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BGH Urteil vom 18.10.2000 - IV ZR 99/99 (veröffentlicht am 18.10.2000)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung eines Pflichtteils auf Nachvermächtnis, welches von den Erben des Vorvermächtnisnehmers zu erfüllen ist. Ausschlagungfrist für Nachvermächtnis

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Pflichtteilsberechtigter, der vom Erben den Pflichtteil aus dem vollen Wert des Nachlasses erhalten hat, braucht sich diese Zahlung auch nicht teilweise auf ein Nachvermächtnis anrechnen zu lassen, das nicht vom Erben, sondern von den Rechtsnachfolgern der Vorvermächtnisnehmerin zu erfüllen ist.

2. Das Nachvermächtnis kann erst nach dem Erbfall, aber schon vor Eintritt des Nachvermächtnisfalles ausgeschlagen werden.

 

Normenkette

BGB § 2307 Abs. 1 S. 2, §§ 2191, 2180

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Aktenzeichen 22 U 68/98)

LG Hannover (Aktenzeichen 12 O 103/97)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 18. März 1999 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen schuldhafter Verletzung seines Amtes als Testamentsvollstrecker in Anspruch. Sie und ihr Bruder entstammen der ersten Ehe des am 20. September 1979 verstorbenen Erblassers. Dieser war in zweiter Ehe mit der 1999 verstorbenen Streithelferin verheiratet. In seinem Testament aus dem Jahre 1978 setzte der Erblasser die Klägerin und deren Bruder als Erben ein. Sein hälftiges Erbbaurecht an einem Grundstück vermachte er der Streithelferin bis zu deren Tode, von da an der Klägerin. Er gestattete der Streithelferin die Veräußerung und wies den Testamentsvollstrecker an, den Verkaufserlös in festverzinslichen Wertpapieren anzulegen, die die Klägerin nach dem Tod der Streithelferin erhalten sollte.

Am 13. Dezember 1979 schlug die Klägerin die Erbschaft als Testamentserbin aus. Auf ihren Pflichtteil erhielt sie ca. 1,2 Mio. DM. Für die Berechnung dieses Betrages wurde vom gesamten Wert des Nachlasses mit Einschluß des hälftigen Erbbaurechts ausgegangen, das mit 469.560 DM angesetzt wurde.

In einem Schreiben vom 8. Januar 1980 belehrte der Beklagte die Streithelferin dahin, daß die Klägerin infolge der Ausschlagung nicht mehr Nachvermächtnisnehmerin sei und die Streithelferin über das Erbbaurecht nach Belieben verfügen könne. Sie veräußerte am 25. Juni 1990 das Erbbaurecht für 1.050.000 DM. Die Klägerin hat schon vor dem Tod der Streithelferin Feststellung begehrt, daß der Beklagte ihr Schadensersatz schulde, weil er den Erlös des Erbbaurechts nicht in Wertpapieren angelegt habe. Nach dem Tod der Streithelferin hat die Klägerin den Schaden auf 1.050.000 DM nebst Zinsen beziffert. Der Beklagte meint, die Klägerin habe auch das Nachvermächtnis ausgeschlagen; im übrigen sei ihr im Hinblick auf den erhaltenen Pflichtteil ein Schaden nicht entstanden.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist zurückgewiesen worden. Dagegen wendet sie sich mit der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die Klägerin auch das Nachvermächtnis ausgeschlagen hat. Es hat vielmehr zugunsten der Klägerin unterstellt, daß der Beklagte, dem die Fürsorge für das Nachvermächtnis der Klägerin anvertraut war (§ 2223 BGB), das Nachvermächtnis nicht für ausgeschlagen halten durfte. Gleichwohl habe der Beklagte die ihm obliegende Sorgfalt nicht verletzt, als er der Streithelferin freie Hand zur Verfügung über das Erbbaurecht ließ. Es sei nämlich nicht damit zu rechnen gewesen, daß der Wert des Nachvermächtnisses den Pflichtteil übersteige. Tatsächlich habe die Klägerin mit dem Pflichtteil in Höhe von 1,2 Mio. DM mehr erhalten, als ihr aufgrund des Nachvermächtnisses zustehe. Aus einer entsprechenden Anwendung von § 2307 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BGB folge, daß der Pflichtteilsberechtigte immer nur die Wahl habe zwischen dem, was der Erblasser ihm zugedacht hat, oder dem Pflichtteil.

Im übrigen habe die Klägerin einen Schaden nicht dargelegt. Es genüge nicht zu bestreiten, daß der Verkaufserlös noch im Nachlaß der Streithelferin vorhanden sei. Vielmehr hätte die Klägerin im einzelnen aufzeigen müssen, daß Wertpapiere im Nachlaß nicht vorhanden seien, deren Übertragung sie verlangen könne.

Das hält rechtlicher Nachprüfung in entscheidenden Punkten nicht stand.

2. a) Nach § 2307 Abs. 1 Satz 2 BGB steht dem Pflichtteilsberechtigten, der mit einem Vermächtnis bedacht ist und dieses nicht ausschlägt, ein Recht auf den Pflichtteil nicht zu, soweit der Wert des Vermächtnisses reicht. Das gilt nach überwiegender Meinung auch für ein aufschiebend bedingtes Vermächtnis. Danach ist das hier der Klägerin zugedachte Nachvermächtnis vollständig und ohne Rücksicht auf den späteren Eintritt der Bedingung auf den Pflichtteil anzurechnen (OLG Oldenburg NJW 1991, 988; Staudinger/Haas, BGB 13. Bearb. § 2307 Rdn. 6; Soergel/Dieckmann, BGB 12. Aufl. § 2307 Rdn. 2; Lange/Kuchinke, Lehrbuch des Erbrechts 4. Aufl. § 37 V 6 c S. 832 Fn. 115; Ebenroth, Erbrecht Rdn. 970). Nach anderer Auffassung ist wegen der Ungewißheit des Bedingungseintritts zunächst davon auszugehen, daß der Pflichtteilsberechtigte kein Vermächtnis erhalten hat, der Pflichtteil also aus dem gesamten Nachlaß zu errechnen. Fällt das Vermächtnis (oder Nachvermächtnis) aber später an, müsse sich der Pflichtteilsberechtigte darauf den schon erhaltenen Pflichtteil anrechnen lassen (OLG Karlsruhe Justiz 1962, 152; MünchKomm/Frank, BGB 3. Aufl. § 2307 Rdn. 6 a.E.; Schlitt, NJW 1992, 28; Strecker, ZEV 1996, 327).

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin den vollen Pflichtteil erhalten, aus welchen Gründen auch immer. Dann hat nach allen vertretenen Meinungen jedenfalls im Nachvermächtnisfall eine Anrechnung stattzufinden, soweit sich Pflichtteil und Wert des Nachvermächtnisses decken.

b) Das gilt jedoch nur, wenn sich die Ansprüche auf den Pflichtteil und auf das Vermächtnis gegen dieselbe Person richten, der Erbe also auch mit dem Vermächtnis beschwert ist. Die Revision rügt mit Recht, daß der Erbe als Schuldner des Pflichtteils im vorliegenden Fall nicht identisch ist mit den Schuldnern des Nachvermächtnisses, nämlich den Erben der Vorvermächtnisnehmerin. Auch soweit der Pflichtteil aus dem Vermögen berechnet worden ist, das die Klägerin aufgrund des Nachvermächtnisses in Anspruch nimmt, kann die empfangene Pflichtteilszahlung also nicht auf das Nachvermächtnis angerechnet werden. Vielmehr haben die Erben der Vorvermächtnisnehmerin das Nachvermächtnis in voller Höhe zu erfüllen unabhängig davon, daß der Erbe den von ihm gezahlten Pflichtteil nach Anfall des Nachvermächtnisses jedenfalls zum Teil wegen ungerechtfertigter Bereicherung von der Klägerin zurückverlangen könnte.

Damit war der Beklagte als Testamentsvollstrecker verpflichtet, den Nachvermächtnisanspruch der Klägerin ungekürzt zu erfüllen. Der Anspruch des Erben auf Erstattung des zuviel bezahlten Pflichtteils unterliegt der Testamentsvollstreckung ebensowenig wie der Pflichtteilsanspruch selbst (§ 2213 Abs. 1 Satz 3 BGB). Die Klägerin macht hier zwar nicht die Erfüllung des Nachvermächtnisses geltend, sondern einen Schadensersatzanspruch. Ihr Schaden ist aber nicht deshalb geringer, weil der Erbe den Pflichtteil bisher auch nicht teilweise zurückverlangt hat. Darauf können sich die Schuldner des Nachvermächtnisanspruchs nicht berufen. Der Pflichtteilsanspruch hat nicht den Sinn, den Vorvermächtnisnehmer bei der Erfüllung des Nachvermächtnisses zu entlasten. Im Gegenteil besteht ein Pflichtteilsanspruch nicht, soweit das Nachvermächtnis reicht (§ 2307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Wenn der Erbe hier von einer (teilweisen) Rückforderung des Pflichtteils absieht, wirkt dies nicht zugunsten der Schuldner des Nachvermächtnisses, sondern allein zugunsten der Klägerin, der Schwester des Erben.

3. Auch die Bedenken des Berufungsgerichts gegen einen Schaden der Klägerin greifen nicht durch. Ihr Schaden ergibt sich daraus, daß sie infolge der Pflichtverletzung des Beklagten nicht in den Genuß des Nachvermächtnisses kommt.

Als Testamentsvollstrecker haftet der Beklagte nicht etwa nur unter der Voraussetzung auf Schadensersatz, daß die Klägerin zuvor ohne Erfolg versucht hätte, ihren Anspruch gegenüber den Erben der Vorvermächtnisnehmerin durchzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Mai 1953 – IV ZR 230/52 – LM BGB § 2258 Nr. 1 a.E.). Vielmehr ist es in erster Linie seine Aufgabe, für die Erfüllung des Nachvermächtnisses zu sorgen (§§ 2203, 2223 BGB). Welche Rückgriffsansprüche sich für den Beklagten ergeben könnten (etwa analog § 255 BGB; vgl. MünchKomm/Selb, BGB 3. Aufl. § 421 Rdn. 28 f.), ist hier nicht zu entscheiden.

Auf nähere Angaben der Klägerin darüber, daß die Übertragung von Wertpapieren aus dem Nachlaß der Streithelferin nicht möglich sei, kommt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht an. Immerhin ist nach dem Tatbestand des landgerichtlichen Urteils unstreitig, daß eine Anlage des Verkaufserlöses in Wertpapieren nicht erfolgt ist.

4. Das Berufungsgericht wird aber zu klären haben, ob die Klägerin auch das Nachvermächtnis ausgeschlagen hat bzw. ob der Beklagte es bei Anwendung der von ihm zu fordernden Sorgfalt jedenfalls für ausgeschlagen halten durfte. Zum Streit der Parteien über die Wirksamkeit einer eventuellen Ausschlagungserklärung ist auf folgendes hinzuweisen:

Das Vermächtnis wird gemäß § 2180 Abs. 2 Satz 1 BGB durch Erklärung gegenüber dem Beschwerten (oder dem Testamentsvollstrecker) ausgeschlagen. Diese Erklärung ist – anders als die Erbausschlagung (§ 1945 BGB) – nicht formbedürftig und kann auch durch schlüssiges Verhalten zum Ausdruck kommen (Staudinger/Otte, § 2180 BGB Rdn. 5; MünchKomm/Schlichting, § 2180 Rdn. 2; Soergel/M. Wolf, § 2180 Rdn. 3). Bei einem Nachvermächtnis wie im vorliegenden Fall ist kein Grund ersichtlich, warum eine eventuelle Ausschlagung, die bereits vor Eintritt des Nachvermächtnisfalles erklärt wird, nicht wirksam sein sollte. § 2180 Abs. 2 Satz 2 BGB fordert nur, daß die Ausschlagung nach Eintritt des Erbfalls erklärt wird. Es entspricht allgemeiner Meinung, daß die Ausschlagung bei einem aufschiebend bedingten oder befristeten Vermächtnis (§§ 2177, 2178 BGB) schon vor Bedingungseintritt erklärt werden kann (Staudinger/Otte, § 2180 Rdn. 6; MünchKomm/Schlichting, § 2179 Rdn. 7; Soergel/M. Wolf, § 2180 Rdn. 6). Daß der Eintritt der Bedingung ungewiß sein kann, weil – wie im vorliegenden Fall – das Nachvermächtnis nur anfällt, wenn der Nachvermächtnisnehmer den Vorvermächtnisnehmer überlebt, steht nicht entgegen.

 

Unterschriften

Dr. Schmitz, Prof. Römer, Dr. Schlichting, Terno, Ambrosius

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 18.10.2000 durch Weschenfelder Justizsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 510855

NJW 2001, 520

BGHR 2001, 19

FamRZ 2001, 156

FamRZ 2001, 88

Nachschlagewerk BGH

WM 2001, 573

ZAP 2001, 65

DNotZ 2001, 634

MDR 2001, 276

Rpfleger 2001, 131

ZErb 2001, 22

ZNotP 2001, 68

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