Leitsatz

Der Vorstand der beklagten AG hatte kurzfristig - innerhalb von einem Tag - eine Hauptversammlung einberufen und dabei bewusst die Ladung eines Aktionärs unterlassen, weil dieser gegen die Mitteilungspflicht gem. § 20 AktG (Anzeige des Überschreitens bestimmter Anteilsschwellen (25 %, 50 %)) verstoßen hatte. Die bei der Hauptversammlung erschienenen übrigen Aktionäre verzichteten auf die Einhaltung aller in Satzung und Gesetz vorgeschriebenen Formen und Fristen und beschlossen u.a. eine Kapitalerhöhung unter Ausschluss des nicht geladenen Aktionärs vom Bezugsrecht.

Mit Urteil vom 31.5.2007 hat das OLG Schleswig entschieden, dass alle Beschlüsse der Hauptversammlung, insbesondere der Kapitalerhöhungsbeschluss, von dem nicht geladenen Aktionär wirksam angefochten wurden und damit nichtig sind.

Der Aktionär konnte die Beschlüsse zwar nicht mit der Begründung anfechten, dass er zu der Hauptversammlung nicht geladen worden sei. Denn der Aktionär hatte der AG nicht gem. § 20 Abs. 1 AktG schriftlich mitgeteilt, dass ihm mehr als 25% der Aktien gehörten. Dass der AG tatsächlich bekannt war, dass dem Aktionär mehr als 25% der Aktien zustanden, war unbeachtlich. Aufgrund des Verstoßes gegen die Mitteilungspflicht stand dem Aktionär daher weder ein Teilnahmerecht noch ein Stimmrecht bei der Hauptversammlung zu und er musste daher auch nicht zur Hauptversammlung geladen werden.

Die Anfechtungsklage des Aktionärs war jedoch aus einem anderen Grund erfolgreich: Im Ausschluss des nicht geladenen Aktionärs vom Bezug neuer Aktien sah das OLG Schleswig einen unzulässigen Sondervorteil der erschienenen Aktionäre (§ 243 Abs. 2 AktG). Und die Anfechtung wegen eines Sondervorteils ist möglich, obwohl der Aktionär zeitweilig sein Teilnahme- und Stimmrecht verloren hat, weil das Gesetz hierfür ausnahmsweise die bloße Aktionärseigenschaft genügen lässt (vgl. § 245 Nr. 3 AktG).

Außerdem wendete das OLG Schleswig den Tatbestand des "Sondervorteils" gem. § 243 Abs. 2 AktG höchst ausnahmsweise auch auf alle weiteren Beschlüsse an: Sie waren nichtig, weil der Vorstand der AG und die anderen Aktionäre den zeitweiligen Rechtsverlust eines Aktionärs gezielt ausnutzten. Darin lag nach Ansicht des OLG Schleswig eine sittenwidrige Schädigung und Verletzung der Treuepflicht, die ausnahmsweise die Anfechtung gem. § 243 Abs. 2 AktG rechtfertigt.

 

Hinweis

Gemäß § 20 Abs. 1 AktG hat ein Unternehmen, das mehr als 25% der Aktien einer AG hält, dies der AG unverzüglich schriftlich mitzuteilen, d.h. z.B. durch Schreiben, das eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet ist und im Original zugehen muss. Nicht ausreichend ist daher eine E-Mail, ein Telefax oder ein eingescanntes Schreiben, das per E-Mail versendet wird (so im Fall des OLG Schleswig). Nach § 20 Abs. 6 AktG hat sodann die AG die ihr mitgeteilte 25%-ige Beteiligung unverzüglich in den Gesellschaftsblättern, also zumindest im elektronischen Bundesanzeiger, bekannt zu machen (Beteiligungspublizität). Die Regelung dient dem Zweck, Aktionäre, Gläubiger und die Öffentlichkeit über bestehende oder entstehende Konzernbildungen zu informieren und ist daher auf Unternehmen als Aktionäre beschränkt - Privatpersonen als Aktionäre brauchen unabhängig von der Höhe ihrer Beteiligung diese nicht zu melden. Es bestehen weitere Schwellenwerte, bei denen eine Mitteilungspflicht besteht, z.B. bei Erwerb von mehr als 50% der Aktien einer AG (§ 20 Abs. 4 AktG). Die Mitteilungspflicht besteht auch bei Gründung einer AG und auch dann, wenn allen Beteiligten (Mitaktionäre, Vorstand, Aufsichtsrat) die Höhe der Beteiligung bekannt ist.

Solange die Mitteilungspflicht gem. § 20 Abs. 1 und Abs. 4 AktG nicht erfüllt wurde, bestehen gem. § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG die Rechte aus diesen Aktien nicht (zeitweiliger Rechtsverlust): So kann beispielsweise das Teilnahmerecht an der Hauptversammlung und das Stimmrecht bis zur Erfüllung der Pflicht nicht ausgeübt werden. Ausgenommen sind gem. § 20 Abs. 7 Satz 2 AktG nur der Anspruch auf Verteilung des Bilanzgewinns (§ 58 Abs. 4 AktG) und der Anspruch auf Verteilung des Liquidationsüberschusses (§ 271 AktG), sofern die Mitteilung nicht vorsätzlich unterlassen wurde und nachgeholt worden ist (zeitweiliges Ruhen von Rechten). Sobald die Mitteilung nachgeholt wird, können diese zwei Mitgliedschaftsrechte für die Vergangenheit geltend gemacht werden.

Auch der umgekehrte Fall, d.h. wenn der Aktionär die Schwellenwerte von mehr als 25% oder 50% der Aktien unterschreitet, muss unverzüglich schriftlich mitgeteilt werden (§ 20 Abs. 5 AktG). Die Verletzung dieser Mitteilungspflichten führt jedoch nicht zu einem Rechtsverlust, weil die anderen Aktionäre, die Gläubiger und die Öffentlichkeit bei einer Verringerung der Beteiligung weniger schutzwürdig sind.

Der (zeitweilige) Rechtsverlust hat in der Praxis insbesondere für die Beschlussfassung in der Hauptversammlung gravierende Folgen:

  • für die AG: Werden bei der Abstimmung die Stimmen des Aktionärs, der über mehr als 25% (oder mehr als 50...

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