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BGH Urteil vom 21.06.2012 - 4 StR 77/12

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Verfahrensgang

LG Halle (Saale) (Urteil vom 20.10.2011)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 20. Oktober 2011 aufgehoben

  1. im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II. 27 und 33 bis 40 der Urteilsgründe und im Ausspruch über die Gesamtstrafe,
  2. soweit von der Anordnung eines Vorwegvollzugs abgesehen worden ist.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorgenannte Urteil hinsichtlich der Anordnung des Verfalls von Wertersatz aufgehoben.

3. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.

4. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 29 Fällen (Fälle II. 1 bis 26, 29, 31 und 32 der Urteilsgründe), davon in zwölf Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fälle II. 15 bis 26 der Urteilsgründe) und davon in weiteren 13 Fällen in Tateinheit mit gewerbsmäßiger unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren (Fälle II. 2 bis 14 der Urteilsgründe), wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen (Fälle II. 27, 33 bis 40 der Urteilsgründe) und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen (Fälle II. 28 und 30 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Es hat die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und von der Anordnung eines Vorwegvollzugs abgesehen. Ferner hat das Landgericht den Verfall von Wertersatz in Höhe von 130.000 EUR angeordnet. Gegen dieses Urteil wenden sich sowohl der Angeklagte als auch (zu seinen Ungunsten) die Staatsanwaltschaft – diese beschränkt auf den Strafausspruch – mit ihren jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen.

I.

Rz. 2

Das wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, die sich insbesondere gegen die Annahme minder schwerer Fälle in den Fällen II. 2 bis 27 und 33 bis 40 der Urteilsgründe wendet, hat nur hinsichtlich der Fälle II. 27 und 33 bis 40 der Urteilsgründe Erfolg.

Rz. 3

1. Entscheidend für das Vorliegen eines minder schweren Falles ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Für die Prüfung dieser Frage ist daher eine Gesamtbetrachtung erforderlich, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen. Die Erschwerungsgründe und die Milderungsgründe auf diese Weise nach pflichtgemäßem Ermessen gegeneinander abzuwägen ist Sache des Tatrichters. Seine Wertung ist vom Revisionsgericht nur beschränkt nachprüfbar (BGH, Urteil vom 30. Oktober 1986 – 4 StR 492/86, BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall, Gesamtwürdigung, fehlerfreie 1; BGH, Urteil vom 6. November 2003 – 4 StR 296/03, NStZ-RR 2004, 80).

Rz. 4

In diesem Sinne zeigt die Revision Rechtsfehler bei der Wahl des Strafrahmens nicht auf. Das Landgericht hat die erforderliche Gesamtschau vorgenommen und dabei alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt. Die Entscheidung ist daher zu respektieren, auch wenn hier eine andere Beurteilung möglicherweise näher gelegen hätte.

Rz. 5

2. Allerdings ist dem Tatrichter bei der Zumessung der Einzelstrafen aus dem Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG in den Fällen II. 27 und 33 bis 40 der Urteilsgründe ein Fehler unterlaufen. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe reicht (UA S. 20). Dabei hat es übersehen, dass der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 (BGBl. I S. 1990, 2010) mit Wirkung vom 23. Juli 2009 die Obergrenze des Strafrahmens auf zehn Jahre angehoben hat. Da der Angeklagte die Taten II. 27 und 33 bis 40 der Urteilsgründe zwischen November 2010 und Februar 2011 begangen hat, war hier dieser erhöhte Strafrahmen zugrunde zu legen. Das Landgericht hat in diesen Fällen Einzelstrafen zwischen zwei Jahren und sechs Monaten (Fall II. 40) und vier Jahren und zwei Monaten (Fälle II. 27 und 34) und somit bis nahe der Obergrenze des fehlerhaft zugrunde gelegten Strafrahmens verhängt. Es ist daher nicht auszuschließen, dass es bei Anwendung des richtigen Strafrahmens in diesen Fällen höhere Strafen verhängt hätte.

Rz. 6

3. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, dass sich die Strafkammer bei der Strafzumessung nicht mit der Frage befasst hat, ob die im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurücktretenden Qualifikationstatbestände eine Sperrwirkung hinsichtlich der Mindeststrafe des für minder schwere Fälle vorgesehenen Ausnahmestrafrahmens entfalten (vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 2003 – 3 StR 349/02, NStZ 2003, 440), schließt der Senat aus, dass die in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen auf diesem Fehler beruhen, denn sie überschreiten die Mindeststrafe der verdrängten Tatbestände deutlich.

Rz. 7

4. Die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen II. 27 und 33 bis 40 der Urteilsgründe führt auch zur Aufhebung der milden Gesamtstrafe und des an sich rechtsfehlerfreien Absehens von der Anordnung eines Vorwegvollzugs. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben. Ergänzende, zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen durch den neuen Tatrichter sind möglich.

 

Entscheidungsgründe

II.

Rz. 8

Die Revision des Angeklagten hat nur hinsichtlich der Verfallsanordnung Erfolg. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keine Rechtsfehler zu seinen Lasten ergeben.

Rz. 9

Das Landgericht, das zutreffend davon ausgegangen ist, dass der vom Angeklagten eingenommene Verkaufserlös ohne Berücksichtigung von ihm gegenüberstehenden Unkosten insgesamt dem Verfall unterliegen kann („Bruttoprinzip”), hat sich nicht erkennbar mit § 73c StGB auseinandergesetzt. Das Urteil enthält keine Ausführungen dazu, ob der Wert des aus den Betäubungsmitteldelikten Erlangten im Vermögen des Angeklagten noch vorhanden ist und, falls nicht, ob die Anordnung ganz oder zum Teil unterbleiben kann (§ 73c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB). Hierzu hätte aber angesichts des hohen Verfallsbetrages sowie der Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten Anlass bestanden (vgl. BGH, Urteil vom 24. September 2009 – 3 StR 188/09 Rn. 8).

Rz. 10

In diesem Umfang bedarf die Sache daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Einer Aufhebung der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den Einnahmen aus dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln – insgesamt 134.530,75 EUR – bedarf es nicht.

 

Unterschriften

Ernemann, Roggenbuck, Franke, Mutzbauer, Quentin

 

Fundstellen

Dokument-Index HI3083492

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  Leitsatz (amtlich) Bei der Anwendung des minder schweren Falles nach § 30 a Abs. 3 BtMG ist die Sperrwirkung der höheren Mindeststrafe eines verdrängten Tatbestandes wie dem des § 29 a Abs. 1, § 30 Abs. 1 BtMG zu beachten, sofern nicht auch insoweit ein ...

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