Leitsatz (amtlich)
Fehlt in der Rechtsmittelbelehrung des erstinstanzlichen Urteils die Belehrung darüber, daß die Berufungsschrift das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatschen und Beweismittel angeben soll, so ist sie deswegen nicht unrichtig iS des SGG § 66 Abs 2.
Normenkette
SGG § 151 Abs. 3 Fassung: 1953-08-03, § 66 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 03.06.1977; Aktenzeichen L 8 V 37/77) |
SG Stuttgart (Entscheidung vom 01.04.1976; Aktenzeichen S 16 V 2508/75) |
Tenor
1. |
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Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren vor dem Bundessozialgericht das Armenrecht zu bewilligen, wird abgelehnt. |
2. |
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 3. Juni 1977 wird als unzulässig verworfen. |
3. |
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Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. |
Gründe
Der in Polen wohnhafte Kläger hat gegen das vorbezeichnete Urteil privatschriftlich Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision erhoben und zugleich um die Bewilligung des Armenrechts nachgesucht.
Das Armenrecht könnte dem Kläger, der erklärt hat, er könne kein Armutszeugnis beschaffen - hiervon abgesehen - gemäß § 167 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 114 Abs 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nur bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg böte. Daran fehlt es hier. Denn es ist nicht ersichtlich, daß ein beim Bundessozialgericht (BSG) zugelassener Prozeßbevollmächtigter die nachträgliche Zulassung der vom Landessozialgericht (LSG) nicht zugelassenen Revision mit einer der hierfür nach § 160 Abs 2 SGG allein in Betracht kommenden Begründungen erreichen könnte. Das LSG hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil er die Berufungsfrist nicht ohne Verschulden versäumt hat, und ihm Wiedereinsetzung wegen Ablaufs dieser Frist nicht gewährt. Eine Fristversäumnis läge jedoch nicht vor, wenn die Rechtsmittelbelehrung im Urteil des Sozialgerichts (SG) im Sinne des § 66 Abs 2 SGG unrichtig bzw unvollständig wäre. Das SG hat den Kläger nicht über den Inhalt des § 151 Abs 3 SGG aF und nF belehrt, wonach die Berufungsschrift das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben " soll ". Der Senat ist jedoch - entgegen der Auffassung von Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl Stand Juni 1977 Band I S. 201 (vgl das dortige Muster der Rechtsmittelbelehrung Anm 4 zu § 66 SGG) - nicht der Meinung, daß das Fehlen dieses Hinweises die Rechtsmittelbelehrung des SG unrichtig macht; diese soll nur einen Hinweis geben, welche "ersten Schritte" ein Beteiligter unternehmen muß (BSGE 1, 227, 229). Das "Soll" in § 151 Abs 3 SGG ist nur eine Ordnungsvorschrift (vgl dazu auch BSG in SozR 1500 Nr 16 zu § 160a SGG), deren Nichtbeachtung die Berufung nicht unzulässig macht. Da dieses Erfordernis zudem in § 66 Abs 1 SGG nicht genannt ist, ist die Rechtsmittelbelehrung des SG nicht zu beanstanden.
Die Entscheidung des LSG über die Frage der Wiedereinsetzung begegnet keinen rechtlichen Bedenken; zumindest kommen die in § 160 Abs 2 SGG aufgeführten Gründe einer nachträglichen Zulassung der Revision in bezug auf diese Entscheidung des LSG nicht in Betracht. Eine vom BSG noch nicht geklärte Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG liegt insoweit nicht vor. Wie sich auch aus dem Beschluß des Großen Senats des BSG vom 10. Dezember 1974 - GS 2/73 - (BSGE 38, 248, 254) ergibt, kann die Frage, ob eine gesetzliche Verfahrensfrist ohne Verschulden versäumt ist, nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung der im Einzelfall gegebenen Umstände entschieden werden. Eine Entscheidung darüber ist mithin ohne Bedeutung für andere Verfahren und deshalb nicht geeignet, der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu verleihen.
Eine Abweichung des angefochtenen Urteils von einer Entscheidung des BSG oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist ebenfalls nicht zu erkennen.
Endlich ist auch nicht ersichtlich, daß dem LSG bei der angefochtenen Entscheidung ein Verfahrensmangel unterlaufen sein könnte, daß es also bei der unstreitig versäumten Berufungsfrist etwa zu Unrecht einen Wiedereinsetzungsgrund als nicht gegeben erachtet und infolgedessen rechtswidrig eine Entscheidung über das sachliche Begehren des Klägers unterlassen hätte. Das LSG durfte ohne Verfahrensverstoß bei Prüfung des Vorliegens eines Wiedereinsetzungsgrundes zu dem Ergebnis gelangen, der Kläger habe hier nicht die von einem gewissenhaften Prozeßführenden nach den gesamten Umständen zu erwartende Sorgfalt beobachtet, weshalb er nicht ohne Verschulden verhindert gewesen sei, die Berufungsfrist einzuhalten. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das LSG ein Verschulden des Klägers an der Versäumung der Berufungsfrist daraus hergeleitet hat, daß er - mangels ausreichender Deutschkenntnisse - auch in polnischer Sprache ein kurzes Schreiben an das Gericht hätte schicken können, ferner daß er aus seiner Erfahrung bei der Klageerhebung mit einer Rechtsmittelfrist rechnen mußte und nicht davon ausgehen konnte, daß er - ohne Rechtsverlust - in Kenntnis des ihm ungünstigen Ausgangs des Verfahrens 1. Instanz sich mit einem Zuwarten bis zu der - ihm unbekannten - Rückkehr seines deutsch schreibenden Freundes begnügen durfte. Wenn der Kläger ferner - wie er jetzt schreibt - nichts davon gewußt haben sollte, daß es in der Stadt ein Übersetzungsbüro gibt, so ist auch damit ein mangelndes Verschulden nicht dargetan.
Demnach mußte dem Kläger das Armenrecht versagt werden, weil nicht ersichtlich ist, daß ein beim BSG zugelassener Prozeßbevollmächtigter die Nichtzulassungsbeschwerde zum Erfolg führen könnte und es somit an der hinreichenden Erfolgsaussicht der vom Kläger beabsichtigten Rechtsverfolgung fehlt. Zugleich mußte die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers in entsprechender Anwendung des § 169 SGG durch Beschluß des Senats ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig verworfen werden, weil sie nicht in der durch § 166 SGG vorgeschriebenen Form eingelegt worden ist; hierüber ist der Kläger in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils zutreffend unterrichtet worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen