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Der Beitrag betrachtet den üblichen Weg der Schadensregulierung nach einem Verkehrsunfall, bei dem der Geschädigte in der Regel ein Sachverständigengutachten in Auftrag gibt, sein Kfz in einer Werkstatt reparieren lässt und für die Dauer der Instandsetzung einen Mietwagen nutzt. In allen drei Fällen werden die Kosten als Schadensersatzansprüche an die jeweiligen Beauftragten abgetreten. Handelt es sich bei solchen Abtretungen um Verträge zu Lasten Dritter? Wie beurteilt der BGH dieses Vorgehen und welche Auswirkungen hat dessen Rechtsprechung auf die Regulierungspraxis der Versicherer?

A. Einleitung

Nach einem unverschuldeten Unfall erteilt der Geschädigte im Regelfall einer Werkstatt den Reparaturauftrag und unterzeichnet gleichzeitig den Auftrag an einen Sachverständigen und den Vertrag mit einem Mietwagenunternehmen. Seine Schadenersatzansprüche tritt er gegenüber der Reparaturwerkstatt, dem Mietwagenunternehmen und dem Sachverständigen ab.

Beauftragung und Abtretung erfolgen ohne Prüfung der Schadenhöhe, die zu diesem Zeitpunkt ohnehin noch nicht feststeht und weil im Übrigen der Geschädigte darauf vertraut, dass die Kosten von der gegnerischen Haftpflichtversicherung getragen werden.

Es entsteht der Eindruck von "Verträgen zu Lasten Dritter", die unsere Rechtsordnung nicht kennt. Der Schuldner (Geschädigter) geht davon aus, dass er selbst keine Zahlungsverpflichtung eingeht.

Die Abtretungsempfänger machen dann gegenüber dem Haftpflichtversicherer ihre Werklohnansprüche, Mietwagenkosten und Sachverständigenkosten als Schadenersatzanspruch des Geschädigten geltend. Die Zessionare vertreten die Auffassung, die Höhe der Rechnungen könne nicht beanstandet werden, da es sich insoweit um einen Schadenersatzanspruch des Geschädigten handele, der diesem auch ungekürzt zu ersetzen sei.

In der Regulierungspraxis hat sich die vermeintliche Auffassung durchgesetzt, die Reparatur des Fahrzeugs, die Erstellung des Gutachtens und die Nutzung eines Mietwagens seien Teil der Naturalrestitution. Insoweit seien die Leistungserbringer nicht Erfüllungsgehilfen des Geschädigten, vielmehr des Schädigers, so dass nicht zu überprüfen sei, ob und inwieweit die in Rechnung gestellten Kosten angemessen sind.

Literatur und Rechtsprechung verweisen in dem Zusammenhang auf eine Entscheidung des BGH vom 29.10.1974.[1]

Im Leitsatz dieser Entscheidung heißt es: "Die Werkstatt ist nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten". Der Umkehrschluss, die Werkstatt sei dann Erfüllungsgehilfe des Schädigers, ist unzutreffend und ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des BGH vom 29.10.1974.

[1] VI ZR 42/73, NJW 1975, 160 = VersR 1975, 184.

B. Rechtsprechung des BGH

Die ZPO-Reform 2002 hat dazu geführt, dass auch gegen Berufungsurteile der Landgerichte die Revision möglich ist (§ 542 Abs. 1 ZPO). Seit dieser Zeit hat sich der 6. Zivilsenat des BGH in einer unübersehbaren Zahl von Entscheidungen mit der Schadenregulierung bei Verkehrsunfällen befasst. Allein zur Erstattungsfähigkeit von Mietwagenkosten sind mehr als 50 Urteile ergangen.

In allen Entscheidungen wird nahezu wortgleich die Urteilsbegründung aus der Entscheidung vom 29.10.1974[2] wiederholt:

"Ihm (dem Geschädigten) sind die Mittel für diejenigen Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, die ein verständiger Fahrzeugeigentümer in der besonderen Lage des Geschädigten zur Schadensbeseitigung treffen würde."

In der Entscheidung des BGH vom 19.7.2016[3] heißt es:

"Der Geschädigte kann jedoch vom Schädiger nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen".

[2] VI ZR 42/73, NJW 1975, 160 = VersR 1975, 184.
[3] VI ZR 491/15, zfs 2017, 23, 24.

I. BGH, Urteil vom 29.10.1974 (VI ZR 42/73)

Gegenstand dieses Rechtsstreits waren die von einer Reparaturwerkstatt in Rechnung gestellten Reparaturkosten sowie Mietwagenkosten. Der Versicherer hatte sich darauf berufen, dass die Reparaturkosten übersetzt seien. Die Mietwagenkosten könnten nicht in vollem Umfang ersetzt werden, da die Reparaturwerkstatt die Durchführung der Reparaturarbeiten verzögert habe. Der BGH führt aus, dass dem Geschädigten ein mitwirkendes Verschulden gem. § 254 BGB nicht ange lastet werden könne, wenn ihn bei der Auswahl und Beauftragung der Werkstatt kein Verschulden treffe. Im Rahmen der Schadenminderungsobliegenheit sei die Werkstatt nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten.

Der Geschädigte könne nicht mit dem "Werkstattrisiko" belastet werden, es seien auch grundsätzlich die Mehrkosten zu ersetzen, "die ohne eigene Schuld des Geschädigten die von ihm beauftragte Werkstatt infolge unwirtschaftlicher oder unsachgemäßer Maßnahmen verursacht hat".

Auch in dieser Entscheidung wird ausdrücklich klargestellt, dass die tatsächlich durchgeführte Reparatur kein Fall der Restitution gem. § 249 S. 1 BGB a.F. ist, vielmehr ein Fall nach § 249 S. 2 BGB a.F. (§ 249 Abs. 2 S. 1 BGB n.F.): Es sei davon auszugehen, "dass der Geschädigt...

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