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BVerfG Beschluss vom 24.01.2006 - 1 BvR 2602/05

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Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 19.10.2005; Aktenzeichen 2/16 S 185/05)

AG Frankfurt am Main (Urteil vom 01.09.2005; Aktenzeichen 29 C 1746/05 - 46)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

 

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz betreffen die Mitteilung einer Verurteilung wegen einer Sexualstraftat, die aus dem Strafregister wegen Fristablaufs schon getilgt war.

I.

1. Der Beschwerdeführer geht einer Tätigkeit als Fußballtrainer für Jugendmannschaften nach. Ferner ist er als Betreuer in einer Kindertagesstätte angestellt.

Der Auszug des Beschwerdeführers aus dem Bundeszentralregister weist keine Eintragungen aus. Eine nach Jugendstrafrecht erfolgte Verurteilung des Beschwerdeführers aus dem Jahre 1989 wegen einer Sexualstraftat ist mittlerweile wegen Fristablaufs getilgt und unterliegt dem Verwertungsverbot nach § 51 des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG).

Der Beklagte des Ausgangsverfahrens (nachfolgend: der Beklagte) ist wie der Beschwerdeführer als Jugendtrainer für Fußballmannschaften tätig. Im Jahre 2005 setzte der Beklagte die Mutter eines Kindes, das zuvor von dem Beschwerdeführer trainiert worden war und nun von dem Beklagten betreut wurde, von der zu seiner Kenntnis gelangten Verurteilung des Beschwerdeführers aus dem Jahre 1989 in Kenntnis.

2. Hiergegen wandte sich der Beschwerdeführer mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen, das Landgericht hat dies bestätigt. Nach Auffassung beider Gerichte stellt eine Weiterleitung von Informationen über die getilgte Vorstrafe des Beschwerdeführers vorliegend keine Persönlichkeitsverletzung dar. Aus § 51 BZRG lasse sich für den Bereich des Privatrechts kein einschränkungsloses Verbot ableiten, Informationen über eine getilgte Vorstrafe zu verbreiten. Zwar sei zu berücksichtigen, dass jede Thematisierung einer getilgten Verurteilung wegen einer Sexualstraftat das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen gravierend beeinträchtige. Der Beklagte habe die ihm bekannte Vorstrafe deshalb nicht an die breitere Öffentlichkeit bringen dürfen. Gegenstand des Rechtsstreits sei jedoch allein, dass der Beklagte sich auf Bitten der Mutter eines der von ihm betreuten Kinder bereit gefunden habe, ihr seine Kenntnis über die Vorstrafe des Beschwerdeführers zu offenbaren. In diesem beschränkten Umfang sei das Verhalten des Beklagten bei einer Abwägung mit den Belangen des Persönlichkeitsschutzes des Beschwerdeführers noch hinnehmbar.

Für die Eltern eines von dem Beschwerdeführer betreuten Kindes bestehe auch dort ein nachvollziehbares und gewichtiges Informationsinteresse an der in Frage stehenden Information, wo es wie vorliegend an konkreten Verdachtsmomenten für ein erneutes Fehlverhalten des Beschwerdeführers fehle. Hier habe der Beklagte das zuvor von dem Beschwerdeführer trainierte Kind betreut und sei deshalb gegenüber den Sorgeberechtigten für dessen Wohl mitverantwortlich gewesen. Sei die Äußerung des Beklagten über die getilgte Vorstrafe zulässig gewesen, hindere das Verwertungsverbot des § 51 BZRG ihn auch nicht daran, den Wahrheitsbeweis durch Bezugnahme auf das zugrunde liegende Strafurteil zu erbringen. Dass der Beklagte über den Umfang der ihm zustehenden Äußerungsbefugnis hinaus gehen und die ihm bekannten Informationen an beliebige Dritte weiterleiten werde, habe der Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht.

3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Persönlichkeitsrechts. Das von den Gerichten gefundene Abwägungsergebnis trage den Belangen des Persönlichkeitsschutzes des Beschwerdeführers nicht ausreichend Rechnung. Es bestehe kein konkreter Verdacht für ein gegenwärtiges Fehlverhalten des Beschwerdeführers. Ohne solche Verdachtsmomente fehle ein Anlass, Informationen über eine getilgte Vorstrafe gegenüber Dritten zu offenbaren.

Die Auslegung und Anwendung der Vorschrift des § 51 BZRG durch die Fachgerichte rügt der Beschwerdeführer zudem als willkürlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG. Aus § 51 BZRG ergebe sich ein uneingeschränktes Verbot, getilgte Vorstrafen im Privatrechtsverkehr zu thematisieren. Dies schließe es aus, den Vortrag des Beklagten zur Richtigkeit der von ihm verbreiteten Informationen zu berücksichtigen.

4. Ferner beantragt der Beschwerdeführer den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG. Es seien nachträglich weitere Indiztatsachen dafür hervorgetreten, dass der Beklagte auch andere Personen als die Eltern der von ihm betreuten Kinder von der Vorstrafe des Beschwerdeführers in Kenntnis setze und hierfür auch Mitarbeiter der Lokalpresse kontaktiert habe. Es sei deshalb geboten, dem Beklagten nunmehr jede Weitergabe von Informationen über die Vorstrafe des Beschwerdeführers zu untersagen.

II.

1. Die Beschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG. Die darin aufgeworfenen Fragen nach der Tragweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber einer Verbreitung von Informationen über frühere Straftaten des Betroffenen sind in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung hinreichend geklärt (vgl. BVerfGE 35, 202 ≪220 f.≫; 97, 391 ≪404 f.≫; vgl. ferner BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. Februar 1993 – 1 BvR 172/93 –, NJW 1993, S. 1463 und Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. November 1999, – 1 BvR 348/98 –, NJW 2000, S. 1859 ≪1860≫). Die Annahme der Beschwerde ist auch nicht nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers angezeigt. Die Erwägungen, aus denen heraus die Gerichte im Rahmen der Abwägung den Belangen des Beklagten den Vorrang vor den Belangen des Persönlichkeitsschutzes des Beschwerdeführers gegeben haben, lassen sich verfassungsrechtlich im Ergebnis nicht beanstanden.

Die Anwendung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte wird vom Bundesverfassungsgericht allein darauf überprüft, ob die Gerichte die Bedeutung und Tragweite der von ihrer Entscheidung berührten Grundrechte unrichtig oder unvollkommen bestimmt oder ihr Gewicht unzutreffend eingeschätzt haben (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪93≫; 97, 391 ≪401≫, 101, 361 ≪388≫; stRspr). Dass die Abwägung von Rechtspositionen in komplexen Kollisionsfällen auch anders ausfallen könnte, ist dabei kein hinreichender Anlass für die verfassungsgerichtliche Korrektur der Entscheidung der Fachgerichte. Danach lassen sich die angegriffenen Entscheidungen nicht beanstanden.

Die Gerichte haben in Rechnung gestellt, dass der Beschwerdeführer durch die Offenbarung einer Vorstrafe wegen eines geraume Zeit zurück liegenden Sexualdelikts in gravierender Weise betroffen wird. Sie haben dabei auch gesehen, dass hier wegen Ablaufs der Tilgungsfristen das Verwertungsverbot des § 51 BZRG zu berücksichtigen war. Es beruht nicht auf einer Verkennung der Belange des Persönlichkeitsschutzes, wenn die Gerichte dabei im Ergebnis der verfassungsrechtlich bedenkenfreien Auffassung gefolgt sind, der Äußernde dürfe bei Überwiegen seines Informationsinteresses über die Belange des Persönlichkeitsschutzes auch eine getilgte Verurteilung des Betroffenen offen legen und sei für diesen Fall gemäß § 190 Satz 1 StGB befugt, sich zum Beweis der Wahrheit auf ein ihm bekannt gewordenes Strafurteil zu beziehen, ohne dass dem das Verwertungsverbot des § 51 BZRG entgegen stünde (vgl. Rebmann/Uhlig/Pieper, BZRG, 1985, § 51 BZRG Rn. 46 und 50; Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl. 2006, § 190 StGB Rn. 3). Dem Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers ist hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass die Gerichte die Tilgung der Vorstrafe als bedeutsamen Abwägungsfaktor in Rechnung gestellt haben.

Die Gerichte haben hierbei auch nicht das Gewicht der von dem Beklagten verfolgten Informationsinteressen zum Nachteil des Beschwerdeführers überschätzt. Die Gerichte haben berücksichtigt, dass es an konkreten und greifbaren Verdachtsmomenten für ein erneutes Fehlverhalten des Beschwerdeführers fehlt. Verfassungsrechtlich ist es nicht gefordert, die Offenlegung einer getilgten Vorstrafe nur dort als zulässig anzusehen, wo eine konkrete Gefährdung anderer Rechtsgüter oder öffentlicher Interessen droht (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. Februar 1993, – 1 BvR 172/93 –, NJW 1993, S. 1463 ≪1464≫). Dem Fehlen konkreter Verdachtsmomente haben die Gerichte deshalb hinreichend Rechnung getragen, wenn sie eine Weiterleitung von Informationen über die Vorstrafe des Beschwerdeführers nur insoweit gebilligt haben, als sich der Beklagte in Wahrnehmung der Belange einzelner ihm anvertrauter Kinder und gegenüber deren Eltern oder Sorgeberechtigten geäußert hat. In diesem Rahmen durften die Gerichte auch Informationen über eine bereits getilgte Vorstrafe des Beschwerdeführers als für eine sachgerechte Wahrnehmung der Personensorge bedeutsam ansehen. Zwar hätte sich hier möglicherweise auch ein dem Beschwerdeführer günstigeres Abwägungsergebnis vertretbar begründen lassen. Die den angegriffenen Entscheidungen zugrunde liegende Zuordnung der kollidierenden Grundrechtspositionen beruht jedoch nicht auf einer Vernachlässigung der Belange des Persönlichkeitsschutzes und ist deshalb verfassungsrechtlich gleichfalls hinnehmbar.

Die Gerichte haben zudem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass jede Äußerung des Beklagten gegenüber der breiteren Öffentlichkeit über Vorstrafen des Beschwerdeführers unzulässig bleibe und die von ihnen eingeräumte Äußerungsbefugnis einen besonders gelagerten Ausnahmefall betreffe. Soweit die Gerichte hierbei dem Vorbringen des Beklagten Glauben geschenkt haben, dass er die von den Gerichten gezogenen Grenzen seiner Offenlegungsbefugnis einhalten werde, handelt es sich um eine der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung grundsätzlich entzogene fachgerichtliche Tatsachenauswertung. Sie ist von dem Beschwerdeführer nicht mit erheblichen Rügen angegriffen worden. Aufgrund der eingeschränkten Tragweite der angegriffenen Entscheidungen steht es dem Beschwerdeführer zudem frei, jede solche weitergehende Äußerung des Beklagten zur Nachprüfung durch die Gerichte zu stellen. Ein hierauf gestützter Unterlassungsanspruch war jedoch nicht Gegenstand der angegriffenen Urteile.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

2. Da die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wird, erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG.

3. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

 

Unterschriften

Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem

 

Fundstellen

Haufe-Index 1489118

NJW 2006, 1865

DSB 2006, 21

NPA 2007

www.judicialis.de 2006

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