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BGH Urteil vom 17.02.2009 - VI ZR 86/08

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersatz von unfallbedingten Heilbehandlungskosten. Motocross-Training. Unwirksamer Haftungsverzicht. Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit auch im Trainingsbetrieb. Objektiver schwerer Pflichtenverstoß und subjektive unentschuldbare Pflichtverletzung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Haftung bei einem Unfall während eines Motocross-Trainings.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Karlsruhe (Urteil vom 19.03.2008; Aktenzeichen 15 U 89/08)

LG Heidelberg (Urteil vom 21.11.2007; Aktenzeichen 5 O 98/07)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 15. Zivilsenats des OLG Karlsruhe vom 19.3.2008 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1] Die Klägerin, eine gesetzliche Krankenversicherung, begehrt von dem Beklagten aus übergegangenem Recht ihres Mitglieds R. den Ersatz von unfallbedingten Heilbehandlungskosten. Der Beklagte und R. unternahmen am 10.9.2005 unabhängig voneinander zur gleichen Zeit Trainingsfahrten auf einem Trainingsgelände für Motocross. Auf einem geraden Teilstück der Strecke näherten sich dem in der Mitte der Fahrbahn fahrenden R. von hinten mehrere Motorradfahrer, unter ihnen der Beklagte, mit höherer Geschwindigkeit. Während zwei Fahrer rechts an R. vorbeizogen, versuchte der Beklagte, ihn links zu überholen. Dabei kam es zu einer Berührung ihrer beiden Motorräder, wodurch R. stürzte und Verletzungen erlitt. Die der Klägerin dadurch entstandenen Heilbehandlungskosten sind Gegenstand der Klage.

[2] Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der vom OLG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

[3] Das Berufungsgericht, das den von allen Fahrern vor Aufnahme des Trainings erklärten Haftungsverzicht für unwirksam hält, ist der Auffassung, für die Haftung bei Motocrossfahrten seien auch im Trainingsbetrieb die Grundsätze anzuwenden, die für sportliche Kampfspiele und Wettkämpfe mit erheblichem Gefahrenpotential entwickelt worden seien. Danach scheide eine Haftung des Beklagten aus, weil dieser nicht vorsätzlich gehandelt habe und ein grob fahrlässiges Verhalten nicht nachgewiesen sei. Da die Frage, ob eine Haftungsbeschränkung bei Ausübung von Sportarten mit erhöhtem Gefahrenpotential nur im Wettkampf oder auch im Trainingsbetrieb anzunehmen sei, grundsätzliche Bedeutung habe, hat das Berufungsgericht die Revision zugelassen.

II.

[4] Das angegriffene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.

[5] 1. Die Revision ist unbeschränkt zugelassen, auch wenn das Berufungsgericht die Zulassung mit der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage begründet hat (vgl. Senat, Urt. v. 22.4.2008 - VI ZR 202/07, VersR 2008, 820, 821 m.w.N.; BGH, Urt. v. 20.4.2004 - XI ZR 164/03, NJW 2004, 2745, 2746; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 29. Aufl., § 543 Rz. 10).

[6] 2. Die Revision nimmt es als ihr günstig hin, dass das Berufungsgericht den von allen Fahrern vor Aufnahme des Trainings erklärten Haftungsverzicht gem. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB für unwirksam erachtet hat. Diese Beurteilung des Streitfalls ist rechtlich unbedenklich. Sie findet ihre Stütze in der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. BGH BGHZ 96, 18, 23 ff.).

[7] 3. Das Berufungsgericht hat eine Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, die bei sportlichen Kampfspielen und Wettkämpfen mit erheblichem Gefahrenpotential anzunehmen ist, im Streitfall auch für Motocrossfahrten im Trainingsbetrieb bejaht. Diese Auffassung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie steht in Einklang mit einer neueren Entscheidung des erkennenden Senats (Senat, Urt. v. 29.1.2008 - VI ZR 98/07, VersR 2008, 540 f.), wonach eine solche Haftungsbeschränkung grundsätzlich auch dann in Betracht kommt, wenn es im Rahmen eines Sicherheitstrainings zu einem Fahrzeugunfall kommt. Soweit die Revision in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, ein Haftungsverzicht sei vorliegend zu verneinen, weil für den Unfall Versicherungsschutz bestanden habe, widerspricht ihr Vorbringen den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen. Dass diese verfahrensfehlerhaft getroffen worden seien, zeigt die Revision nicht auf.

[8] 4. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht ein grob fahrlässiges Verhalten des Beklagten für nicht bewiesen erachtet hat.

[9] a) Die tatrichterliche Entscheidung, ob dem Schädiger der Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu machen ist, ist mit der Revision nur beschränkt angreifbar. Der Nachprüfung unterliegt lediglich, ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Verschuldensgrades wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (st.Rspr.; vgl. BGH BGHZ 163, 351, 353; v. 8.5.1984 - VI ZR 296/82, VersR 1984, 775, 776; v. 12.1.1988 - VI ZR 158/87, VersR 1988, 474; v. 18.10.1988 - VI ZR 15/88, VersR 1989, 109; v. 30.1.2001 - VI ZR 49/00, VersR 2001, 985).

[10] b) Das Berufungsgericht hat den Begriff der groben Fahrlässigkeit nicht verkannt. Es hat seinem Urteil die vom BGH aufgestellten Grundsätze zugrunde gelegt, wonach grobe Fahrlässigkeit einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraussetzt. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes persönliches Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einhergeht. Vielmehr erscheint ein solcher Vorwurf nur dann als gerechtfertigt, wenn eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (st.Rspr.; vgl. zuletzt Senat, Urt. v. 12.7.2005 - VI ZR 83/04, VersR 2005, 1559, insoweit in BGHZ 163, 351 nicht abgedruckt; v. 30.1.2001 - VI ZR 49/00, VersR 2001, 985, 986 und BGH, Urt. v. 29.1.2003 - IV ZR 173/01, VersR 2003, 364). Hiernach ist es in aller Regel erforderlich, nicht nur zur objektiven Schwere der Pflichtwidrigkeit, sondern auch zur subjektiven (personalen) Seite konkrete Feststellungen zu treffen (Senat, Urt. v. 12.1.1988 - VI ZR 158/87 -, a.a.O.).

[11] Wie die Revision mit Recht geltend macht, enthalten die niedergelegten Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (§ 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO) keine ausdrücklichen Feststellungen zu der subjektiven Seite der groben Fahrlässigkeit. Daraus folgt entgegen der Auffassung der Revision allerdings nicht, dass eine subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung des Beklagten, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (vgl. Senat, Urt. v. 2.11.1971 - VI ZR 16/70, VersR 1972, 144, 145), im Revisionsrechtszug zugunsten der Klägerin unterstellt werden muss. Das Berufungsgericht hat seine Beurteilung, dass ein grob fahrlässiges Verhalten des Beklagten nicht nachgewiesen sei, auf die im ersten Rechtszug festgestellten Tatsachen gestützt (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und dabei ersichtlich die vom LG vorgenommene Bewertung des Verschuldensgrades gebilligt. In den Entscheidungsgründen des landgerichtlichen Urteils ist ausführlich dargelegt, dass der Beklagte den Unfall fahrlässig herbeigeführt habe, weil der Abstand von R. zum Fahrbahnrand im Zeitpunkt des Überholvorgangs ein gefahrloses Überholen objektiv nicht mehr ermöglicht habe. Weiter heißt es dort, dass es auch so gewesen sein könne, dass der Abstand von R. zum linken Fahrbahnrand in dem Moment, als der Beklagte seinen Entschluss zum Linksüberholen gefasst und sein Motorrad entsprechend auf die linke Fahrbahnseite gesteuert habe, noch bedeutend größer als 1m gewesen sei und dass unter diesen Umständen nicht mit der erforderlichen Sicherheit darauf geschlossen werden könne, dass es für den Beklagten in der gegebenen Situation auch subjektiv erkennbar gewesen sei, dass der Überholvorgang zwingend mit einer erheblichen Gefährdung des Fahrers R. einhergehen würde. Diese tatrichterliche Würdigung, der das Berufungsgericht bei der von ihm vorgenommenen Bewertung des Fahrlässigkeitsvorwurfs ersichtlich gefolgt ist, unterscheidet bei der Prüfung, ob das Verhalten des Beklagten grob fahrlässig war, in der erforderlichen Weise zwischen dem (bejahten) objektiven Pflichtenverstoß und einer auch subjektiv schlechthin unentschuldbaren Pflichtverletzung, die unter den Umständen des Streitfalls nicht nachgewiesen sei. Diese Beurteilung ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.

III.

[12] Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2147669

BGHR 2009, 674

EBE/BGH 2009

NJW-RR 2009, 812

JurBüro 2009, 445

DAR 2009, 326

MDR 2009, 686

SpuRt 2009, 122

VRS 2009, 258

VuR 2009, 279

ZfS 2009, 617

NJW-Spezial 2009, 265

SVR 2009, 305

r+s 2009, 211

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