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BGH Urteil vom 26.02.1981 - VII ZR 50/80

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Leitsatz (amtlich)

Zu den Pflichten einer Gewerkschaft, die es übernommen hat, einem Mitglied Rechtsschutz zu gewähren.

 

Normenkette

BGB § 662

 

Verfahrensgang

OLG München (Urteil vom 28.12.1979)

LG Kempten (Urteil vom 18.01.1979)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Oberlandesgerichts München – 14. Zivilsenat in Augsburg – vom 28. Dezember 1979 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Kempten vom 18. Januar 1979 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtsmittelzüge zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger war bei der C. D. KG, Heizungs- und Lüftungsbau, in K. Allgäu (künftig nur: KG) als Geschäftsführer gegen Gehalt und Gewinnbeteiligung angestellt. Auf die Gewinnbeteiligung erhielt er monatliche Abschlagszahlungen. Am 1. Februar 1972 wurde ihm aus wichtigem Grunde fristlos und zugleich fristgerecht zum 30. Juni 1972 gekündigt.

Die beklagte Gewerkschaft gewährt ihren Mitgliedern, zu denen auch der Kläger gehört, auf Antrag Rechtsschutz. Mit ihrer Hilfe erhob der Kläger ans 3. Februar 1972 beim zuständigen Arbeitsgericht Klage. Dabei wendete er sich nur gegen die fristlose Kündigung. Das Arbeitsgericht stellte durch Urteil vom 27. Mai 1975 fest, daß die außerordentliche Kündigung unwirksam sei, jedoch als fristgerechte wirke und daß das Arbeitsverhältnis zum Ablauf des 30. Juni 1972 beendet worden sei. Eine von der beklagten KG zwischenzeitlich erhobene Widerklage auf Zahlung von Schadensersatz wies es ab. Das am 4. November 1975 zugestellte Urteil ist rechtskräftig.

Anschließend – im Februar 1976 – erhob der Kläger wiederum mit Hilfe der Beklagten gegen die KG Klage auf Zahlung seines Gehalts für die Zeit vom 1. Februar bis zum 30. Juni 1972 sowie seiner restlichen Gewinnbeteiligung für 1971 und – anteilig – für 1972. Die KG berief sich mit Erfolg auf Verjährung.

Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger von der Beklagten Ersatz der Schäden, die ihm dadurch entstanden sind, daß die Beklagte, wie er meint, seine Ansprüche nicht rechtzeitig für ihn geltend gemacht habe. Vor dem Landgericht hat er beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 25.968,21 DM nebst Zinsen zu verurteilen. Die Beklagte hat dem entgegengehalten, daß sie nur verpflichtet gewesen sei, den Kläger gegen die fristlose Kündigung zu schützen.

Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 25.897,38 DM nebst Zinsen auf 21.478,90 DM seit Klagezustellung (2. Juni 1977) zu zahlen, und die Klage im übrigen abgewiesen.

Mit der Berufung hat die Beklagte sich nur noch gegen ihre Verurteilung zur Zahlung der restlichen Gewinnbeteiligung für 1971 (6.490,85 DM), hierauf bis zum 1. Mai 1977 aufgelaufener Zinsen (1.125,08 DM) sowie der seit Klageerhebung anfallenden Zinsen gewendet. Das Oberlandesgericht hat die Klage insoweit abgewiesen.

Mit der – zugelassenen – Revision, um deren Zurückweisung die Beklagte bittet, erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

I.

Im Streit ist nur noch der Schaden, der dem Kläger infolge verspäteter Geltendmachung und Verjährung seines Anspruchs auf Gewinnbeteiligung für das Jahr 1971 entstanden ist.

Das Berufungsgericht meint, die Beklagte brauche diesen Schaden nicht zu ersetzen. Sie hätte zwar den Kläger rechtzeitig darauf hinweisen müssen, daß die ihm für die Zeit vom Zugang der Kündigung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, also für die Zeit vom 1. Februar bis zum 30. Juni 1972 zustehenden Ansprüche auf Gehalt und Gewinnbeteiligung zu verjähren drohten, Ihre Belehrung würde auch den Kläger veranlaßt haben, seine gesamten Ansprüche noch fristgerecht gerichtlich geltend zu machen; ihr pflichtwidriges Verhalten sei mithin auch für den hier in Rede stehenden Schaden ursächlich. Die Beklagte sei aber aufgrund des Rechtsschutzvertrages nicht verpflichtet gewesen, den Kläger auch vor der Gefahr einer Verjährung seines die Gewinnbeteiligung für 1971 betreffenden Anspruchs zu warnen. Insoweit werde der Schaden des Klägers nicht mehr vom Schutzzweck des Vertrages erfaßt.

Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg.

1. Nicht zu beanstanden ist allerdings die Feststellung des Berufungsgerichts, der Kläger habe nicht bewiesen, daß die Beklagte sein unter dein 11. Dezember 1972 verfaßtes Schreiben erhalten habe und daß sie damit ausdrücklich aufgefordert worden sei, den Anspruch auf Gewinnbeteiligung für 1971 noch im anhängigen Arbeitsgerichtsprozeß einzuklagen.

Die Revision nimmt das auch hin. Sie wehrt, sich nur gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, der Inhalt des Schreibens spreche gegen die Einbeziehung des Anspruchs auf Gewinnbeteiligung für 1971 in den Rechtsschutzvertrag.

2. Damit hat sie recht. Die Beklagte war auch ohne ausdrücklichen Auftrag verpflichtet, diesen Anspruch unverzüglich geltend zu machen.

a) Ein Rechtsanwalt hat dafür zu sorgen, daß vermeidbare Nachteile für seinen Auftraggeber auch vermieden werden. Er hat sein Verhalten so einzurichten, daß jede von einem Rechtskundigen, wenn auch nur als möglich, erkennbare Schädigung seines Mandanten verhindert wird (BGH, Urteil vom 14. Januar 1975 – VI ZR 102/74 = LM BGB § 276 [Ci] Nr. 25 mit Nachw.). Die Prüfung der Frage, ob einem Anspruch seines Mandanten Verjährung drohen kann, gehört zu seinen wichtigsten Aufgaben. In einem solchen Falle hat er alle geeigneten Schritte zu unternehmen, um die Rechte seines Auftraggebers zu wahren (BGH, Urteil vom 13. Juli 1971 – VI ZR 140/70 = LM BGB § 675 Nr. 46 mit Nachw.).

b) Dies gilt grundsätzlich auch für alle anderen Personen oder Vereinigungen, die sich mit Rechtsberatung befassen. Ob insoweit an deren Sorgfaltspflicht unter Umständen geringere Anforderungen zu stellen sind als bei einem Rechtsanwalt, kann hier offen bleiben (vgl. zur Haftung eines Rechtsbeistands z.B. BGH, Urteil vom 8. Juni 1971 – VI ZR 30/70 = LM BGB § 611 Nr. 34). Jedenfalls dann, wenn es sich um alltägliche Rechtsfragen handelt, zu deren Bearbeitung sich die betreffende Person oder Vereinigung als sachkundig ausgegeben hat, darf ein unterschiedlicher Maßstab bei der Beurteilung der Sorgfaltspflicht nicht angelegt werden. So hat der Senat eine Einschränkung der Sorgfaltspflicht nicht in Erwägung gezogen, als ein gemeinnütziger Verein, der es sich u.a. zur Aufgabe gemacht hat, seinen Mitgliedern bei der Verfolgung ihrer Versorgungs- und Sozialversicherungsansprüche Hilfe zu leisten, es versäumt hatte, bei Schadensersatzansprüchen seines Mitglieds für eine rechtzeitige Unterbrechung der Verjährung zu sorgen. Er hat vielmehr ausgesprochen, daß dieser Verein hierzu auch ohne besonderen Auftrag verpflichtet gewesen sei und daß er von sich aus eindeutig hätte darauf hinweisen müssen, wenn er nicht die bestmögliche Unterstützung gewähren wollte (NJW 1980, 1743).

c) Hier liegen die Dinge ebenso. Wenn die Beklagte dem Kläger nicht umfassenden Rechtsschutz geben wollte, hätte sie ihn rechtzeitig entsprechend belehren müssen.

aa) Die Beklagte ist eine auf berufsständischer oder ähnlicher Grundlage gebildete Vereinigung im Sinne des Art. 1 § 7 RBerG (vgl. auch OVG Münster, NJW 1967, 1340, 1341). Sie hatte dem Kläger nach Maßgabe ihrer Rechtsschutzordnung Rechtsschutz zu gewähren. Dieser Rechtsschutz bestand aus Rechtsberatung in allen arbeits-, beamten- und sozialrechtlichen Fragen (ausgenommen denen der Kriegsopferversorgung) und aus Rechtsvertretung, nämlich Einleitung und Durchführung von Prozessen sowie Prozeßvertretung vor den Arbeits-, Sozial- und Verwaltungsgerichten in arbeits-, beamten- und sozialrechtlichen Streitigkeiten. Eine sachliche Beschränkung des Rechtsschutzes auf bestimmte Bereiche des Arbeitsrechts enthält die Rechtsschutzordnung nicht.

Davon war der Kläger unterrichtet. Ein Exemplar der Rechtsschutzordnung (Ausgabe vom 21. Dezember 1964) war ihm bei seinem Antrag vom 3. Februar 1972 ausgehändigt worden.

bb) Als der Kläger Rechtsschutz „wegen fristloser Kündigung” beantragte, ging es ersichtlich nicht nur darum, die sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu verhindern. Entscheidend war vor allem, daß er seine Ansprüche auf Gehalt und Gewinnbeteiligung behielt. Gelang das nicht, war sein Vorgehen gegen die Kündigung wertlos.

Die Beklagte sieht das inzwischen auch weitgehend ein, wie die Beschränkung ihrer Berufung zeigt. Entgegen ihrer – vom Berufungsgericht geteilten – Ansicht war sie aber nicht nur verpflichtet, die seit dem Zugang der Kündigung bis zu deren Wirksamwerden entstandenen Ansprüche geltend zu machen. Unstreitig war den Parteien von vornherein klar, daß an eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf Dauer nicht zu denken war, weil jedenfalls die ordentliche Kündigung durchgreifen würde. Bei zweekgerechter Auslegung des Rechtsschutzvertrages hatte die Beklagte daher mangels entgegenstehender Weisung für die bestmögliche Abwicklung des gesamten Arbeitsverhältnisses zu sorgen. Insoweit hatte sie umfassenden Rechtsschutz zu gewähren.

cc) Die beiden vom Berufungsgericht in diesem Zusammenhang erörterten Schreiben des Klägers vom 7. November und 11. Dezember 1972 stehen dem nicht entgegen. Das erste, an die KG gerichtete Schreiben zeigt nur, daß der Kläger seiner früheren Arbeitgeberin gegenüber auf seinem Anspruch auf Gewinnbeteiligung für 1971 beharrte. Daß er etwa angenommen habe, die Beklagte wolle und werde für ihn insoweit nicht tätig werden, ergibt sich daraus nicht. Dem würde auch sein zweites Schreiben widersprechen, in dem er die Beklagte bat, auch diese Forderung in die „anhängige Arbeitsgerichtssache … mit aufzunehmen”. Der Kläger hat zwar nicht bewiesen, daß die Beklagte dieses Schreiben erhalten hat; dessen Wortlaut besagt aber nicht, was das Berufungsgericht offenbar meint, daß er erst jetzt von ihr die vollständige Abwicklung seines Arbeitsverhältnisses erwartete. Im übrigen kommt es – darin ist der Revision zuzustimmen – auf den Beweis auch nicht an. Gleichviel, ob die Beklagte das Schreiben erhalten hatte oder nicht, durfte sie keinesfalls annehmen, daß sie dem Kläger wegen seines Anspruchs auf Gewinnbeteiligung für 1971 Rechtsschutz nicht zu gewähren brauche.

dd) Entsprechendes gilt für die sonstigen Umstände, aus denen das Berufungsgericht einen eingeschränkten Auftrag zur Gewährung von Rechtsschutz ableitet. Richtig ist zwar, daß die Kündigung den Anspruch auf Gewinnbeteiligung für 1971 nicht unmittelbar berührt. Die Beklagte wußte aber, wie die von ihr verfaßte Klageschrift ergibt (a.a.O. S. 4), von Anfang an, daß der Kläger Gewinnbeteiligung zu beanspruchen hatte und daß hierüber für 1971 noch nicht abgerechnet worden war. Stand damals auch nicht fest, ob die Gewinnbeteiligung „wirklich und sicher” über der Summe der Vorauszahlungen liegen werde, so war die Beklagte doch im Rahmen der Gesamtabwicklung des Arbeitsverhältnisses zur Prüfung verpflichtet, ob dem Kläger etwa noch eine Gewinnbeteiligung zustand.

ee) Hatte somit die Beklagte umfassenden Rechtsschutz zu gewähren, so kommt es nicht darauf an, welche Maßnahmen der Kläger von ihr ausdrücklich gefordert hat. Ausschlaggebend ist vielmehr, was die Beklagte ihm zur bestmöglichen Wahrnehmung seiner Rechte hätte empfehlen müssen und wie der Kläger sich daraufhin entschieden hätte. Auch ungefragt war sie verpflichtet, den Kläger nicht nur über die Gefahr einer Verjährung seines Anspruchs, sondern auch darüber zu belehren, daß und wie dieser Anspruch – wegen des anderenfalls drohenden Zinsausfallschadens – möglichst frühzeitig geltend zu machen sei. Daß der Kläger dann ihrem Rat gefolgt wäre, stellt das Berufungsgericht fest.

d) Diese Rechtsschutzpflichten hat die Beklagte versäumt. Ihr Sachbearbeiter hat fahrlässig gehandelt. Das Verschulden ihres Erfüllungsgehilfen hat sie zu vertreten.

II.

Die Beklagte hat nach alledem den Schaden zu ersetzen, der dem Kläger infolge nicht rechtzeitiger Geltendmachung und späterer Verjährung seines Anspruchs auf Gewinnbeteiligung entstanden ist.

1. Dieser Schaden besteht zunächst in der durch Vorauszahlungen nicht abgegoltenen restlichen Gewinnbeteiligung für 1971 in Höhe von unstreitig 6.490,85 DM.

2. Er besteht ferner in dem Zinsverlust, der dem Kläger entstanden ist, weil die Beklagte die Gewinnbeteiligung nicht unverzüglich im Arbeitsgerichtsprozeß eingeklagt hat.

a) Der Kläger beansprucht diese Zinsen in Höhe von 4 % für die Zeit vom 1. Januar 1973 bis zum 1. Mai 1977. Das ist nicht zu beanstanden, weil die Bilanz der KG für 1971 bereits am 6. Oktober 1972 erstellt war. Auf der Grundlage eines von ihm bei Klageerhebung noch angenommenen Hauptanspruchs von nur 4.327,88 DM hat er diese Zinsen rechnerisch richtig mit 750,16 DM ermittelt.

b) Das Landgericht hat ihm demgegenüber 1.125,08 DM als Zinsen zuerkannt. Es hat diesem Betrag – gleichfalls rechnerisch richtig – die inzwischen unstreitig gewordene restliche Gewinnbeteiligung von 6.490,85 DM zugrunde gelegt.

Das war zwar nicht zulässig, weil der Kläger im ersten Rechtszuge Zinsen nur in Höhe von 750,16 DM verlangt, hatte. Indem er beantragte, die Berufung der Beklagten auch in diesem Punkt zurückzuweisen, hat er aber seine Klage in zulässiger Weise erweitert. Er kann deshalb 1.125,08 DM als Zinsen beanspruchen.

3. Das Berufungsgericht hätte nach alledem die Klage nicht in Höhe von (6.490,85 DM + 1.125,08 DM =) 7.615,93 DM nebst Zinsen auf 6.490,85 DM abweisen dürfen. Das angefochtene Urteil kann demgemäß nicht bestehen bleiben. Für ein Mitverschulden des Klägers ist nichts dargetan. Weiterer Feststellungen bedarf es daher nicht. Der Senat kann deshalb in der Sache abschließend entscheiden und die Berufung der Beklagten zurückweisen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91, 97 ZPO.

 

Unterschriften

Vogt, Girisch, Recken, Doerry, Bliesener

 

Fundstellen

Haufe-Index 1237743

NJW 1981, 1553

Nachschlagewerk BGH

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