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BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.05.2022 - 1 BvR 326/22

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtannahmebeschluss: Mangels hinreichender Substantiierung unzulässige Verfassungsbeschwerde eines Inhaftierten in einer Umgangssache. Verletzung der Rechtsschutzgleichheit oder des Elternrechts nicht hinreichend dargelegt

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 S. 1, Art. 20 Abs. 3; BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2, § 92; BGB § 1684 Abs. 4; FamFG § 76; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

OLG Dresden (Beschluss vom 12.11.2021; Aktenzeichen 23 WF 820/21)

AG Leipzig (Beschluss vom 25.08.2021; Aktenzeichen 342 F 2270/21)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zurückweisung eines Antrags auf Verfahrenskostenhilfe in einem Umgangsverfahren.

Rz. 2

Der Beschwerdeführer ist Vater eines im September 2017 geborenen Sohnes. Ursprünglich hatten beide Eltern das Sorgerecht gemeinsam inne. Nachdem zunächst dem Beschwerdeführer und später auch der Mutter das Sorgerecht entzogen worden war, steht das Kind unter Vormundschaft des Jugendamtes. Der Beschwerdeführer verbüßt seit 2019 bis voraussichtlich noch Anfang 2024 eine Freiheitsstrafe in einer Justizvollzugsanstalt. Er hatte seit Anfang 2018 keinen Kontakt mehr zu dem Kind.

Rz. 3

Im Ausgangsverfahren beantragte er Verfahrenskostenhilfe für eine von ihm begehrte Umgangsregelung mit seinem Sohn. Das Familiengericht lehnte dies mit angegriffenem Beschluss vom 25. August 2021 wegen fehlender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Oberlandesgericht mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 12. November 2021 zurück. Das Familiengericht habe zu Recht eine hinreichende Erfolgsaussicht des Antrags verneint. Der vom Beschwerdeführer gewünschte Umgang mit seinem Sohn widerspreche derzeit dem Kindeswohl. Das Kind kenne ihn nicht und die Anbahnung des Umgangs sei aktuell nicht in einer dem Kindeswohl entsprechenden Form möglich. Wie bereits das Familiengericht wies das Oberlandesgericht zudem auf in der Vergangenheit erfolgte körperliche Übergriffe des Beschwerdeführers auf die Mutter des Kindes hin.

Rz. 4

Gegen beide Entscheidungen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde. Er rügt, dass es durch die Versagung von Verfahrenskostenhilfe an jeglicher Umgangsregelung fehle. Das komme letztlich einem vollständigen zeitlich unbefristeten Umgangsausschluss ohne richterliche Anordnung gleich. Zudem hätten die Fachgerichte unter anderem zu den fehlenden personellen und zeitlichen Kapazitäten des Jugendamtes für die Anbahnung und Durchführung des Umgangs sowie zu seinem kindeswohlgefährdenden Verhalten in der Vergangenheit keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Dies alles verletze seine Rechte aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 und 2 GG.

II.

Rz. 5

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist sie zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers angezeigt, weil sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫). Da sie den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Darlegungserfordernissen nicht genügt, ist sie unzulässig.

Rz. 6

1. Nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG muss sich die Verfassungsbeschwerde mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. BVerfGE 140, 220 ≪232 Rn. 9≫). Liegt zu den mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Verfassungsfragen bereits Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor, so ist der behauptete Grundrechtsverstoß in Auseinandersetzung mit den darin entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. BVerfGE 140, 229 ≪232 Rn. 9≫; 149, 346 ≪359 Rn. 23≫ m.w.N.). Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer ins Einzelne gehenden argumentativen Auseinandersetzung mit ihr und ihrer Begründung. Dabei ist auch darzulegen, inwieweit das jeweils bezeichnete Grundrecht verletzt sein und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidieren soll (vgl. BVerfGE 108, 370 ≪386 f.≫; 140, 229 ≪232 Rn. 9≫; 149, 346 ≪359 Rn. 24≫).

Rz. 7

2. Dem genügt die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht. Der Beschwerdeführer zeigt die Möglichkeit einer Verletzung in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten nicht auf.

Rz. 8

a) Insbesondere legt er nicht eine mögliche Verletzung seines Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit dar.

Rz. 9

aa) Die Gewährleistung der Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Menschen mit mehr und Menschen mit weniger finanziellen Mitteln bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 78, 104 ≪117 f.≫; 122, 39 ≪49≫). Dem dienen die gesetzlichen Bestimmungen über die Verfahrenskostenhilfe. Diese kann allerdings davon abhängig gemacht werden, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪357≫). Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Prozesskostenhilfe obliegen dabei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Verfassungsrecht wird jedoch dann verletzt, wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Rechtsschutzgleichheit beruhen (vgl. BVerfGE 56, 139 ≪144≫; 81, 347 ≪357 f.≫; BVerfGK 2, 279 ≪281≫; 20, 187 ≪191≫). Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht verfassungsrechtlich zukommt, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird. Das ist namentlich dann der Fall, wenn das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung überspannt und dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt wird (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪358≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 15. Oktober 2015 - 1 BvR 1790/13 -, Rn. 19 f.).

Rz. 10

bb) Daran gemessen lässt die Verfassungsbeschwerde eine mögliche Verletzung der Rechtsschutzgleichheit durch die angegriffenen Entscheidungen, insbesondere den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 12. November 2021, nicht erkennen. Zwar führt der Beschwerdeführer die vom Bundesverfassungsgericht zu Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG insoweit entwickelten Maßstäbe an. Es fehlt jedoch vollständig an einer nachvollziehbaren Anwendung dieser Maßstäbe auf die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen. Statt sich mit deren Inhalt zu befassen und auf diese die verfassungsrechtlichen Anforderungen der Rechtsschutzgleichheit zu beziehen, findet sich insoweit allein Vorbringen, das offenbar aus einer anderen, eine unterhaltsrechtliche Streitigkeit betreffenden Beschwerdeschrift stammt. Die entsprechende Passage weist damit keinerlei Bezug zum vorliegenden Verfahren auf und lässt schon deshalb die Möglichkeit einer Verletzung der Rechtsschutzgleichheit durch die Beschlüsse des Familien- und des Oberlandesgerichts nicht erkennen.

Rz. 11

cc) Eine solche liegt ungeachtet der recht kursorischen Begründung des Oberlandesgerichts auch nicht auf der Hand, so dass nicht ausnahmsweise auf die aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Anforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde verzichtet werden könnte (vgl. zum Maßstab BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. Juni 2021 - 1 BvR 2027/20 -, Rn. 13 m.w.N.). Das Oberlandesgericht hat, im rechtlichen Ausgangspunkt nicht zu beanstanden, eine hinreichende Erfolgsaussicht für eine Umgangsregelung deshalb verneint, weil es die Voraussetzungen eines Umgangsausschlusses nach § 1684 Abs. 4 BGB als gegeben erachtet. Dass das Oberlandesgericht dabei das zugrundeliegende Fachrecht in einer Weise ausgelegt und angewendet hat, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Rechtsschutzgleichheit beruht, liegt auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen nicht offen zu Tage.

Rz. 12

b) Auch die Möglichkeit einer Verletzung seines Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG durch die Ablehnung von Verfahrenskostenhilfe für die begehrte Umgangsregelung zeigt der Beschwerdeführer nicht in einer § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Weise auf. Es kann daher offenbleiben, ob fachgerichtliche Entscheidungen zur Verfahrenskostenhilfe verfassungsrechtlich überhaupt anhand von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG zu beurteilen sind oder ob allein die Gewährleistung von Rechtsschutzgleichheit nach Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG Prüfungsmaßstab ist.

Rz. 13

aa) Das Umgangsrecht ermöglicht dem umgangsberechtigten Elternteil, sich von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung durch Augenschein und gegenseitige Absprache fortlaufend zu überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihm aufrechtzuerhalten und einer Entfremdung vorzubeugen, sowie dem Liebesbedürfnis beider Teile Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 31, 194 ≪206≫; BVerfGK 17, 407 ≪411≫). Eine Einschränkung oder ein Ausschluss des Umgangsrechts ist nur veranlasst, wenn nach den Umständen des Einzelfalls der Schutz des Kindes dies erfordert, um eine Gefährdung seiner seelischen oder körperlichen Entwicklung abzuwehren (vgl. BVerfGE 31, 194 ≪209 f.≫). Entsprechend kann nach § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB eine Einschränkung oder ein Ausschluss des Umgangs für längere Zeit angeordnet werden, wenn anderenfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Das Gericht hat bei der Entscheidung über die Einschränkung oder den Ausschluss des Umgangs sowohl die betroffenen Grundrechtspositionen des Elternteils als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 31, 194 ≪205 f.≫; 64, 180 ≪187 f.≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 17. September 2016 - 1 BvR 1547/16 -, Rn. 19). Um dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG dabei Rechnung zu tragen, müssen die Fachgerichte jedenfalls bei einem länger andauernden oder einem unbefristeten Umgangsausschluss ‒ insoweit nicht grundlegend anders als bei dem Entzug des Sorgerechts aus der Grundlage von § 1666 BGB ‒ grundsätzlich die dem Kind drohenden Schäden ihrer Art, Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit nach konkret benennen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. Juni 2020 - 1 BvR 572/20 -, Rn. 23 und vom 24. November 2020 - 1 BvR 2318/19 -, Rn. 24 jeweils zu § 1666 BGB). Der bloße Hinweis darauf, dass das Kind seinen Umgang begehrenden Vater bislang nicht kennt, dürfte dem nicht ohne Weiteres genügen.

Rz. 14

bb) Der Beschwerdeführer hat es versäumt, anhand dieser Maßstäbe aufzuzeigen, dass das Oberlandesgericht das Fehlen hinreichender Erfolgsaussicht für eine Umgangsregelung unter Verletzung von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auf das Vorliegen der Voraussetzungen eines Umgangsausschlusses nach § 1684 Abs. 4 BGB gestützt hat. Die Verfassungsbeschwerde befasst sich nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und deren Anwendbarkeit auf die vorliegende Konstellation, sondern beschränkt sich darauf, sein bereits vor den Fachgerichten erfolgtes Vorbringen zu wiederholen. Zudem mangelt es an einer Auseinandersetzung mit den Besonderheiten der hier vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen, auf deren Grundlage es die Übertragbarkeit vorhandener verfassungs- und fachgerichtlicher Rechtsprechung zum Umgangsrecht inhaftierter Väter (OLG München, Beschluss vom 25. Februar 2011 - 33 WF 328/11 -; OLG Hamm, Beschluss vom 6. Januar 2003 - 8 WF 288/02 -; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 5. Februar 2002 - 1 BvR 2029/00 - zur grundsätzlichen Mitverpflichtung des sorgeberechtigten Elternteils finanzieller und logistischer Art an der Umgangsausübung des anderen Elternteils) insoweit nachvollziehbar verneint hat.

Rz. 15

3. Soweit der Beschwerdeführer sich gegen die Entscheidung des Familiengerichts wendet, ist die Verfassungsbeschwerde zudem unzulässig, weil es am Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Der Beschluss des Familiengerichts ist durch die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts prozessual überholt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. März 2020 - 1 BvR 2392/19 -, Rn. 9 m.w.N.) und ein insoweit fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis (vgl. dazu BVerfGE 81, 138 ≪140 f.≫) ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

Rz. 16

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Rz. 17

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15217700

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