuheben oder den Bescheid mit der Maßgabe zu ändern, daß ausgehend von einer Einkommensteuer von 67 430 DM Kapitalertragsteuer von 19 302 DM und Körperschaftsteuer von 43 429 DM angerechnet werden, bzw. -- sollte eine Aufhebung oder Änderung des Abrechnungsbescheides im gewünschten Umfang nicht möglich sein -- den Einkommensteuerbescheid 1991 vom 8. April 1994 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. März 1995 bestehen zu lassen.

Das FA beantragt, der Revision insoweit stattzugeben, als sie die Einkommensteuer 1991 betrifft, und im übrigen die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

1. Der Senat versteht die Kläger so, daß sie sich mit ihrem Revisionsbegehren in erster Linie gegen den Abrechnungsbescheid gemäß §218 Abs. 2 AO 1977 wenden. Im Hinblick hierauf ist die Revision begründet.

a) Das FA durfte zwar einen derartigen Bescheid erlassen, obwohl die Kläger sich zunächst nur gegen die Nichtberücksichtigung der in 1992 zugeflossenen Kapitalerträge in dem Einkommensteuerbescheid 1991 gewandt hatten. Dieses Begehren implizierte indes -- wie sich gerade an dem vorliegenden Rechtsstreit erweist -- zwangsläufig die Anrechnung der auf die fraglichen Kapitalerträge entfallenden Abzugsteuern, weil die Anrechnung der anrechenbaren Steuern gemäß §36 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 EStG die zuvorige Erfassung der entsprechenden Kapitalerträge gemäß §20 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und -- jedenfalls vom Veranlagungszeitraum 1996 an (§36 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f i. V. m. §52 Abs. 1 EStG i. d. F. des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11. Oktober 1995, BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438; vgl. Senatsurteil vom 6. Oktober 1993 I R 101/92, BFHE 172, 370, BStBl II 1994, 191) -- Nr. 3 EStG bei der Steuerfestsetzung voraussetzt (vgl. §36 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 und Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG; Bundesfinanzhof -- BFH --, Urteile vom 27. März 1996 I R 87/95, BFHE 180, 332, BStBl II 1996, 473, m. w. N.; vom 19. Juli 1994 VIII R 58/92, BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 16. Aufl., §36 Rz. 63). Insofern bestanden zwischen den Klägern und dem FA im Ergebnis (auch) Streitigkeiten i. S. von §218 Abs. 2 AO 1977 über die Verwirklichung dieser Ansprüche, die den Erlaß eines Abrechnungsbescheides rechtfertigten. Die Entscheidung über den Erlaß eines solchen Bescheides war nicht antragsabhängig, sondern konnte von Amts wegen ergehen (BFH-Urteil vom 12. Juni 1986 VII R 103/83, BFHE 147, 1, BStBl II 1986, 702).

b) Der Abrechnungsbescheid erweist sich aber in der Sache als unrichtig. Nachdem das FG der Klage der Kläger entsprochen hat, soweit sich diese gegen die Festsetzung der Einkommensteuer 1991 richtete, steht fest, daß die in Rede stehenden Dividenden im Streitjahr 1991 steuerlich zu erfassen sind. Der insoweit angefochtene Steuerbescheid ist bestandskräftig (siehe unten unter 2.). Davon ausgehend mußte die auf diese Dividende entfallende Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer angerechnet werden. Daß die gemäß §44 KStG, §45 a EStG erteilte Bescheinigung der ausschüttenden Körperschaft den 16. Juni 1992 als Ausschüttungszeitpunkt auswies, ändert daran nichts. Maßgebend für die Anrechenbarkeit sind allein die Regelungen in §36 EStG. Danach ist die Bescheinigung zwar materiell-rechtliche Voraussetzung für die Anrechenbarkeit der Kapitalertragsteuer und Körperschaftsteuer (§36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Satz 2 und Nr. 3 Satz 4 Buchst. b EStG; Urteil in BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362, m. w. N.). §36 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 EStG bestimmt indes nicht, zu welchen Zeitpunkten die Steueranrechnungen vorzunehmen sind. Voraussetzung insofern ist, wie erwähnt (oben unter a), lediglich, daß die entsprechenden Einkünfte und die anrechenbare Körperschaftsteuer bei der Veranlagung erfaßt werden. Ob dies zu Recht oder zu Unrecht erfolgt ist, ist unerheblich (einhellige Auffassung, vgl. Dötsch in Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, Die Körperschaftsteuer, §36 EStG Rz. 102; Brenner in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, §36 Rdnr. E 107; Schmidt/Heinicke, a.a.O., §36 Rz. 53; Blümich/Stuhrmann, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 15. Aufl., §36 EStG Rz. 56; Zimmermann in Lademann, Einkommensteuergesetz, §36 Rz. 27 und 67; Wassermeyer, GmbH-Rundschau 1989, 423, 424; Seemann in Frotscher, Einkommensteuergesetz, §36 Rz. 73 und 105; Conradi in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., §36 EStG Rz. 21 und 63; vgl. auch BFH-Urteil vom 26. Juni 1991 XI R 24/89, BFHE 165, 206, BStBl II 1991, 877). Damit war die Anrechnung der Kapitalertragsteuer und der Körperschaftsteuer im Streitjahr gerechtfertigt. Ob es dadurch -- wegen der erneuten Berücksichtigung der in Rede stehenden Dividenden im Folgejahr -- zu einer nochmaligen Anrechnung dieser Beträge kommen kann, kann vorliegend dahinstehen.

c) Auf die weiteren zwischen den Beteiligten streitigen Fragen kommt es nicht mehr an. Insbesondere bedurfte es keiner Äußerung des Senats dazu, ob und unter welchen Umständen im Rahmen eines Abrechnungsbescheides eine zeitlich vorangehende Anrechnungsverfügung geändert werden kann (§130 AO 1977; vgl. dazu einerseits Senatsurteile vom 28. April 1993 I R 100/92, BFHE 171, 397, BStBl II 1993, 836, und I R 123/91, BFHE 170, 573, BStBl II 1994, 147; andererseits Urteil des VII. Senats des BFH vom 15. April 1997 VII R 100/96, BFHE 182, 506).

2. Über die hilfsweise gegen den Einkommensteuerbescheid 1991 gerichtete Revision der Kläger braucht mithin nicht mehr entschieden zu werden (zur Zulässigkeit der Eventualklage siehe Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., §43 FGO Rz. 21 ff., m. w. N.; ferner auch BFH-Urteil vom 17. November 1987 VII R 68/85, BFH/NV 1988, 457).

Der Antrag des FA, der Revision wegen des Einkommensteuerbescheides insoweit "stattzugeben", geht ins Leere. Selbständige Revision oder auch Anschlußrevision, wie dies aus seiner Sicht wohl folgerichtig gewesen wäre, hat das FA nicht eingelegt.

3. Die Vorinstanz hat im Ergebnis eine abweichende Auffassung vertreten. Ihr Urteil war, soweit es den Abrechnungsbescheid betrifft, aufzuheben. Der Bescheid ist zu ändern, indem -- wie beantragt -- für 1991 Kapitalertragsteuer von 19 302 DM und Körperschaftsteuer von 43 429 DM auf die für dieses Jahr festgesetzte Einkommensteuerschuld von 67 430 DM angerechnet werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66528

BFH/NV 1998, 581

DStRE 1998, 305

DStZ 1998, 486

HFR 1998, 539

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