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BGH Urteil vom 16.03.2016 - VIII ZR 146/15

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Leitsatz (amtlich)

a) Es ist dem freien Willen des Verbrauchers überlassen, ob und aus welchen Gründen er von einem bei einem Fernabsatzgeschäft bestehenden Widerrufsrecht Gebrauch macht.

b) Ein Ausschluss des Widerrufsrechts wegen Rechtsmissbrauchs oder unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) kommt nur ausnahmsweise - unter dem Gesichtspunkt besonderer Schutzbedürftigkeit des Unternehmers - etwa bei arglistigem oder schikanösem Verhalten des Verbrauchers in Betracht (Bestätigung und Fortführung des Senatsurteils v. 25.11.2009 - VIII ZR 318/08, BGHZ 183, 235 Rz. 17, 20).

Normenkette

BGB § 312d; BGB § 355 Abs. 1 S. 2 Fassung: 2014-06-12; BGB § 242

Verfahrensgang

LG Rottweil (Urteil vom 10.06.2015; Aktenzeichen 1 S 124/14)

AG Rottweil (Entscheidung vom 30.10.2014; Aktenzeichen 1 C 194/14)

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Rottweil vom 10.6.2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger bestellte am 14.1.2014 über die Website der Beklagten, die mit einer "Tiefpreisgarantie" warb, zwei Taschenfederkernmatratzen zum Preis von insgesamt 417,10 EUR (inklusive Lieferung). Die Matratzen wurden am 24. und 27.1.2014 ausgeliefert und vom Kläger bezahlt. In der Folgezeit bat der Kläger unter Hinweis auf ein günstigeres Angebot eines anderen Anbieters zum Preis von 192,06 EUR je Matratze (zzgl. 10 EUR Versand) um Erstattung des von ihm errechneten Differenzbetrags i.H.v. 32,98 EUR, damit er von dem ihm als Verbraucher zustehenden Widerrufsrecht absehe.

Rz. 2

Zu einer entsprechenden Einigung kam es nicht. Der Kläger widerrief den Kaufvertrag daraufhin mit E-Mail vom 2.2.2014 und sandte die Matratzen zurück. Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger habe widerrufen, um (unberechtigt) Forderungen aus der "Tiefpreisgarantie" durchzusetzen und sich damit rechtsmissbräuchlich verhalten.

Rz. 3

Die auf Rückzahlung des Kaufpreises von 417,10 EUR nebst Zinsen gerichtete Klage hat in den Vorinstanzen Erfolg gehabt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Rz. 4

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

Rz. 5

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Rz. 6

Der vom Kläger erklärte Widerruf des Kaufvertrags sei wirksam, so dass ihm gegen die Beklagte der Zahlungsanspruch i.H.v. 417,10 EUR nebst Zinsen zustehe. Auf den Kaufvertrag fänden die §§ 312b, 312d, 355 BGB in der bis zum 12.6.2014 geltenden Fassung i.V.m. § 346 BGB Anwendung. Es handele sich um einen Fernabsatzvertrag gem. § 312b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB a.F. Die formellen und materiellen Voraussetzungen des Widerrufs seien, was von den Parteien auch nicht in Zweifel gezogen werde, erfüllt.

Rz. 7

Die Ausübung des Widerrufsrechts sei nicht aufgrund des mit der Einräumung eines Widerrufsrechts verfolgten Sinns und Zwecks ausgeschlossen. Die Einräumung eines Widerrufsrechts bei Fernabsatzverträgen beruhe auf der Erwägung, dass der Verbraucher vor dem Abschluss derartiger Verträge grundsätzlich keine Möglichkeit habe, das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung im Einzelnen zur Kenntnis zu nehmen. Darüber hinaus verfolge der Gesetzgeber das Ziel, den Verbraucher vor irreführenden und aggressiven Verkaufsmethoden im Fernabsatz zu schützen.

Rz. 8

Von diesem Motiv des Gesetzgebers für die Einräumung eines Widerrufsrechts zu trennen sei jedoch die Frage, aus welchen Gründen der Verbraucher von einem ihm zustehenden Widerrufsrecht Gebrauch machen dürfe. Diesbezüglich habe der Gesetzgeber in § 355 BGB a.F. bewusst davon abgesehen, vom Verbraucher eine Begründung für den Widerruf zu verlangen. Hiermit hätten insb. auch spätere Diskussionen darüber vermieden werden sollen, ob eine vom Verbraucher gegebene Begründung für den Widerruf genügend sei oder nicht.

Rz. 9

Sei der Verbraucher mithin nicht gehalten, vor Ausübung seines Widerrufsrechts eine Begründung anzugeben, so könne es ihm auch nicht zum Nachteil gereichen, wenn aus seinem übrigen Verhalten ein Motiv für die Ausübung des Widerrufs zutage trete, welches mit dem Sinn und Zweck der Einräumung des Widerrufsrechts nicht (vollständig) in Einklang zu bringen sei.

Rz. 10

Dem vom Kläger erklärten Widerruf stehe auch nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Zwar könne der Einwand des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) grundsätzlich auch bei Ausübung des Widerrufsrechts gem. § 355 BGB a.F. erhoben werden; insoweit seien jedoch strenge Anforderungen zu stellen. Unter Abwägung sämtlicher Umstände des Falles erweise sich vorliegend die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Kläger (noch) nicht als rechtsmissbräuchlich. Dass der Kläger mögliche Ansprüche aus der "Tiefpreisgarantie" der Beklagten habe durchsetzen wollen, könne für sich genommen nicht den Einwand unzulässiger Rechtsausübung begründen.

Rz. 11

Etwas anderes folge hier auch nicht daraus, dass der Kläger die gleichen Matratzen nochmals bei einem anderen Anbieter zu einem günstigeren Kaufpreis bestellt habe. Dass der Kläger dann - unter Berufung auf die von der Beklagten abgegebene Tiefpreisgarantie - unter Hinweis auf das ihm zustehende Widerrufsrecht bei der Klägerin um Erstattung der Kaufpreisdifferenz nachgesucht und insoweit nach Ansicht der Beklagten weiter "Druck ausgeübt" habe, sei keine unzulässige Rechtsausübung.

II.

Rz. 12

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand; die Revision ist daher zurückzuweisen. Die Beklagte hat dem Kläger gem. §§ 312d Abs. 1 Satz 1, 355 Abs. 1 Satz 1, 357 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. i.V.m. § 346 Abs. 1 BGB den Kaufpreis für die Matratzen zu erstatten, nachdem dieser den im Wege des Fernabsatzes geschlossenen Vertrag wirksam widerrufen hat. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei verneint.

Rz. 13

1. Auf den Kaufvertrag der Parteien finden, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, die vorgenannten Regelungen über das Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen in der bis zum 12.6.2014 geltenden Fassung Anwendung. Dass der Kläger von seinem danach bestehenden Widerrufsrecht form- und fristgerecht Gebrauch gemacht hat, steht zwischen den Parteien nicht im Streit. Insbesondere bedurfte der Widerruf keiner Begründung (§ 355 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F.).

Rz. 14

Aufgrund der Ausübung des Widerrufs ist der Kläger nicht mehr an seine auf Abschluss des Kaufvertrages gerichtete Willenserklärung gebunden (§ 355 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F.). Damit hat er Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises (§ 346 Abs. 1 BGB).

Rz. 15

2. Ohne Erfolg rügt die Revision, dem Anspruch des Klägers stehe der Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) entgegen, weil er das Widerrufsrecht in sachfremder Weise zur Durchsetzung vermeintlicher Ansprüche aus einer "Tiefpreisgarantie" der Beklagten eingesetzt habe.

Rz. 16

a) Der Sinn des Widerrufsrechts beim Fernabsatzvertrag besteht darin, dem Verbraucher ein an keine materiellen Voraussetzungen gebundenes, einfach auszuübendes Recht zur einseitigen Loslösung vom Vertrag in die Hand zu geben (vgl. BGH, Urt. v. 25.11.2009 - VIII ZR 318/08, BGHZ 183, 235 Rz. 17 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Senats kommt ein Ausschluss des Widerrufsrechts wegen Rechtsmissbrauchs bzw. unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) nur ausnahmsweise - unter dem Gesichtspunkt besonderer Schutzbedürftigkeit des Unternehmers - in Betracht, etwa bei arglistigem Verhalten des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer (BGH, Urt. v. 25.11.2009 - VIII ZR 318/08, a.a.O., Rz. 20).

Rz. 17

Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts zum Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit dem Widerruf ergeben sich aber keine Anhaltspunkte für ein arglistiges Verhalten des Klägers, etwa dass es ihm darauf angekommen wäre, die Beklagte zu schädigen oder zu schikanieren. Im Gegenteil hat der Kläger lediglich versucht, mit Hilfe der ihm zustehenden (Verbraucher-)Rechte für sich selbst günstigere Vertragsbedingungen auszuhandeln. Ein solches Verhalten steht im Einklang mit den vorbezeichneten gesetzlichen Regelungen zum Widerrufsrecht des Verbrauchers.

Rz. 18

Insbesondere ist es für die rechtliche Beurteilung ohne Bedeutung, ob der Kläger - wie die Revision geltend macht - die Nichtausübung des Widerrufs von der Gewährung eines nach der "Tiefpreisgarantie" der Beklagten nicht in voller Höhe berechtigten Nachlasses abhängig gemacht hat. Ebenso kommt es auch - anders als das Berufungsgericht offenbar meint - nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt der Kläger Matratzen bei einem weiteren Anbieter bestellt und dies zum Anlass von Nachverhandlungen mit der Beklagten genommen hat. Mit einem solchen Verhalten nutzt der Käufer schlicht zu seinem Vorteil das ihm eingeräumte und an keine weiteren Voraussetzungen gebundene Widerrufsrecht. Die Grenze zur Arglist oder Schikane ist dabei - offensichtlich - nicht überschritten.

Rz. 19

b) Der Einwand der Revision, der Ausübung des Widerrufsrechts im vorliegenden Fall seien mit Rücksicht auf dessen (eingeschränkten) Schutzzweck nach § 242 BGB Schranken gesetzt, geht schon im Ansatz fehl. Entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung beschränkt sich der Zweck des bei Fernabsatzgeschäften vorgesehenen Widerrufsrechts nicht darauf, dem Verbraucher die Möglichkeit zu geben, die Ware zu prüfen und bei Nichtgefallen zurückzugeben.

Rz. 20

Denn das Gesetz knüpft die Ausübung des Widerrufsrechts - wie schon das Fehlen einer Begründungspflicht (§ 355 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F.) zeigt - nicht an ein berechtigtes Interesse des Verbrauchers (etwa an das Nichtgefallen der Ware nach Überprüfung), sondern überlässt es allein seinem freien Willen, ob und aus welchen Gründen er seine Vertragserklärung widerruft. Nur dieses Verständnis wird dem oben genannten Sinn des Widerrufsrechts beim Fernabsatzvertrag, dem Verbraucher ein einfaches und effektives Recht zur Lösung von einem im Fernabsatzgeschäft geschlossenen Vertrag an die Hand zu geben, gerecht.

Rz. 21

Dass ein Verbraucher - wie hier der Kläger - nach der Bestellung Preise vergleicht und mit dem Verkäufer darüber verhandelt, bei Zahlung einer Preisdifferenz vom Widerruf des Vertrages Abstand zu nehmen, ist lediglich eine Folge der sich aus dem grundsätzlich einschränkungslos gewährten Widerrufsrecht ergebenden Wettbewerbssituation. Diese darf der Verbraucher zu seinen Gunsten nutzen, ohne sich dem Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Verhaltens auszusetzen.

Fundstellen

  • Haufe-Index 9258930
  • BB 2016, 1108
  • BB 2016, 1025
  • BB 2016, 769
  • DB 2016, 14
  • DStR 2016, 14
  • DStR 2016, 15
  • NJW 2016, 9
  • NJW 2016, 32
  • NJW 2016, 1951
  • CR 2016, 389
  • CR 2016, 54
  • EWiR 2016, 465
  • WM 2016, 1103
  • ZAP 2016, 559
  • ZIP 2016, 1076
  • ZIP 2016, 23
  • ZMR 2017, 442
  • JZ 2016, 374
  • JZ 2016, 405
  • JZ 2016, 803
  • JuS 2016, 10
  • Jura 2016, 1081
  • MDR 2016, 12
  • MDR 2016, 575
  • VersR 2016, 929
  • VuR 2016, 273
  • BerlAnwBl 2016, 112
  • GWR 2016, 190
  • ITRB 2016, 97
  • ITRB 2016, 150
  • K&R 2016, 417
  • MMR 2016, 523
  • RdW 2016, 272
  • RÜ 2016, 411
  • BBP 2016, 91
  • GreifRecht 2016, 4
  • LL 2016, 468
  • SRTour 2016, 6
  • ZVertriebsR 2016, 191

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