Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankheitsbedingte Kündigung

 

Orientierungssatz

Frühere Fehlzeiten, die bereits zur Begründung einer früheren krankheitsbedingten Kündigung herangezogen worden sind und die in einem Vorprozess die notwendige negative Gesundheitsprognose noch nicht belegen konnten, können grundsätzlich zur Begründung einer erneuten negativen Gesundheitsprognose und krankheitsbedingten Kündigung herangezogen werden.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 19.11.2004; Aktenzeichen 7 (11) Sa 1292/04)

ArbG Wuppertal (Urteil vom 28.04.2004; Aktenzeichen 6 Ca 872/04-3)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 19. November 2004 – 7 (11) Sa 1292/04 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten ordentlichen Kündigung.

Der am 19. Februar 1962 geborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 2. Februar 1980 bei der Beklagten als Maschinenarbeiter in der Presserei im Akkord tätig. Er ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 30; eine Gleichstellung ist nicht erfolgt.

Der Kläger wies seit Beginn seiner Tätigkeit folgende Fehlzeiten auf, für die die Beklagte jährlich insgesamt die aufgelisteten Entgeltfortzahlungen leistete:

JAHR

Kranktage

Kranktage mit Efz

Bruttoentgeltfortzahlung in €

AG-Anteile in €

Gesamtaufwendungen in €

1980

22

22

1.292,89

230,14

1.523,03

1981

6

6

359,66

64,92

423,69

1982

0

0

0,00

0,00

0,00

1983

19

19

1.183,62

210,68

1.394,30

1984

25

25

1.586,79

282,45

1.869,24

1985

24

24

1.551,55

276,17

1.827,72

1986

52

51

3.357,01

597,55

3.954,56

1987

79

66

4.499,26

818,86

5.318,12

1988

27

27

1.904,11

346,55

2.250,66

1989

30

30

2.150,95

391,48

2.542,43

1990

44

44

3.436,56

583,58

3.790,04

1991

39

39

2.933,83

547,16

3.480,99

1992

24

24

1.898,69

349,36

2.248,05

1993

62

54

4.449,61

832,08

5.281,69

1994

40

40

3.370,97

659,02

4.029,99

1995

63

30

2.648,82

528,44

3.177,26

1996

50

45

4.053,57

820,85

4.874,44

1997

38

38

3.462,31

725,35

4.187,66

1998

19

19

1.753,16

367,29

2.120,45

1999

66

66

6.314,95

1.297,72

7.612,67

2000

112

66

6.330,70

1.294,63

7.625,33

2001

227

30

2.930,93

596,44

3.527,37

2002

0

0

0,00

0,00

0,00

2003

61,5

61,5

5.924,10

1.232,21

7.156,31

2004

14

14

1.460,61

303,81

1.764,42

Summe

1.143,5

840,5

68.845,67

13.355,84

82.201,51

Den Fehlzeiten lagen nach der Auflistung der AOK Rheinland in den Jahren 1999 bis 2004 vor allem Rücken-, Wirbelsäulen- und Bandscheibenbeschwerden sowie Entzündungen der Nebenhöhlen und Schleimhäute zugrunde.

Die Beklagte kündigte am 15. März 2001 das Arbeitsverhältnis der Parteien wegen krankheitsbedingter Ausfallzeiten des Klägers zum 31. August 2001. Mit Urteil vom 17. Mai 2001 stellte das Arbeitsgericht Wuppertal die Unwirksamkeit dieser Kündigung fest. Die Berufung wies das Landesarbeitsgericht nach Einholung eines arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens zurück. Darin hatte der Gutachter Dr. W… ua. ausgeführt, die zum Zeitpunkt der Kündigung bevorstehende Heilmaßnahme in der Rheumaklinik A… vom 26. April 2001 bis 17. Mai 2001 habe zu einer wesentlichen Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers geführt. Deshalb könne davon ausgegangen werden, dass die Fehlzeiten des Klägers sich zukünftig in einem entsprechenden Umfang bewegen würden.

Der Kläger nahm am 26. Juli 2002 erstmals seine Arbeitstätigkeit wieder auf. Vom 28. August 2002 bis zum 25. September 2002 sowie vom 25. November 2002 bis zum 20. Dezember 2002 befand er sich im Erholungsurlaub. An seinen letzten Urlaub schlossen sich die Betriebsferien der Beklagten bis zum 3. Januar 2003 an.

Mit Schreiben vom 11. Februar 2004 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zur erneuten krankheitsbedingten Kündigung des Klägers an. Der Betriebsrat teilte der Beklagten mit Schreiben vom 17. Februar 2004 mit, er mache von seinem Einspruchsrecht zur Kündigung keinen Gebrauch.

Mit Schreiben vom 18. Februar 2004 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. August 2004.

Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage gewandt und geltend gemacht, es liege kein personenbedingter Grund zur Kündigung seines Arbeitsverhältnisses vor. Es fehle an der erforderlichen negativen Prognose. Die vor dem Ausspruch der ersten Kündigung liegenden Fehlzeiten seien nach den Feststellungen des Gutachters im Vorprozess ausgeheilt gewesen und im vorliegenden Rechtsstreit nicht mehr zu berücksichtigen. Zwischen März 2001 und Juni 2003 sei er nicht erkrankt. Die Fehlzeiten in den Jahren 2003 und 2004 trügen eine negative Prognose nicht. Seine Bronchitis-Erkrankung sei nicht chronischer Natur. Die krankheitsbedingten Ausfälle hätten auch nicht zu unzumutbaren betrieblichen Schwierigkeiten geführt, da seine einfachen Arbeiten von Ersatzkräften hätten ohne Einarbeitung verrichtet werden können. Die wirtschaftlichen Belastungen seien nicht erheblich. Die Entgeltfortzahlungskosten der letzten drei Jahre lägen mit durchschnittlich 2.950,00 EUR unter denen eines jährlichen Sechs-Wochen-Zeitraums. Schließlich sei auch der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört und hinreichend informiert worden. Die Beklagte habe ihm die im Anhörungsschreiben enthaltenen Zitate nicht durch Beifügung entsprechender Unterlagen transparent gemacht.

Der Kläger hat zuletzt beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 18. Februar 2004 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, die Kündigung sei aus personenbedingten Gründen iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Auf Grund der krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers von nahezu 20 % seiner Arbeitszeit sei ihr ein Festhalten am Arbeitsverhältnis nicht mehr zuzumuten. Auch zukünftig seien erhebliche Ausfallzeiten zu befürchten. Die nach Abschluss des ersten Kündigungsschutzverfahrens aufgetretenen weiteren Fehlzeiten widerlegten die damalige Prognose des Sachverständigen. Der Kläger habe in den Jahren 2003 und 2004 wegen im Wesentlichen gleicher Ursachen wie in den letzten Jahren monatelang gefehlt. Auch habe der vom Integrationsamt vorsorglich eingeschaltete Arbeitsmediziner Dr. B… in seiner Stellungnahme von 6. April 2004 ausgeführt, die von der AOK ab 2001 mitgeteilten Diagnosen ließen auf eine schicksalhafte Krankheitsanfälligkeit des Klägers schließen. Die krankheitsfreie Zeit des Jahres 2002 sei nicht aussagekräftig, da der Kläger wegen des Kündigungsschutzverfahrens nicht beschäftigt worden sei. Die Fehlzeiten führten zu erheblichen Störungen im normalen Betriebsablauf. Auch seien die hohen Entgeltfortzahlungskosten nicht mehr hinnehmbar. Die Kündigung sei nicht nach § 102 BetrVG unwirksam. Auf Grund der Angaben im Anhörungsschreiben vom 11. Februar 2004 sei der Betriebsrat hinreichend über die Kündigungsgründe informiert worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger weiterhin die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 18. Februar 2004 zum 31. August 2004 rechtswirksam beendet worden.

A. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner die Klage abweisenden Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die Kündigung vom 18. Februar 2004 sei als krankheitsbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG. Die zuletzt aufgetretenen Fehlzeiten und deren Ursachen indizierten eine negative Gesundheitsprognose. Der Kläger sei im Zeitraum ab 1999 in jedem Jahr – außer im Jahr 2002 – mindestens zwölf Wochen pro vollem Kalenderjahr arbeitsunfähig erkrankt. Dabei beruhten die Fehlzeiten vor allem auf Rücken-, Wirbelsäulen- und Bandscheibenbeschwerden sowie auf Entzündungen der Nebenhöhlen und Schleimhäute. Der Umfang, die Häufigkeit und Stetigkeit sowie die Ursachen der einzelnen Erkrankungen ließen nur den Schluss zu, der Kläger werde auch zukünftig an diesen Leiden erkranken. Die Fehlzeiten aus dem früheren Gutachten könnten bei der Negativprognose berücksichtigt werden. Die Indizwirkung der Fehlzeiten werde nicht durch die fehlenden Ausfallzeiten des Klägers im Jahr 2002 erschüttert. In diesem Jahr hätten atypische Verhältnisse vorgelegen. Sie ließen keine Rückschlüsse auf die Entwicklung des Gesundheitszustands des Klägers bei Fortsetzung seiner Arbeitstätigkeit zu. Es habe keine übliche arbeitsmäßige Gesundheitsbelastung eines Akkordarbeiters vorgelegen. Infolge der ersten Kündigung habe der Kläger zunächst keinerlei Arbeitsleistung erbringen müssen und die anschließende Arbeitstätigkeit sei durch zwei mehr als einmonatige urlaubsbedingte Pausen unterbrochen gewesen. Nachdem die “normale” Belastung im Jahr 2003 wieder eingesetzt habe, hätten sich die Fehlzeiten des Klägers alsbald wieder im gewohnten Rahmen eingestellt. Da es auch keine zeitnahen positiven Beurteilungen seines Gesundheitszustands durch die behandelnden Ärzte gebe, sei die negative Indizwirkung der vorgegangenen Fehlzeiten nicht durch den Vortrag des Klägers erschüttert worden. Auf Grund der wirtschaftlichen Belastungen seien die Interessen der Beklagten erheblich beeinträchtigt. Es sei auch zukünftig mit erheblichen Entgeltfortzahlungen zu rechnen, die sechs Wochen im Jahr deutlich überstiegen. Die vorzunehmende Interessenabwägung falle nicht zu Gunsten des Klägers aus. Die zukünftig zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten brauche die Beklagte selbst bei Berücksichtigung der Unterhaltspflichten, der Behinderung und der Dauer der Betriebszugehörigkeit des Klägers billigerweise nicht mehr hinzunehmen. Das Leistungsaustauschverhältnis zwischen den Parteien sei schon länger erheblich gestört. In Anbetracht der krankheitsbedingten Fehlzeiten erhalte die Beklagte für fünf bezahlte Arbeitsstunden im Schnitt nur knapp vier Stunden Leistung. Dies gelte umso mehr, als der Kläger mit seinen 42 Lebensjahren nicht einmal in einem Alter sei, in dem regelmäßig mit solch hohen Ausfallzeiten zu rechnen sei. Von einer unbelasteten Betriebszugehörigkeit könne angesichts der Fehlzeiten des Klägers seit Beginn seines Arbeitsverhältnisses nicht gesprochen werden.

Die Kündigung sei auch nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die Beklagte habe den Betriebsrat mit Schreiben vom 11. Februar 2004 detailliert informiert. Sie habe aus den Attesten und Gutachten der Mediziner zutreffend zitiert und keine irreführende oder unvollständige Darstellung abgegeben. Zu einer Überlassung der Gutachten und Stellungnahmen dritter Personen sei sie nicht verpflichtet gewesen.

B. Dem folgt der Senat im Ergebnis und in wesentlichen Teilen der Begründung.

I. Die Kündigung ist aus einem personenbedingten Grund sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG.

1. Bei der Frage, ob die Kündigung des Klägers auf Grund von krankheitsbedingten Fehlzeiten aus Gründen in der Person bedingt und deshalb sozial gerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG), handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Diese kann vom Revisionsgericht nur dahin überprüft werden, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (zuletzt etwa Senat 7. November 2002 – 2 AZR 599/01 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 50).

2. Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts stand.

a) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von den Grundsätzen ausgegangen, die der erkennende Senat zur Kündigung wegen häufiger (Kurz-) Erkrankungen entwickelt hat (vgl. insbesondere 12. Dezember 1996 – 2 AZR 7/96 – EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 41; 20. Januar 2000 – 2 AZR 378/99 – BAGE 93, 255; 7. November 2002 – 2 AZR 599/01 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 50). Danach ist zunächst – erste Stufe – eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen, und zwar abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt, objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes sprechen. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Krankheiten ausgeheilt sind. Bei einer negativen Indizwirkung hat der Arbeitnehmer gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist, wobei er seiner prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann genügt, wenn er die Behauptungen des Arbeitgebers nicht nur bestreitet, sondern seinerseits vorträgt, die ihn behandelnden Ärzte hätten die gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet. Alsdann ist es Sache des Arbeitgebers, den Beweis für das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose zu führen. Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes – zweite Stufe – festzustellen ist. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen des Arbeitgebers, etwa durch zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigende Entgeltfortzahlungskosten, zu einer derartigen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen. Liegt eine solche erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen vor, so ist in einem dritten Prüfungsschritt im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen. Dabei ist ua. zu berücksichtigen, ob die Erkrankungen auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind, ob und wie lange das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zunächst ungestört verlaufen ist, ob der Arbeitgeber eine Personalreserve vorhält und etwa neben Betriebsablaufstörungen auch noch hohe Entgeltfortzahlungskosten aufzuwenden hatte. Ferner sind das Alter, der Familienstand und die Unterhaltspflichten sowie ggf. eine Schwerbehinderung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (vgl. insbesondere Senat 20. Januar 2000 – 2 AZR 378/99 – aaO mwN).

b) Das Landesarbeitsgericht hat diese Grundsätze angewandt und bei seiner Subsumtion unter den Sachverhalt keine Denkgesetze oder allgemeinen Erfahrungssätze verletzt.

aa) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht eine negative Gesundheitsprognose – dh. die Besorgnis von weiteren Erkrankungen im bisherigen Umfang – auf Grund der in der Vergangenheit aufgetretenen Krankheitszeiten für indiziert erachtet und diese Indizwirkung nicht als erschüttert angesehen. Das Landesarbeitsgericht musste kein neues Sachverständigengutachten einholen.

(1) Krankheitsbedingte Fehlzeiten in der Vergangenheit sind für die Vortragslast des Arbeitgebers insoweit bedeutsam, als sie die Gefahr künftiger Erkrankungen indizieren können, wenn dem nicht die objektiven Verhältnisse bei Zugang der Kündigung entgegenstehen (Senat 17. Juni 1999 – 2 AZR 639/98 – BAGE 92, 96).

(2) Das Landesarbeitsgericht ist deshalb unter Hinweis auf die krankheitsbedingten Fehlzeiten und die den Erkrankungen des Klägers zugrunde liegenden Diagnosen zutreffend davon ausgegangen, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung damit zu rechnen gewesen sei, der Kläger werde auch zukünftig jährlich in erheblichem Umfang krankheitsbedingt fehlen. Treten – wie im vorliegenden Fall – während der letzten Jahre jährlich mehrere Kurzerkrankungen auf, sprechen diese für ein entsprechendes Erscheinungsbild auch in der Zukunft. Der Arbeitgeber darf sich in solchen Fällen zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten (Senat 17. Juni 1999 – 2 AZR 639/98 – BAGE 92, 96 mwN). Indem die Beklagte die Krankheitszeiten des Klägers im Einzelnen präzisiert nach Zahl, Dauer sowie zeitlicher Folge vorgetragen und die negative Zukunftsprognose dargestellt hat, ist sie ihrer Darlegungslast nachgekommen. Entgegen der Auffassung der Revision ist dabei nicht auf einen “starren” Zeitraum der letzten drei Jahre abzustellen. Ausreichend für eine Indizwirkung sind hinreichende prognosefähige Fehlzeitenräume. Dies können die letzten drei Jahre sein, müssen es aber nicht. Ausreichend kann sowohl ein kürzerer Zeitraum als auch bei einzelnen Fehlzeiten erst ein längerer Zeitraum sein, um eine negative Prognose zu rechtfertigen.

Entsprechendes gilt für die Art und Häufigkeit der Erkrankungen. Es steht der Bildung einer negativen Prognose nicht entgegen, dass die Fehlzeiten auf unterschiedlichen prognosefähigen Erkrankungen beruhen. Solche verschiedenen Erkrankungen können den Schluss auf eine gewisse Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers zulassen und damit eine negative Prognose begründen.

(3) Unter Berücksichtigung der Fehlzeiten in der Vergangenheit spricht hier alles für eine negative Gesundheitsprognose. Das Landesarbeitsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, beim Kläger liege eine gewisse Krankheitsanfälligkeit vor. Schon daraus ergibt sich eine Wiederholungsgefahr für weitere Ausfallzeiten. Dies gilt umso mehr, als die bisherigen Fehlzeiten vor allem auf Erkältungs- bzw. Entzündungserkrankungen sowie auf Beschwerden des Bewegungsapparats basieren. Bei solchen Erkrankungen liegt, – wenn nicht besondere Therapiemaßnahmen (beispw. Operationen) ergriffen worden sind – grundsätzlich die Gefahr einer Wiederholung nahe, selbst wenn die akuten Erkrankungsfälle ausgeheilt sind. Sie zeugen von einer gewissen Anfälligkeit. Anders verhält es sich mit solchen Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen und keine Prognose für die zukünftige Entwicklung zulassen. Selbst wenn man solche nicht prognosefähigen Erkrankungen bei den gesamten Fehlzeiten des Klägers nicht berücksichtigt, verbleiben, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen und was die Revision auch nicht weiter gerügt hat, noch umfangreiche und über einen Zeitraum von sechs Wochen hinausgehende Fehlzeiten in den Jahren 1999, 2000, 2001 und 2003. Diese indizieren eine Wiederholungsgefahr in der Zukunft.

(4) Die Beklagte konnte zur Beurteilung der Negativprognose auch auf die Fehlzeiten vor dem 19. Juli 2002 bzw. vor dem Ausspruch der ersten Kündigung zurückgreifen. Entgegen der Auffassung der Revision kommt weder auf Grund der rechtskräftigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf noch der Ausführungen des Sachverständigen im Vorprozess den früheren Fehlzeiten für den vorliegenden Streitfall keine Bedeutung mehr zu. Die früheren Fehlzeiten belegen vielmehr die Krankheitsanfälligkeit des Klägers. Die weitere Entwicklung der Fehlzeiten nach der erneuten Arbeitsaufnahme zeigt, worauf das Landesarbeitsgericht zutreffend hingewiesen hat, dass die Negativprognose nicht mehr auf Grund der Ausführungen des Sachverständigen im Vorprozess als erschüttert angesehen werden kann. Sie belegt vielmehr, dass die auch aus den früheren Fehlzeiten zu gewinnende Indizwirkung für die Zukunft gerade wieder bestätigt wird.

bb) Das Landesarbeitsgericht hat im Rahmen seines tatsächlichen Beurteilungsspielraums vertretbar angenommen, der Kläger habe vorliegend die Indizwirkung, die sich aus den aufgezeigten Fehlzeiten ergibt, nicht erschüttert. Der Kläger hat insbesondere nicht behauptet, sein behandelnder Arzt habe die Gesundheitsprognose bezüglich aller prognosefähiger Krankheiten positiv beurteilt. Er hat nicht vorgetragen, weshalb trotz der wieder aufgetretenen Fehlzeiten mit seiner baldigen – oder bereits erfolgten – Gesundung zu rechnen war. Zwar hätte er seiner prozessualen Mitwirkungspflicht grundsätzlich schon genügt, wenn er die Behauptung des Beklagten bestritten und die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden hätte. Allerdings hätte er dann zumindest darlegen müssen, dass die Ärzte seine künftige gesundheitliche Entwicklung ihm gegenüber als günstig beurteilt haben. Nicht ausreichend ist hingegen der Vortrag eines Arbeitnehmers, der sich erst durch die Berufung auf die behandelnden Ärzte die fehlende Kenntnis über den weiteren Verlauf seiner Erkrankung verschaffen will (vgl. Senat 6. September 1989 – 2 AZR 19/89 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 21 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 26; 17. Juni 1999 – 2 AZR 639/98 – BAGE 92, 96; 7. November 2002 – 2 AZR 599/01 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 50).

Soweit der Kläger weiter meint, seine Erkrankungen seien ausgeheilt, insbesondere leide er nicht an einer chronischen Bronchitis, so kann dieser Hinweis die vorliegende Negativprognose nicht erschüttern. Es mag sein, dass die einzelnen Erkrankungen tatsächlich ausgeheilt sind. Allerdings lässt sich aus der Häufigkeit der Erkältungs- oder Entzündungserkrankungen schließen, dass der Kläger zu bestimmten Erkrankungen “neigt” und deshalb eine besondere Krankheitsanfälligkeit vorliegt. Daher besteht auch zukünftig die Gefahr, dass der Kläger auf Grund der entsprechenden Erkrankungen wieder ausfallen wird.

b) Es ist kein revisibler Rechtsfehler erkennbar, wenn das Landesarbeitsgericht angenommen hat, es liege eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung auf Grund der Fehlzeiten des Klägers vor.

aa) Nach der Rechtsprechung des Senats stellen schon allein die entstandenen und zukünftig zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten, die jeweils für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen jährlich aufzuwenden sind, eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen dar (29. September 1993 – 2 AZR 155/93 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 27 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 40; 20. Januar 2000 – 2 AZR 378/99 – BAGE 93, 255 und 7. November 2002 – 2 AZR 599/01 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 50).

bb) Im Hinblick auf den bisherigen Verlauf des Arbeitsverhältnisses seit 1999 – und erst recht seit 1980 – ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht deshalb angenommen hat, im Kündigungszeitpunkt sei auch zukünftig mit erheblichen Entgeltfortzahlungskosten des Klägers zu rechnen gewesen.

c) Die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts weist keinen revisionsrechtlichen relevanten Fehler auf.

aa) Im Rahmen der Interessenabwägung haben die Arbeitsgerichte zu prüfen, ob die betriebliche Beeinträchtigung durch die Krankheit des Arbeitnehmers auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalles vom Arbeitgeber billigerweise noch hinzunehmen ist oder ihn überfordert (Senat 20. Januar 2000 – 2 AZR 378/99 – BAGE 93, 255). Dabei sind im Rahmen der Interessenabwägung ua. auch die familiären Verhältnisse des Arbeitnehmers, insbesondere seine Unterhaltspflichten sowie eine mögliche Schwerbehinderteneigenschaft zu berücksichtigen (Senat 20. Januar 2000 – 2 AZR 378/99 – aaO mwN).

bb) Das Landesarbeitsgericht ist bei seiner Interessenabwägung zu dem revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Ergebnis gelangt, von der Beklagten seien die auf Grund der Fehlzeiten des Klägers entstandenen jahrelangen Beeinträchtigungen des Arbeitsverhältnisses in Anbetracht der weiterhin zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten nicht mehr hinzunehmen. Dabei hat es die Unterhaltspflichten des Klägers und seine Behinderung bei seiner Abwägung berücksichtigt, sie aber im Verhältnis zu den überwiegenden Interessen der Beklagten auf Grund des erheblich gestörten Leistungsaustausches des Arbeitsverhältnisses nicht durchschlagen lassen. Ein Bewertungsfehler des Landesarbeitsgerichts ist insoweit nicht erkennbar und wird von der Revision auch nicht aufgezeigt.

II. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Kündigung auch nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat ist zur Kündigung des Klägers mit Schreiben vom 11. Februar 2004 ordnungsgemäß angehört worden.

1. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt etwa 16. September 2004 – 2 AZR 511/03 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 142 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 10), dass eine Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht nur unwirksam ist, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gekündigt hat, ohne den Betriebsrat überhaupt anzuhören, sondern auch dann, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat, er insbesondere seiner Unterrichtungspflicht nicht ausführlich genug nachgekommen ist. Dabei dient die Beteiligung der Arbeitnehmervertretung in erster Linie dem Zweck, dem Betriebsrat Gelegenheit zu geben, seine Überlegungen zur Kündigungsabsicht des Arbeitgebers vorzubringen.

Dementsprechend muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitteilen (§ 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG), dh., er muss ihn über alle Gesichtspunkte informieren, die ihn zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses veranlasst haben (KR-Etzel 7. Aufl. § 102 BetrVG Nr. 62; Fitting BetrVG 23. Aufl. § 102 Rn. 41). Dabei ist die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers bei der Betriebsratsanhörung zur Kündigung subjektiv determiniert. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht subjektiv tragenden Kündigungsgründe mitgeteilt hat (st. Rspr. des Senats zuletzt etwa 16. September 2004 – 2 AZR 511/03 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 142 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 10). Dazu gehören auch die dem Arbeitgeber bekannten, dem Kündigungsgrund widerstreitenden Umstände. Eine Mitteilung von Scheingründen oder die unvollständige Mitteilung der Kündigungsgründe unter bewusster Verschweigung des wahren Kündigungssachverhalts genügt deshalb den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nicht (Senat 16. September 2004 – 2 AZR 511/03 – aaO).

2. Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Rahmens ist ein Anhörungsfehler nicht erkennbar.

Der Betriebsrat ist mit Schreiben der Beklagten vom 11. Februar 2004 umfassend über die Kündigung und insbesondere über die persönlichen Daten des Klägers und den Kündigungsgrund informiert worden. Entgegen der Auffassung der Revision musste die Beklagte ihrem Anhörungsschreiben nicht die “entsprechenden Unterlagen” beifügen. Der Betriebsrat ist schon immer dann ordnungsgemäß angehört worden, wenn ihn der Arbeitgeber über die aus seiner Sicht tragenden Umstände informiert hat. Dies ist geschehen. Eine Verpflichtung, dem Betriebsrat vorhandene schriftliche Unterlagen auszuhändigen, besteht im Allgemeinen nicht (vgl. BAG 6. Februar 1997 – 2 AZR 265/96 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 85 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 96; KR-Etzel § 102 BetrVG Rn. 68 mwN).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

 

Unterschriften

Rost, Bröhl, Eylert, Rosendahl, Bartz

 

Fundstellen

Haufe-Index 1511268

DB 2006, 1504

NJW 2006, 2287

FA 2006, 188

NZA 2006, 655

EzA-SD 2006, 11

EzA

PflR 2006, 601

SPA 2006, 7

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