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BVerfG Beschluss vom 24.01.2005 - 1 BvR 2653/03

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Verfahrensgang

BGH (Beschluss vom 27.11.2003; Aktenzeichen V ZR 103/03)

OLG München (Urteil vom 12.03.2003; Aktenzeichen 20 U 4955/02)

LG Landshut (Urteil vom 24.09.2002; Aktenzeichen 22 O 3219/01)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Tatbestand

I.

1. Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau erwarben 1997 von dem Beklagten des Ausgangsverfahrens (künftig: Beklagter) ein Hausgrundstück. Nachdem dort im Jahr 2001 Feuchtigkeitsschäden im Keller auftraten, begehrte der Beschwerdeführer aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Ehefrau von dem Beklagten Schadensersatz wegen arglistiger Täuschung.

Die Klage wurde abgewiesen, weil der Beschwerdeführer eine Kenntnis des Beklagten von der Mangelhaftigkeit der Kellerabdichtung nicht nachgewiesen habe. Nach erstinstanzlicher Vernehmung von Zeugen, die den Beklagten beim Auspumpen des Kellers gesehen haben sollen, hat das Oberlandesgericht die Vernehmung weiterer, erstmals in der Berufungsinstanz benannter Zeugen nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO abgelehnt, weil keine Gründe vorgetragen und auch nicht ersichtlich seien, warum die Zeugen nicht bereits in erster Instanz benannt worden sind.

Der Bundesgerichtshof hat die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen.

2. Die Verfassungsbeschwerde rügt die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, von Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG.

Die durch das Oberlandesgericht angewandte Norm des § 531 Abs. 2 ZPO verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG, weil hierdurch die Zulassung zu einem Rechtsmittel in nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werde. Das Bestreben des Gesetzgebers, Maßnahmen zur Konzentration und zur Beschleunigung des Verfahrens zu ergreifen, rechtfertige es nicht, Präklusionsvorschriften zu schaffen, nach welchen neues Vorbringen oder neue Beweisangebote auch dann nicht zu berücksichtigen sind, wenn mit ihrer Berücksichtigung eine Verzögerung des Rechtsstreits nicht einhergehe. Ferner sieht der Beschwerdeführer in der Nichtzulassung der Revision und der Anwendung des § 543 Abs. 1 ZPO eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung von Grundrechten des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a und b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Das Urteil des Oberlandesgerichts beruht hinsichtlich der Zurückweisung des erstmals in zweiter Instanz angebotenen Zeugenbeweises nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO weder auf der Anwendung einer verfassungswidrigen Norm, noch bestehen Bedenken gegen die Auslegung und Anwendung der Norm im gegebenen Fall.

a) Durchgreifende Gesichtspunkte gegen die Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung neuen Vortrags im Berufungsverfahren gemäß § 531 Abs. 2 ZPO in der Fassung des Gesetzes vom 27. Juli 2001 sind nicht ersichtlich.

aa) Durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 ist die Möglichkeit neuen Sachvortrags im Berufungsverfahren umgestaltet worden. Die erste Instanz soll danach einen Zivilrechtsstreit tatsächlich umfassend aufklären und entscheiden, während sich die zweite Instanz – stärker als bisher – auf die rechtliche Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung und damit “auf die Fehlerkontrolle und die Fehlerbeseitigung konzentrieren” soll (BTDrucks 14/4722, S. 101). Nach § 531 Abs. 2 ZPO sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel grundsätzlich unzulässig. Dies gilt aber nicht, wenn Gesichtspunkte vorliegen, die das erstinstanzliche Gericht erkennbar übersehen hat (§ 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) oder wenn Angriffs- und Verteidigungsmittel im ersten Rechtszug infolge eines Verfahrensmangels (§ 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) oder aus anderen Gründen nicht geltend gemacht wurden, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO). Auf eine mögliche Verzögerung des Rechtsstreits durch eine Berücksichtigung verspäteten Vorbringens kommt es danach nicht mehr an.

bb) Die Rüge des Beschwerdeführers, die Vorschrift des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO verletze den Justizgewährungsanspruch des Art. 19 Abs. 4 GG, greift nicht durch.

Das Grundgesetz sichert sowohl im Bereich des Art. 19 Abs. 4 GG als auch in dem des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs das Offenstehen des Rechtswegs (BVerfGE 107, 395 ≪401≫). Es steht grundsätzlich in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, ob hierfür mehrere Instanzen bereitgestellt werden, unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können und wie weit die Prüfungsbefugnis des Gerichts reicht, (vgl. BVerfGE 54, 277 ≪291≫; 107, 395 ≪402≫). Von dieser gesetzgeberischen Gestaltungsmacht ist auch die Umgestaltung des Berufungsgerichts zu einer Instanz eingeschränkter Tatsachenprüfung und verstärkter Rechtskontrolle umfasst.

cc) Die Regelung des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO verletzt auch nicht die Gewährleistungen des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).

(1) Während die aus Art. 19 Abs. 4 GG und dem in Art. 2 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip verankerten Justizgewährungsanspruch resultierenden Rechtschutzgarantien den Zugang zum Verfahren sichern, ist die gerichtliche Berücksichtigung des Vorbringens der Parteien durch Art. 103 Abs. 1 GG garantiert (vgl. BVerfGE 107, 395 ≪409≫).

Art. 103 Abs. 1 GG gebietet die Berücksichtigung von Parteivortrag im Rahmen der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung. Die Norm sichert, dass die Parteien bei Gericht wirklich gehört werden (vgl. BVerfGE 107, 395 ≪409≫). Vorschriften über den Ausschluss von Vorbringen verletzen den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht, sofern der betroffene Beteiligte ausreichend Gelegenheit hatte, sich zu allen für ihn wichtigen Punkten zur Sache zu äußern (vgl. BVerfGE 55, 72 ≪93 f.≫; 67, 39 ≪41 f.≫; 81, 264 ≪273≫).

(2) Diesen Anforderungen trägt die Ausgestaltung des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO hinreichend Rechnung. Die Norm betrifft allein das Vorbringen in der zweiten Instanz und beschränkt nicht die Möglichkeit, Angriffs- und Verteidigungsmittel im ersten Rechtszug vorzutragen und damit gehört zu werden. Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit könnten sich allenfalls ergeben, wenn die Partei mit Angriffs- und Verteidigungsmitteln ausgeschlossen wäre, obwohl sie ohne eigenes Verschulden an einem rechtzeitigen Vorbringen in der ersten Instanz gehindert gewesen war. Eine solche Präklusion aber ermöglicht § 531 Abs. 2 ZPO nicht. Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel können in der zweiten Instanz unter bestimmten Voraussetzungen eingeführt werden, nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO aber nicht, wenn das Unterlassen ihres Vorbringens in der ersten Instanz auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.

Entsprechend der allgemeinen Prozessförderungspflicht des Zivilprozesses ist die Partei danach gehalten, ihr günstigen Vortrag in gesammelter Form und zeitnah so bald als möglich in den Rechtsstreit einzuführen, um diesen einer möglichst umfassenden und sachlich richtigen Entscheidung zuzuführen. Ist sie daran gehindert, so hat sie außer im Fall der Nachlässigkeit ausnahmsweise die Möglichkeit, dies in der zweiten Instanz nachzuholen.

Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, vom Erfordernis fehlender Nachlässigkeit allein deshalb abzusehen, weil die Berücksichtigung des Vorbringens nicht zu einer Verzögerung des Rechtsmittelverfahrens führt. Ebenso wie der Gesetzgeber grundsätzlich befugt ist, ein Rechtsmittel auf die Rüge bestimmter Rechtsverletzungen zu beschränken (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 8. Januar 2004 – 1 BvR 864/03, NJW 2004, S. 1371), kann er die Tatsachenprüfung und ihr vorgehend auch die Zulassung neuen Tatsachenvortrags in der Berufung beschränken.

b) Die Anwendung des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ist vorliegend verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Die Zulassung neuen Vorbringens in der Berufungsinstanz setzt voraus, dass die Partei darlegt, warum sie gehindert war, diesen Vortrag bereits in der ersten Instanz einzubringen (vgl. Rimmelspacher, in: Münchener Kommentar zur ZPO, Aktualisierungsband, 2. Aufl. 2002, § 531 Rn. 30). Insoweit hat der Beschwerdeführer lediglich vorgetragen, dass er die nunmehr benannten Zeugen erst nach Abschluss der ersten Instanz ermittelt hat. Er hat aber nicht dargelegt, warum diese Zeugen, anders als die in erster Instanz benannten und bereits vernommenen, nicht vorher hätten ermittelt werden können. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Gerichte dies als unzureichenden Vortrag erachtet haben.

2. Soweit der Beschwerdeführer die Vorschrift des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO angreift, wird auf die Ausführungen der Kammer im Beschluss vom 8. Januar 2004 (1 BvR 864/03, NJW 2004, S. 1371) Bezug genommen.

3. Von einer weitergehenden Begründung wird abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem

 

Fundstellen

Haufe-Index 1334031

NJW 2005, 1768

BAnz 2006, 28

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