I. Einleitung

Seit dem 30.5.2017 ist die Neuregelung des § 114 StGB in Kraft getreten (Vorschrift eingefügt durch das 52. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften vom 23.5.2017, BGBl I, S. 1226 f.) und sorgt trotz der zwischenzeitlich vergangenen zwei Jahre weiterhin für Ungewissheit in der Praxis. Insbesondere die Auslegung des Begriffs des "tätlichen Angriffs" wird unterschiedlich beurteilt (enge Auslegung Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510 ff.; weite Auslegung OLG Hamm, Beschl. v. 12.2.2019 – 4 RVs 9/19, BeckRS 2019, 3129; auch eher eine weite Auslegung bejahend Kulhanek, JR 2018, 551, 555). Der folgende Beitrag greift den bisherigen Meinungsstand zur Auslegung sowie das Verhältnis und die Abgrenzung zwischen § 113 und 114 StGB auf. Abschließend werden praktische Beispielsfälle dargestellt, um Leitlinien für die Anwendbarkeit des § 114 StGB an die Hand zu geben.

II. Rechtliche Einordnung des § 114 StGB

Mit der Einführung des § 114 StGB sollte der Schutz für Vollstreckungsbeamtinnen und -beamte sowie von Rettungskräften verbessert werden (BT-Drucks 18/1161 vom 14.2.2017, S. 1). Insbesondere Polizisten und andere Vollstreckungsbeamte sind nicht mehr nur Opfer von "Widerstandsdelikten", sondern auch von "Gewaltdelikten", z.B. Körperverletzungen, Mord, Totschlag (BT-Drucks 18/1161 vom 14.2.2017, S. 1). Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, wurde die Tatbegehungsform des tätlichen Angriffs aus § 113 StGB herausgelöst und in § 114 StGB als selbstständiger Straftatbestand mit verschärftem Strafrahmen (Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren) ausgestaltet (BT-Drucks 18/1161 vom 14.2.2017, S. 1). Aufgrund der erhöhten Strafandrohung erlangt der Tatbestand des § 114 StGB im Vergleich zu der vorherigen Gesetzeslage immer mehr an praktischer Bedeutung (Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510 ff.). Zwar wurde das Merkmal des tätlichen Angriffs in § 113 StGB a.F. bereits als unmittelbar auf den Körper zielende gewaltsame Einwirkung, ohne dass es auf einen Verletzungserfolg oder -vorsatz ankommen würde, ausgelegt und die Erheblichkeitsschwelle eher niedrig angesetzt, aber ein derart weites Verständnis der Tathandlung ist angesichts der erheblich erhöhten Strafandrohung und der veränderten Schutzrichtung des § 114 StGB nicht mehr vertretbar (Busch/Singelnstein, a.a.O. 512). Aus diesem Grunde muss sich erneut mit der Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auseinandergesetzt werden, denn neben der erhöhten Strafandrohung legt auch bereits der Wortsinn eine gewisse Erheblichkeit nahe (Busch/Singelnstein, a.a.O., 512).

III. Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs

Wie bereits erörtert, ist ein tätlicher Angriff eine mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper des Beamten oder Soldaten zielende Einwirkung (Schönke/Schröder/Eser, StGB, 30. Aufl. 2019, § 114, Rn 4), wobei bei einer weiten Auslegung des Begriffs eine körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz des Täters nicht erforderlich ist (OLG Hamm, Beschl. v. 12.2.2019 – 4 RVs 9/19, BeckRS 2019, 3129, Rn 12). Somit muss es weder zur körperlichen Verletzung kommen noch muss eine solche gewollt sein (Fischer, StGB, 66. Aufl., § 114, Rn 5; Schönke/Schröder/Eser, a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.). Dadurch wären bereits Handlungen unter der Schwelle der versuchten Körperverletzung vom Begriff des tätlichen Angriffs umfasst. So z.B. eine angedeutete Kopfnuss gegen einen Polizeibeamten, die diesen jedoch nicht treffen sollte. Gerechtfertigt wird diese Sichtweise mit der gesetzgeberischen Intention, dass der Amtsträger durch eine erhöhte Strafandrohung mehr geschützt werden soll (OLG Hamm, a.a.O.). Damit schützt § 114 StGB das individuelle Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit der Vollstreckungsbeamten und ihnen gleichgestellter Personen (Busch/Singelnstein, a.a.O., 511). Ob dies mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, wird kritisch beurteilt (BeckOK StGB/Dallmeyer, 42. Ed. 1.5.2019, § 114, Rn 2, Busch/Singelnstein, a.a.O., 511). Denn die körperliche Unversehrtheit der Vollstreckungsbeamten und ihnen gleichgestellter Personen wird mehr geschützt als die körperliche Unversehrtheit sonstiger Personen, die nur durch § 223 StGB, der eine niedrigere Strafandrohung vorsieht, geschützt wird. Der Gleichheitssatz ist jedoch erst dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt (BeckOK Grundgesetz/Kischel, 41. Ed. 15.5.2019, GG, Art. 3, Rn 17). Für die Ungleichbehandlung bezüglich des Schutzes der körperlichen Unversehrtheit von Vollstreckungsbeamten und ihnen gleichgestellten Personen im Vergleich zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der sonstigen Personen leuchtet jedoch ein vernünftiger sachlicher Grund ein. Denn insb. die Vollstreckungsbeamten sind aufgrund ihrer Tätigkeit einem erhöhten Gefahrenpotenzial hinsichtlich ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt. Aber auch die Amtsträger i.S.d. § 11 Nr. 2 StGB und Soldaten der ...

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