Rz. 26

Sofern der Beteiligte seinen Mitwirkungspflichten nicht bzw. nicht hinreichend nachkommt, er diese also verletzt, endet damit nicht zwangsläufig die Amtsermittlungspflicht der Finanzbehörde. Sie darf die weitere Sachaufklärung nicht einstellen, sondern muss vielmehr versuchen, die entscheidungserheblichen Tatsachen zu ermitteln, solange und soweit sonstige Aufklärungsmittel zugänglich sind und deren Inanspruchnahme für die Finanzbehörde verhältnismäßig und zumutbar ist.[1] Dieser Grundsatz liegt z. B. § 93 Abs. 1 S. 3 AO zugrunde. Weitere Maßnahmen zur Sachaufklärung können von der Finanzbehörde jedoch nicht verlangt werden, wenn der Beteiligte einziger Wissensträger ist bzw. zu bestimmten Umständen allein Zugang hat.[2]

 

Rz. 27

Im Übrigen führt eine Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Beteiligten regelmäßig (aber nicht stets) zu einer Einschränkung der Amtsermittlungspflicht der Finanzbehörde sowie zu einer Minderung des Beweismaßes. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der Finanzbehörde umso weniger zur Untersuchung veranlassende Anhaltspunkte zur Verfügung stehen, je weniger der Beteiligte zur Sachverhaltsaufklärung beiträgt. Zwischen der Intensität der Mitwirkung auf der einen und der Aufklärungsplicht der Finanzbehörde auf der anderen Seite besteht insofern eine Wechselbeziehung.[3] Für die Beantwortung der Frage, in welchem Umfang sich die Sachaufklärungspflicht der Finanzbehörde reduziert, sind als maßgebliche Gesichtspunkte der Grad der Pflichtverletzung, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Gedanke der Zumutbarkeit, die gesteigerte Mitverantwortung aus vorangegangenem Tun und insbesondere die Beweisnähe heranzuziehen.[4]

 

Rz. 28

Die Verletzung der Mitwirkungspflichten bewirkt aber keine Umkehr der objektiven Beweislast (Feststellungslast), sondern das Verhalten des Beteiligten ist zusammen mit allen anderen Umständen des Einzelfalls im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu berücksichtigen.[5]

 

Rz. 29

Im Regelfall wird die Pflichtverletzung Folgerungen zulasten des Beteiligten rechtfertigen.[6] So kann die Finanzbehörde einen Erlassantrag wegen fehlender Substanziierung der für die Ermessensausübung wesentlichen, in der Person des Antragstellers liegenden Tatsachen ablehnen.[7] Die Verletzung der Mitwirkungspflicht kann aber immer nur dann zu nachteiligen Folgen führen, wenn zumindest Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das betreffende Beweismittel eine weitere Sachverhaltsaufklärung ermöglicht hätte.[8]

 

Rz. 30

Darüber hinaus kann aus einer Verletzung der Mitwirkungspflicht und der sich daraus ergebenden Unaufklärbarkeit des Sachverhalts eine Schätzungsbefugnis[9] der Finanzbehörde folgen. Hierbei bleibt der Stpfl. indes auch nach erfolgter Schätzung zur Mitwirkung verpflichtet, wobei die Durchsetzung der Mitwirkung in der Regel ermessensfehlgebräuchlich sein dürfte, wenn die hieraus gewonnenen Erkenntnisse im Rahmen einer geänderten Festsetzung nicht mehr berücksichtigt werden können (z. B. Schätzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung).[10] Eine Schätzung kommt ferner in Betracht, wenn Vertreter oder Geschäftsführer in Haftungsfällen ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen[11] oder ein Beteiligter diese Pflicht verletzt, weil gegen ihn ein Strafverfahren läuft und er sich nicht selbst belasten will.[12] Eine Schätzung ist auch zulässig, ohne dass die Finanzbehörde zuvor den Versuch unternommen hat, die Mitwirkung nach §§ 328ff. AO zu erzwingen.[13]

 

Rz. 31

Außerdem kann eine Verletzung der Mitwirkungspflichten dazu führen, dass die Finanzbehörde trotz Verletzung ihrer Aufklärungspflicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO von einer Änderungsmöglichkeit zulasten des Beteiligten Gebrauch machen kann.[14] Dies gilt jedoch nur soweit, wie die Finanzbehörde keine Ermittlungspflichtverletzung trifft. Gibt der Stpfl. seine Steuererklärung ordnungsgemäß ab und wird diese im Rahmen eines Risikomanagementsystems[15] einer vollautomatischen Veranlagung zugeführt, so können Fehler, die aus Hinweisen in Freitextfeldern[16] oder Anlagen und Belegen hervorgegangen wären, nicht zu einer Änderung zulasten des Stpfl. herangezogen werden.[17] Insoweit kann für eine im Risikomanagementsystem generell angelegte Entscheidung zur Aufgriffs- und Ermittlungstiefe nichts anderes gelten, als für eine im Einzelfall getroffene Entscheidung im Rahmen der Amtsermittlung. Schließlich setzt die Änderung eines Steuerbescheids wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel, die zu einer niedrigeren Steuer führen, nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO voraus, dass den Beteiligten am nachträglichen Bekanntwerden dieser Umstände kein grobes Verschulden trifft.[18]

 

Rz. 32

Keine Folge verletzter Mitwirkungspflicht ist dagegen die Begründung einer Beweisführungslast oder auch subjektiven Beweislast. Eine solche ist dem Verfahrensrecht der AO grundsätzlich fremd.[19] Der Beteiligte ist nicht verpflichtet, einen bestimmten Beweis zu führen.[20]

[1] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 90 AO Rz. 29; Schnitger, BB 2002, 332; Martin, BB 1986, 1021.

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