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BVerwG Beschluss vom 29.08.2012 - 4 B 4.12

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Verfahrensgang

OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 22.11.2011; Aktenzeichen 8 A 10443/11)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. November 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

 

Gründe

Rz. 1

 Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg

Rz. 2

 1. Die Beklagte wendet sich mit der Verfahrensrüge gegen die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, ein Vorgehen gegen zu Wohnzwecken umgenutzte Garagen aus bauplanungsrechtlichen Gründen weiche von dem selbst gesetzten Sanierungskonzept ab (UA S. 26). Die Vorinstanz sei insoweit von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Nachdem im Widerspruchsbescheid als zusätzliches Argument ein Vorgehen aus bauplanungsrechtlichen Gründen genannt worden sei, hätte sich dem Gericht eine weitergehende Sachverhaltsaufklärung aufdrängen müssen. Außerdem sei sie über diese Argumentation überrascht worden. Die Rüge bleibt ohne Erfolg.

Rz. 3

 Dem Oberverwaltungsgericht lag das bereits vom Verwaltungsgericht angeforderte (GA S. 86), auf einem Beschluss des Bau- und Planungsausschusses beruhende, Sanierungskonzept der Beklagten (GA S. 90) vor. Dieses Konzept und seine Handhabung ist Gegenstand zahlreicher Schriftsätze der Beteiligten in der Berufungsinstanz. Die Beklagte räumt in der Beschwerdebegründung selbst ein, aus den vorgelegten schriftlichen Unterlagen des Sanierungskonzepts habe möglicherweise der Eindruck gewonnen werden können, die Beklagte gehe nur gegen die Umnutzung von Grenzgaragen – also Garagen, die nach einer Umnutzung gegen die landesrechtlichen Abstandsvorschriften verstoßen – vor (Beschwerdebegründung S. 6). Dieser Eindruck ist nachvollziehbar (vgl. UA S. 26). Bei einem von einem beschließenden Ausschuss des Gemeinderats verabschiedeten Sanierungskonzept wird es im Allgemeinen maßgeblich auf dessen Wortlaut ankommen. Vor diesem Hintergrund drängte sich dem Oberverwaltungsgericht eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen nicht allein deswegen auf, weil im Widerspruchsbescheid zusätzlich auf bauplanungsrechtliche Gesichtspunkte eingegangen worden ist. Vielmehr wäre es Sache der Beklagten gewesen, dem Gericht weitere Hinweise zu ihrer Verwaltungspraxis zu geben und erforderlichenfalls auf eine Beweisaufnahme hinzuwirken. Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (stRspr).

Rz. 4

 Auch eine das Recht auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung liegt hier nicht vor. Eine solche ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur anzunehmen, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens auch unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchten (Beschluss vom 19. Juli 2010 – BVerwG 6 B 20.10 – NVwZ 2011, 372; stRspr). Davon kann nach den geschilderten Abläufen hier nicht die Rede sein.

Rz. 5

 2. Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, dass die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen wäre. Dies setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr).

Rz. 6

 Die Frage (Beschwerdebegründung S. 5),

unter welchen Voraussetzungen unterschiedliche baurechtliche Verstöße im Rahmen eines bauaufsichtlichen Einschreitens gleich zu behandeln sind bzw. wie weit das Ermessen der Bauaufsichtsbehörden reicht, gegen bestimmte Verstöße vorzugehen, gegen andere hingegen nicht einzuschreiten,

rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Zum einen wäre diese Frage in dieser Allgemeinheit einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Zum anderen zeigt die Beklagte nicht auf, dass Art. 3 Abs. 1 GG, der es gebietet, dass die Behörde bei ihrem Vorgehen gegen baurechtswidrige Zustände das ihr eingeräumte Ermessen gleichmäßig ausübt und nicht systemlos oder willkürlich handelt (Beschluss vom 22. April 1995 – BVerwG 4 B 55.95 – BRS 57 Nr. 248), einen die Zulassung der Revision rechtfertigenden Klärungsbedarf aufweist.

Rz. 7

 Die Fragen zu § 10 Satz 2 und § 20 Abs. 2 Satz 3 BauNVO 1968, mit denen die Beklagte ihre Fragestellung zum Ermessen präzisiert, sind nicht entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat die zur Garage getroffenen Anordnungen, soweit sie mit einem Verstoß gegen bauplanungsrechtliche Vorgaben begründet sind, mit zwei selbständig tragenden Begründungen für ermessensfehlerhaft gehalten: Zum einen sehe das Sanierungskonzept der Beklagten ein Einschreiten gegen ungenutzte Garagen von vorneherein nur bei einer Verletzung des Abstandsflächenrechts vor. Ein Vorgehen aus bauplanungsrechtlichen Gründen weiche daher von dem selbst gesetzten Sanierungskonzept ab. Zum anderen (“Darüber hinaus”) erweise sich das auf die Bauplanungswidrigkeit der Garagenumnutzung gestützte Vorgehen “noch aus einem weiteren Grund” als ermessensfehlerhaft. Wenn im Widerspruchsbescheid die Nutzung der Garage zu Aufenthaltszwecken als Überschreitung der im Bebauungsplan erfolgen Festsetzung zur Grundfläche der Wochenendhäuser gewertet werde, sei ein Verstoß (gegen § 10 Satz 2 BauNVO) bereits objektiv nicht gegeben. Soweit in dieser Begründung zugleich ein Verstoß gegen die Festsetzung der Geschossfläche (§ 20 Abs. 2 Satz 2 BauNVO) zum Ausdruck komme, liege hierin die Ungleichbehandlung zweier Sachverhalte, die sich im Wesentlichen als gleich erwiesen. Die Fragen zur BauNVO betreffen nur das zweite Begründungselement. Da die Beklagte mit ihren Verfahrensrügen, mit denen sie das erste Begründungselement angreift, erfolglos bleibt (siehe oben unter 1.), scheidet die Zulassung der Grundsatzrevision aus. Ist die vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, kann die Revision nämlich nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 1994 – BVerwG 11 PKH 28.94 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4; stRspr).

Rz. 8

 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.

Rz. 9

 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

 

Unterschriften

Prof. Dr. Rubel, Dr. Gatz, Dr. Jannasch

 

Fundstellen

Dokument-Index HI3340116

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