1 Einleitung

Viele Arbeitgeber gewähren neben den aus einer verbindlichen Vereinbarung – Tarifvertrag oder Einzelarbeitsvertrag – geschuldeten Leistungen solche, die auf einer Gewohnheit beruhen. Unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere bei mehrmaliger vorbehaltloser Gewährung, können diese betrieblichen Übungen für den Arbeitgeber verbindlich werden und den Beschäftigten eine Anspruchsgrundlage auf Fortsetzung der Leistungsgewährung bieten.

2 Begriff

Unter einer betrieblichen Übung versteht man die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus denen die Beschäftigten schließen können, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Hierbei ist entscheidend, wie ein Arbeitnehmer als Erklärungsempfänger das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben verstehen durfte.[1]

Ansprüche aus betrieblicher Übung sind überall dort denkbar, wo keine andere Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch besteht, wie Gesetz, Tarifvertrag, Dienst- oder Betriebsvereinbarungen oder Arbeitsvertrag.

Als Gegenstand eines Anspruchs aus betrieblicher Übung kommen alle Leistungen in Betracht, die auch arbeitsvertraglich vereinbart werden können. Solche Leistungen sind insbesondere die zusätzliche Gewährung von Geld oder geldwerten Leistungen sowie die Gewährung sozialer Leistungen, insbesondere zusätzliche Freizeit (Freistellung an bestimmten Tagen wie einen halben Tag Freistellung an Geburtstagen, Weihnachtsgeld, Pausenregelungen etc.; s. hierzu Punkt 3.6).

Machen Beschäftigte Ansprüche aus betrieblicher Übung geltend, haben sie zur Begründung ihres Anspruchs auch darzulegen, dass der Arbeitgeber zu der gewährten Leistung oder Vergütung nicht verpflichtet war.[2]

Das Bundesarbeitsgericht kann hinsichtlich einer betrieblichen Übung eine volle revisionsrechtliche Überprüfung vornehmen.[3] Früher hatte das Bundesarbeitsgericht die Feststellungen der Tatsacheninstanz zu Inhalt und Reichweite einer betrieblichen Übung revisionsrechtlich nur eingeschränkt dahingehend überprüft, ob der angenommene Erklärungswert des tatsächlichen Verhaltens den Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB entspricht und mit den Gesetzen der Logik und den allgemeinen Erfahrungsgrundsätzen vereinbar ist.[4]

3 Entstehung

Voraussetzung für die Entstehung einer betrieblichen Übung ist zunächst ein bestimmtes Verhalten des Arbeitgebers, etwa ein Anschlag am schwarzen Brett oder ein Rundschreiben an alle Beschäftigten, mit welchem zusätzliche Leistungen oder sonstige Vertragsänderungen (zum Vorteil der Beschäftigten) angekündigt werden. Ausreichend ist in jedem Fall, wenn der Arbeitgeber bewusst bestimmte Leistungen erbringt und hierdurch bei den Beschäftigten einen Vertrauenstatbestand dahingehend schafft, dass der Arbeitgeber sich dauerhaft binden wollte. Erforderlich ist ein gleichförmiges und wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers. Dies wirkt auch gegenüber neu in den Betrieb eintretenden Beschäftigten. Dabei entsteht ein Vertrauenstatbestand grundsätzlich nur dann, wenn der Arbeitgeber mindestens dreimal beispielsweise eine Gratifikation vorbehaltlos gewährt hat. Nimmt der Arbeitgeber dagegen irrtümlich an, zu einer Leistung verpflichtet zu sein, und erkennt dies der Arbeitnehmer, dann entsteht keine betriebliche Übung.[1]

3.1 Zulässigkeit

Weicht eine betriebliche Übung von im Tarifvertrag enthaltenen Regelungen ab, so ist sie nur dann wirksam, wenn der Tarifvertrag die Abweichung gestattet oder aber die Regelung nach dem sog. Günstigkeitsprinzip für die Beschäftigten günstiger ist. Das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG gilt auch im Verhältnis zu einem erst nach Entstehung der betrieblichen Übung abgeschlossenen Tarifvertrag.[1]

 
Praxis-Tipp

Eine betriebliche Übung kann auch die Gewährung tarifvertraglicher Leistungen an nicht tarifgebundene (d. h. nicht gewerkschaftlich organisierte) Beschäftigte zum Inhalt haben. Die Beschäftigten nehmen die betriebliche Übung durch Entgegennahme der tarifvertraglichen Leistungen (z. B. Tariflohn, Urlaubsgeld) an. Es sind dann aber auch die im Tarifvertrag für die Beschäftigten ungünstigen Regelungen (z. B. Kündigungs- und Ausschlussfristen) vereinbart. Im Fall der Kündigung des Tarifvertrags haben auch die nicht organisierten Beschäftigten im Nachwirkungszeitraum des § 4 Abs. 5 TVG Anspruch auf Weitergewährung kraft betrieblicher Übung.[2]

Im Bereich der betrieblichen Altersversorgung ist die betriebliche Übung ausdrücklich vom Gesetzgeber als Rechtsquelle anerkannt (§ 1b Abs. 1 Satz 4 BetrAVG).[3]

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge