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BGH Urteil vom 29.06.1987 - II ZR 6/87 (veröffentlicht am 29.06.1987)

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Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen das Gericht die ihm obliegende Verpflichtung verletzt, ausländisches Recht von Amts wegen zu ermitteln.

 

Normenkette

ZPO § 293

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf

LG Krefeld

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 26. November 1986 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Beklagte, die ihren Firmensitz in der Bundesrepublik Deutschland hat, betreibt in Spa mit Duldung der Behörden des belgischen Staates ein Spielcasino. Sie führt Steuern an den belgischen Staat ab. Der Kläger hat in diesem Casino beim Roulettespiel Gewinne von 2 Mio belgischen Francs erzielt. Die Beklagte hat über diesen Betrag am 6. November 1982 einen bei der „S. G. S.A.” in Belgien zahlbar gestellten Scheck ausgestellt. Der Kläger hat diesen Scheck sowohl bei der B. V. … als auch bei der bezogenen Bank zur Zahlung vorgelegt. Diese haben die Bezahlung des Schecks abgelehnt.

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung der Schecksumme nebst Kosten und Zinsen. Die Beklagte lehnt die Zahlung ab. Sie meint, dazu berechtigt zu sein, weil der Kläger Bezahlung einer Spielschuld verlange, der zugrundeliegende Spielvertrag nach belgischem Recht jedoch nichtig sei.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat eine Auskunft des belgischen Justizministeriums nach dem Europäischen Übereinkommen vom 7. Juni 1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht (BGBl II 1974, 938) eingeholt und der Klage unter Aberkennung eines Teils der Zinsforderung stattgegeben. Mit der Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Zurückverweisung.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagte könne dem Kläger die Auszahlung des Gewinns nicht unter Berufung auf Art. 1965 code civil verweigern. Wenn die Beklagte auch im Hinblick auf das in dem Gesetz vom 24. Oktober 1902 ausgesprochene uneingeschränkte Spielverbot für den Betrieb einer Spielbank keine staatliche Konzession erlangen könne, werde der Betrieb doch bereits seit Jahren von den belgischen Behörden geduldet, die Beklagte werde der Steuerpflicht unterworfen und ihre Betreiber seien keiner Strafverfolgung ausgesetzt. Da dieser Umstand bei dem spielenden Publikum den Eindruck einer staatlichen Genehmigung hervorrufe und die Werbung der Beklagten keinen Hinweis darauf enthalte, daß die Auszahlung des Gewinns in ihrem Belieben stehe, werde bei den Besuchern des Spielcasinos der Eindruck erweckt, daß sie einen durchsetzbaren Anspruch auf Auszahlung eines möglichen Gewinns hätten. Dieses Vertrauen sei schutzbedürftig.

Die Revision meint, zu diesem Ergebnis sei das Berufungsgericht aufgrund fehlerhafter Verfahrensweise gelangt. Es habe ermessensfehlerhaft materielles belgisches Recht nicht ermittelt und damit die Verfahrensvorschrift des 293 ZPO verletzt. Seine Entscheidung beruhe auf der Anwendung inländischer, an § 763 BGB und dem Vertrauensprinzip ausgerichteter Rechtsvorstellungen. Die Frage, ob das belgische Recht die angewandten Rechtsgrundsätze überhaupt kenne und im Streitfall zur Anwendung bringe, sei im Rahmen des Verfahrens nicht angesprochen worden und werde von dem durch das Berufungsgericht eingeholten Auskunftsersuchen nicht umfaßt, habe aber ohne Schwierigkeiten geklärt werden können. Dieser Rüge der Revision kann der Erfolg nicht versagt werden.

a) Auf die Scheckforderung einschließlich der dieser zugrundeliegenden Forderung aus Spiel findet belgisches Recht Anwendung (vgl. zur Anwendung ausländischen Scheckrechts Art. 63 ScheckG sowie zur Spielschuld Staudinger/Firsching, BGB, 10./11. Aufl., vor Art. 12 EGBGB Rdnr. 583; Martiny in MK, BGB, 1983, vor Art. 12 EGBGB Rdnr. 282). Denn nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist der von der Beklagten ausgestellte Scheck in Belgien unterschrieben worden und der Kläger hat seinen Spielgewinn in dem von der Beklagten in Belgien betriebenen Spielcasino erzielt.

Hingegen ist deutsches Verfahrensrecht anzuwenden. Denn im Internationalen Privatrecht ist für das Verfahrensrecht grundsätzlich das Recht des Gerichtsortes maßgebend (vgl. BGHZ 59, 23, 26; 78, 108, 114; BGH, Urt. v. 23. Oktober 1980 – III ZR 62/79, WM 1981, 181, 190). Nach deutschem Prozeßrecht kann die Revision nicht auf die Verletzung ausländischen Rechts gestützt werden (§ 549 Abs. 1 ZPO). Vielmehr sind die Feststellungen des Berufungsgerichts über Bestehen und Inhalt dieses Rechts für das Revisionsgericht bindend (§ 562 ZPO). Das Gericht trifft jedoch die Verpflichtung, das für die Entscheidung eines Rechtsstreits maßgebende ausländische Recht nach § 293 ZPO von Amts wegen zu ermitteln (vgl. u. a. BGHZ 36, 348, 353; 77, 32, 38; Fastricht, Revisibilität der Ermittlung ausländischen Rechts ZZP 97, 423, 425). Übt es das ihm obliegende pflichtgemäße Ermessen nicht aus und kommt es seiner Ermittlungspflicht nicht nach, kann dieser Umstand mit der Revision gerügt werden (vgl. u. a. BGHZ 36, 348, 353; BGH, Urt. v. 4. Mai 1956 – VI ZR 138/54, MDR 57, 31, 33; Urt. v. 27. April 1976 – VI ZR 264/74, NJW 1976, 1588, 1589).

b) Das Berufungsgericht hat keine Ermittlungen über den von ihm angewandten Vertrauensgrundsatz angestellt. Das von dem Berufungsgericht an das belgische Justizministerium nach dem Europäischen Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches Recht gerichtete Auskunftsersuchen enthält im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Art. 1965 code civil zwar auch die Frage, ob der Spieleinwand aus dieser Vorschrift nach dem zur Entscheidung stehenden Sachverhalt durchgreift. Aus dem gemäß Art. 4 Abs. 2 des Übereinkommens darzustellenden Sachverhalt ergibt sich jedoch, daß bei der Beantwortung der Frage entsprechend den unterschiedlichen tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen der Parteien nur darauf abgestellt werden sollte, ob der Kläger ein Spiel „au comptant” oder „sur parole” ausgeführt hat. Der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes, auf den das Berufungsgericht entscheidend abstellt und den es dem Spieler eines öffentlich betriebenen Spielcasinos zubilligt, das vom belgischen Staat zur Entrichtung von Steuern herangezogen, dessen Betrieb staatlich geduldet wird, deren Betreiber strafrechtlich trotz des Verbotsgesetzes vom 24. Oktober 1902 nicht verfolgt werden und deren Werbung keinen Hinweis auf eine fehlende rechtliche Verpflichtung zur Auszahlung etwaiger Gewinne enthält, wird hier nicht aufgegriffen. Es ist auch nicht ersichtlich, daß das Berufungsgericht sonstige Erkenntnisquellen i. S. des § 293 ZPO benutzt hat, um festzustellen, ob der von ihm angewandte Grundsatz im belgischen Recht besteht, welche Vorschriften dafür maßgebend sind und welche Ansichten dazu in Rechtsprechung und Rechtslehre vertreten werden.

Jedoch ist auch diese Möglichkeit der Verfahrensrüge nach § 293 ZPO dann nicht gegeben, wenn mit ihr in Wirklichkeit die Nachprüfung irrevisiblen ausländischen Rechts bezweckt wird (vgl. BGH, Urt. v. 29. Oktober 1962 – II ZR 28/62, NJW 1963, 252, 253; Urt. v. 28. Mai 1971 – V ZR 13/69, WM 1971, 1094, 1095; Urt. v. 23. Oktober 1980 – III ZR 62/79, WM 1981, 189, 190; auch RGZ 114, 197, 199/200; 152, 23, 28/29; RG WarnRspr. 1932, 27; vgl. auch die Zusammenfassung bei Fastricht a.a.O., ZZP 97, 423, 435ff). Diese Voraussetzung hat die Rechtsprechung für die Überprüfung der Frage bejaht, ob das Berufungsgericht eine Rechtsnorm richtig oder falsch ausgelegt hat, wenn ansonsten das Recht ohne Verfahrensverstoß ermittelt worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 13. Juli 1959 – II ZR 109/57, NJW 1959, 1873; Urt. v. 29. Oktober 1962 – II ZR 28/62 a.a.O.; Urt. v. 23. Oktober 1980 – III ZR 62/79 a.a.O.). Die Revisionserwiderung meint, die von der Revision erhobene Rüge diene allein diesem Ziel. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Zwar führt die Revision aus, das Vertrauen der Spieler auf Gewinnauszahlung könne dann nicht geschützt werden, wenn der Spieleinwand nach belgischem Recht zur Bekämpfung der Spielleidenschaft Bestandteil zwingenden Rechts sei. Würde das die Rüge der Revision darstellen, wäre sie in der Tat inhaltlich gegen die Auslegung des belgischen Rechts gerichtet, soweit es von dem Berufungsgericht ermittelt worden ist. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Revision wendet sich vielmehr dagegen, daß das Berufungsgericht überhaupt keine Ermittlungen über den Inhalt der belgischen Rechtsordnung zu dem von ihm angewandten Vertrauensgrundsatz angestellt hat, obwohl ihm dessen Grundsätze nicht geläufig waren.

Die Verletzung ausländischen Rechtes kann auch dann nicht mit der Revision gerügt werden, wenn die Ausführungen des Berufungsgerichts über das ausländische Recht nicht erschöpfend sind (vgl. BGH, Urt. v. 29. Oktober 1962 – II ZR 28/62 a.a.O.; Urt. v. 28. Mai 1971 – V ZR 13/69 a.a.O.; RGZ 152, a.a.O.; RG WarnRspr. 1932 Nr. 27; RGZ 114, 197, 200; Zöller/Schneider, ZPO, 15. Aufl., § 562 Rdnr. 3). Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung kann dieser in der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz im vorliegenden Falle nicht angewandt werden. Denn das Berufungsgericht hat die Gründe, aus denen es den nach Art. 1965 code civil erhobenen Spieleinwand der Beklagten nicht gelten lassen will, im einzelnen dargelegt. Seine Entscheidung läßt jedoch nicht erkennen, daß es bei der Ermittlung des von ihm angewandten Rechtsgrundsatzes das ihm eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat. Es ist nicht ersichtlich, ob und auf welche Weise es zu klären versucht hat, ob der von ihm zur Anwendung gebrachte Rechtsgrundsatz im belgischen Recht besteht, welche Vorschriften dafür maßgebend sind und welche Ansichten dazu in Rechtsprechung und Rechtslehre vertreten werden. Seine Entscheidung kann daher auch unter diesem Blickpunkt keinen Bestand haben (vgl. BGH, Urt. v. 5. November 1980 – VIII ZR 230/79, NJW 1981, 522, 526; vgl. auch Fastricht a.a.O. S. 439–442).

Die Sache war zurückzuverweisen, damit den Parteien Gelegenheit zum ergänzenden Vortrag gewährt werden und das Berufungsgericht die weiterhin erforderlichen Feststellungen treffen kann.

 

Unterschriften

Dr. Kellermann, Brandes, Dr. Hesselberger, Röhricht, Dr. Henze

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 29.06.1987 durch Spengler Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 682261

NJW 1988, 647

Nachschlagewerk BGH

IPRspr. 1987, 2

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