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BVerfG Beschluss vom 10.07.2002 - 1 BvR 354/98

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Verurteilung zur Zahlung einer Geldentschädigung wegen eines Zeitschriftenbeitrags

 

Verfahrensgang

OLG München (Urteil vom 05.12.1997; Aktenzeichen 21 U 3698/97)

LG München II (Urteil vom 15.01.1997; Aktenzeichen 13 O 4664/96)

 

Tenor

Das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 5. Dezember 1997 – 21 U 3698/97 – und das Urteil des Landgerichts München II vom 15. Januar 1997 – 13 O 4664/96 – verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil des Oberlandesgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Verurteilung zur Zahlung einer Geldentschädigung wegen eines in der Zeitschrift „Stern” erschienenen Beitrags. Sie rügt die Verletzung ihres Grundrechts auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

I.

1. Die Beschwerdeführerin verlegt die Zeitschrift „Stern”. In der Ausgabe Nr. 15/95 des „Stern” druckte sie unter der Rubrik „Bonnbons” in einer Bildfolge drei Fotos ab, die den Kläger des Ausgangsverfahrens im Gespräch mit dem damaligen CSU-Vorsitzenden und Bundesfinanzminister Theo Waigel zeigen. Die Aufnahmen waren anlässlich des Sommerfestes der Bayerischen Landesvertretung im August 1994 in Bonn gemacht worden. An diesem Fest nahm der Kläger in trachtenmäßiger Aufmachung teil. Den im „Stern” veröffentlichten Aufnahmen waren drei Sprechblasen beigefügt, in denen Finanzminister Waigel den Kläger als Herrn Hingerl vorstellte, der Generalsekretär der CSU werden solle und der genauso peinliche Statements wie Herr Protzner abgebe, die aber Gott sei Dank keiner verstehe.

Der Kläger nahm daraufhin die Beschwerdeführerin vor dem Landgericht auf Ersatz immateriellen Schadens wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts in Höhe von mindestens 10.000 DM in Anspruch. Durch das angegriffene Urteil gab das Landgericht der Klage in Höhe eines Teilbetrags von 3.000 DM statt. Ein solcher Anspruch stehe dem Kläger wegen Verletzung seines Rechts am eigenen Bild und seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 22 f. KUG zu. Er habe in die konkrete Art und Weise der Veröffentlichung nicht eingewilligt. Da eine Befugnis zur Verbreitung nicht gegeben gewesen sei (§ 23 Abs. 2 KUG), könne es auf die Frage, ob der Kläger als relative Person der Zeitgeschichte anzusehen sei, nicht mehr ankommen. Dies sei im Übrigen zu verneinen. Die Verbreitung der Fotos finde auch nicht darin eine Rechtfertigung, dass sie im Rahmen einer politischen Satire erfolgt sei. Solange Gegenstand der Satire ein im Mittelpunkt politischen Lebens stehender Parteivorsitzender und sein Generalsekretär seien, könne dies nicht beanstandet werden. Vorliegend gehe die Satire jedoch auf Kosten eines unbeteiligten Dritten, nämlich des Klägers. Er müsse im Rahmen der Satire, die andere treffen solle, als Repräsentant des „doofen lederbehosten Bayern” herhalten.

Gegen dieses Urteil legten sowohl die Beschwerdeführerin als auch der Kläger Berufung ein. Das Oberlandesgericht gab der Berufung des Klägers in vollem Umfang statt und verurteilte die Beschwerdeführerin unter Zurückweisung ihrer eigenen Berufung zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 10.000 DM. Es schloss sich im Wesentlichen der Argumentation des Landgerichts an. Ergänzend wies es darauf hin, dass die Verletzung des Rechts am eigenen Bild und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers schwerwiegend seien und die Zuerkennung eines Geldentschädigungsanspruchs rechtfertigten. Der Kläger werde als dummer Bayer hingestellt, als Seppl in der Lederhose, der nicht einmal in der Lage sei, sich verständlich zu artikulieren. Er werde auf die Stufe eines primitiven und satten Bayern herabgewürdigt und damit im Kern seiner Persönlichkeit getroffen.

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. In den angegriffenen Entscheidungen fehle es zunächst an einer hinreichenden fallbezogenen Abwägung. Ungeachtet dessen hätten die Gerichte die Besonderheiten einer satirischen Darstellung nicht angemessen erfasst und damit die werkgerechten Maßstäbe verfehlt. Es gehe bei der beanstandeten satirischen Bildfolge gar nicht um den Kläger als Person, sondern als Typus.

3. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bayerische Staatsministerium der Justiz und der Kläger des Ausgangsverfahrens Stellung genommen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zum Verhältnis von Meinungs- und Pressefreiheit und Ehrenschutz hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. insbesondere BVerfGE 34, 269 ≪286≫; 75, 369; 85, 1; 86, 1; 101, 361). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG sind zu bejahen. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin auf Meinungsfreiheit angezeigt.

1. Die angegriffenen Entscheidungen sind an dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen und nicht auch an dem Grundrecht auf Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 GG. Allein der Umstand, dass es sich bei einer Veröffentlichung um eine glossierende, etwa satirische, Darstellung handelt, eröffnet noch nicht den Schutzbereich nach Art. 5 Abs. 3 GG. Satire kann zwar Kunst sein, nicht jede Satire ist jedoch zugleich Kunst (vgl. BVerfGE 86, 1 ≪9≫; vgl. auch BVerfG, 1. Kammer des ersten Senats, NJW 1998, S. 1386). Ebenso wie bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung von Karikaturen (vgl. BVerfGE 75, 369 ≪376 ff.≫) kommt es für die rechtliche Einordnung als Kunst maßgeblich darauf an, ob die Darstellung das geformte Ergebnis einer freien schöpferischen Gestaltung ist. Dies ist nicht schon bei jeder bloßen Übertreibung, Verzerrung und Verfremdung der Fall. Vorliegend handelt es sich aber um eine derartige bloße Verzerrung, für die nicht einmal die Beschwerdeführerin selbst das Grundrecht der Kunstfreiheit in Anspruch nehmen möchte. Durch eine solche Betrachtungsweise geht dem Grundrechtsträger der verfassungsrechtliche Schutz nicht verloren. Auch bei Anwendung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit muss nämlich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Deutungsebene stets der spezifische Charakter der einzelnen Meinungskundgabe berücksichtigt werden (vgl. BVerfGE 86, 1 ≪9≫).

Ob neben dem Grundrecht der Meinungsfreiheit auch das Grundrecht der Pressefreiheit (vgl. zur Abgrenzung zwischen den beiden Grundrechten BVerfGE 85, 1 ≪11 ff.≫) berührt ist, kann offen bleiben, da sich hieraus im vorliegenden Zusammenhang keine weiter gehenden Ansprüche der Beschwerdeführerin ergeben würden.

2. a) Durch die Zuerkennung einer Geldentschädigung haben die Gerichte in den Schutzbereich des Grundrechts der Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin eingegriffen. Die Rubrik „Bonnbons” enthielt – wie auch die Gerichte nicht verkannt haben – eine wertende Stellungnahme und damit eine Meinungsäußerung zur Personalpolitik der CSU einschließlich der Person des damaligen Generalsekretärs.

b) Die Meinungsfreiheit ist jedoch nicht vorbehaltlos gewährleistet. Sie findet gemäß Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen. Dazu gehören auch § 823 Abs. 1 und 2 BGB in Verbindung mit den §§ 22, 23 KUG, auf die die Gerichte die angegriffenen Entscheidungen gestützt haben. Die Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften ist Sache der Zivilgerichte. Sie müssen dabei jedoch Bedeutung und Tragweite der von ihren Entscheidungen berührten Grundrechte beachten, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt wird.

aa) Mit Art. 5 Abs. 1, 2 GG wäre es nicht vereinbar, § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 22 f. KUG dahingehend auszulegen, dass eine belastende Sanktion, wie hier die Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz, an eine Meinungsäußerung auf Grund einer Deutung geknüpft wird, die dem objektiven Sinn der Aussage nicht entspricht. Ist eine Äußerung mehrdeutig, kommt eine Verurteilung nur in Betracht, wenn das Gericht eine alternative, nicht zur Verurteilung führende Deutung in nachvollziehbarer Weise ausgeschlossen hat (vgl. BVerfGE 94, 1 ≪9≫). Bei der Deutung einer glossierenden, satirischen oder karikaturhaft übersteigerten Äußerung sind darauf bezogene „werkgerechte Maßstäbe” anzulegen. Um ihren Aussagegehalt festzustellen, sind derartige Äußerungen nach einer schon auf das Reichsgericht zurückführenden Rechtsprechung (RGSt 62, 183 ff.) ihrer in Wort oder Bild gewählten formalen Verzerrung zu entkleiden. Eine Satire oder ähnliche Übersteigerung darf als Stilmittel der Kommunikation grundsätzlich nicht schon selbst als Kundgabe der Missachtung gewürdigt werden (vgl. grundlegend BVerfGE 75, 369 ≪377 f.≫; 86, 1 ≪12 f.≫). Der Aussagekern und seine Einkleidung sind vielmehr gesondert daraufhin zu überprüfen, ob sie eine Kundgabe der Missachtung gegenüber der betroffenen Person enthalten (vgl. BVerfG, a.a.O., sowie aus der zivilgerichtlichen Rechtsprechung etwa BGHZ 143, 199 ff.).

bb) Enthält die Äußerung einen ehrkränkenden Inhalt, so dass ein Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht besteht, muss eine Abwägung unter Berücksichtigung der Schwere der Beeinträchtigung vorgenommen werden, die jedem der beiden Rechtsgüter droht. Diese Abwägung ist im Rahmen der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale der zivilrechtlichen Vorschriften vorzunehmen und hat die besonderen Umstände des Falles zu berücksichtigen.

3. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen tragen die angegriffenen Entscheidungen nicht hinreichend Rechnung. Sie verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit.

a) Dies gilt zunächst in Bezug auf die von den Gerichten vorgenommene Deutung der in Rede stehenden Äußerung. Zwar hat das Oberlandesgericht im Ausgangspunkt berücksichtigt, dass bei der Deutung werkgerechte Maßstäbe anzulegen sind. In der konkreten Anwendung hat es jedoch die verfassungsrechtlichen Maßstäbe verfehlt.

aa) Die mit Sprechblasen versehene gemeinsame Darstellung des Klägers mit dem damaligen Bundesfinanzminister war Teil einer ständigen Rubrik des „Stern”. In ihr werden Politikern Worte in den Mund gelegt („BONNBONS”), die diese erkennbar tatsächlich nicht geäußert haben. Dies ergibt sich eindeutig aus dem neben den Fotos enthaltenen Hinweis „Prominenten in den Mund geschoben”. Damit ist für jeden unvoreingenommenen Betrachter klar, dass Ziel der Rubrik und der Kombination von Fotos mit eindeutig fiktiven Äußerungen das politisch motivierte Verspotten der jeweilig betroffenen Prominenten ist. Weitere auf den Fotos zu sehende, ihrerseits nicht prominente Personen dienen regelhaft nur als Beiwerk und sind damit von lediglich untergeordneter Bedeutung für das Ziel, Witz über Prominente zu ermöglichen. Die diesem Ziel untergeordnete Rolle zeigt sich auch im vorliegenden Fall nicht zuletzt daran, dass lediglich der Name des abgebildeten Prominenten mitgeteilt wird. Die in der Sprechblase eingefügten Worte sind so gewählt, dass sie den Leser auf Kosten des Prominenten und der von ihm repräsentierten Partei/Parteivertreter zum Lachen reizen sollen. Dies ist ein typisches Stilmittel von Glosse oder Satire (vgl. BVerfGE 86, 1 ≪11≫). Entkleidet man vorliegend die Darstellung ihres in Wort und Bild gewählten Gewandes, so verbleibt als Kernaussage eine kritische Bewertung der Personalpolitik der CSU und deren Generalsekretärs. Dadurch ist das Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht verletzt.

Die Gerichte sehen die Persönlichkeitsverletzung des Klägers darin, dass sie der Montage von Bild und Sprechblase eine Aussage über die konkreten intellektuellen oder sonstigen Fähigkeiten des neben dem Bundesfinanzminister abgebildeten Klägers entnehmen. Dieser Aussagegehalt ist jedoch nicht näher dargelegt und eine alternative, dem Beschwerdeführer günstigere Deutung ist nicht in nachvollziehbarer Weise ausgeschlossen worden. Dies gilt insbesondere für die Feststellung des Oberlandesgerichts, der Kläger werde „auf die Stufe eines primitiven und satten Bayers herabgewürdigt”. Zumindest in gleicher Weise plausibel ist die von der Beschwerdeführerin für sich in Anspruch genommenen Deutung, wonach es nicht um den Kläger als Person, sondern als Typus ging. Auf Grund seines äußeren Erscheinungsbildes entsprach der Kläger einer bestimmten Klischeevorstellung eines Bayern. Der eigentliche Aussagekern bestünde hiernach in der Botschaft, dass der Generalsekretär der CSU eine Fehlbesetzung ist und man besser daran täte, einen „Bilderbuchbayern” wie den abgebildeten Kläger zu nehmen, dessen Ausdrucksweise für den Nichtbayern sowieso unverständlich sei. Hierbei war die Person des Klägers ohne weiteres durch jede andere Person, die von ihrem äußeren Erscheinungsbild der Klischeevorstellung eines Bayern entspricht, austauschbar. Vor diesem Hintergrund fehlt es an einer hinreichenden Begründung der Gerichte, warum sich aus den mit den Texten versehenen Bildern eine Diffamierung gerade des Klägers ergeben solle und es sich bei seiner Darstellung nicht lediglich um die spöttische Einkleidung der Aussage handelte. Auch in dieser „Instrumentalisierung” des Klägers kann zwar eine Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung liegen; sie ist jedoch von einer anderen Qualität als eine unmittelbar auf ihn bezogene Äußerung.

bb) Darüber hinaus ist die Deutung der Gerichte, in der Rubrik werde der Kläger als Repräsentant des „doofen lederbehosten Bayern” dargestellt, aus einem weiteren Grund verfassungsrechtlich nicht tragfähig begründet worden. Die Gerichte gehen offenbar davon aus, dass mit der Formulierung „… versteht ihn keiner” dem Kläger jegliche intellektuelle Fähigkeiten abgesprochen werden und dieser als geistig unterbemittelt dargestellt werden soll. In gleicher Weise plausibel ist aber auch die Deutung, dass die Unverständlichkeit des Klägers nicht auf dem Inhalt seiner Worte, sondern auf dem typisch bayerischen Dialekt beruht. Mit dieser Alternative haben sich die Gerichte aber nicht hinreichend auseinander gesetzt.

b) Unabhängig von den vorangegangenen Ausführungen leiden die angegriffenen Entscheidungen aber auch an Abwägungsdefiziten. Ausgangspunkt ist die in der zivilrechtlichen Rechtsprechung entwickelte Auffassung, dass nicht jede Persönlichkeitsbeeinträchtigung einen Anspruch auf Geldentschädigung rechtfertigt. Ist die Persönlichkeitsverletzung durch eine Meinungsäußerung erfolgt, sind die Anforderungen an die Schwere der Beeinträchtigung auch unter Berücksichtigung des Art. 5 GG zu bestimmen. Vorliegend haben die Gerichte aus der Zusammenschau von Fotos und Text eine Persönlichkeitsrelevanz hergeleitet und darauf verwiesen, dass die Äußerung auf Kosten eines unbeteiligten Dritten, nämlich des Klägers, gehe. Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Bei der Qualifizierung als schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung und der Bejahung des Vorranges gegenüber der Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin haben sie jedoch wesentliche Abwägungsgesichtspunkte, die einer solchen Bewertung entgegenstehen, außer Acht gelassen:

aa) Das Persönlichkeitsrecht räumt dem Einzelnen kein allgemeines und umfassendes Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person ein. Es gibt dem Einzelnen nicht den Anspruch, nur so von anderen dargestellt zu werden, wie er sich selber sieht oder gesehen werden möchte (vgl. BVerfGE 101, 361 ≪380≫). Vorliegend entspricht der Kläger durch das von ihm selbst gewählte äußere Erscheinungsbild der Klischeevorstellung eines „Urbayers” und muss sich deshalb auch – wenn auch nicht grenzenlos – hieran anknüpfende spöttische oder auch satirische Bemerkungen gefallen lassen. Auf diesen Gesichtspunkt ist das Oberlandesgericht nicht näher eingegangen.

bb) Die Fotos als solche sind nicht ehrenrührig, zeigen den Kläger vielmehr nicht einmal unvorteilhaft in freundlicher Pose. Die Veröffentlichung wirkt nicht in die Privat- oder Intimsphäre des Klägers ein; vielmehr stammen die Bilder aus der Sozialsphäre (vgl. zu dem unterschiedlichen Schutz verschiedener Persönlichkeitssphären nur BVerfGE 80, 367 ≪373 f.≫). Die Teilnahme des Klägers an einer Veranstaltung, bei der mit einer Berichterstattung durch die Presse gerechnet werden muss, ist Teil der von ihm selbst gewählten Beziehungen zu seiner Umwelt und berührt entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts nicht den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts. Hierauf weist auch das Bayerische Staatsministerium der Justiz in seiner Stellungnahme zutreffend hin. Zu berücksichtigen ist bei der Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsverletzung auch, dass der Kläger erkennbar nichts dagegen hatte, gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister abgelichtet zu werden, wie sein fröhlicher Blick in die Kamera belegt. Wenn er auch nach den Feststellungen der Gerichte nicht darin eingewilligt hat, dass die Fotos im Zusammenhang mit den Sprechblasen veröffentlicht wurden, so muss das grundsätzliche Einverständnis mit der Veröffentlichung der Fotos – wenn es nicht sogar auch andere übliche Formen der publizistischen Verwendung von Politikerfotos mitumfasst haben sollte – jedenfalls im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen und der Gewichtung der Persönlichkeitsbeeinträchtigung mit einbezogen werden. Auch hieran fehlt es in den angegriffenen Entscheidungen.

4. Die Entscheidungen beruhen auch auf der Verletzung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte zu einem der Beschwerdeführerin günstigeren Ergebnis gekommen wären, wenn sie bei der Prüfung der Voraussetzungen des von dem Kläger geltend gemachten Geldentschädigungsanspruchs die Ausstrahlungswirkung des Grundrechts der Meinungsfreiheit nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze berücksichtigt hätten. Auch wenn deshalb gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG die Grundrechtsverletzung durch beide angegriffenen Urteile festzustellen ist, wird es den Erfordernissen des zu beurteilenden Falles gerecht, wenn lediglich die Entscheidung des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG an dieses Gericht zurückverwiesen wird.

5. Die Auslagenentscheidung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Steiner, Hoffmann-Riem

 

Fundstellen

Haufe-Index 780418

NJW 2002, 3767

AfP 2002, 417

DSB 2003, 18

JuS 2003, 608

ZUM 2002, 920

JURAtelegramm 2003, 211

www.judicialis.de 2002

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