Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Urteil vom 13.02.1991) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 13. Februar 1991 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger und die Beklagte zu 2 schlossen am 23./27. Dezember 1985 einen Anstellungsvertrag. Hierin übernahm der Kläger für ein monatliches Grundgehalt von 4.000 DM die Verwaltung einer Liegenschaft des Beklagten zu 1 in Paraguay. Mit einer „Vorläufigen Vereinbarung” vom 7. April 1988 trat der Beklagte zu 1 neben der Beklagten zu 2 in den Vertrag ein. In der Vereinbarung stellten die Parteien fest, daß der rückständige Vergütungsanspruch des Klägers am 31. März 1988 60.000 DM betrug.
Mit der Klage verlangt der Kläger die festgestellte Vergütung von 60.000 DM. Das Landgericht hat der Klage durch Teilurteil in Höhe von 40.977,33 DM nebst Zinsen stattgegeben; bezüglich des Restbetrages hat es die Entscheidung dem Schlußurteil vorbehalten. Das Berufungsgericht hat das Teilurteil aufgehoben und die Klage insoweit abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagten beantragen, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
1. Das Berufungsgericht weist die Klage ab mit der Begründung, die Forderung des Klägers sei gestundet, bis einer der Beklagten aus den von ihnen beabsichtigten Landverkäufen Geld erhalten habe. Es führt aus, die Vereinbarung der Parteien vom 7. April 1988 stelle eine Stundung dar und enthalte nicht nur eine Sicherstellung des Klägers; dies gelte gleichermaßen für den Inhalt des handschriftlichen Entwurfs wie für die endgültige Abrede. Der Kläger habe sich in der Vereinbarung damit einverstanden erklärt, daß er die 60.000 DM erst bei Bezahlung der vorgesehenen Landverkäufe erhalte, nachdem der Beklagte zu 1, der nicht über diese Summe verfügt habe, ihn, den Kläger, noch um etwas Geduld gebeten habe.
2. Diese Erwägungen halten den Rügen der Revision nicht stand. Zu Recht rügt die Revision, das Berufungsgericht habe erhebliches Vorbringen des Klägers und weitere unstreitige Umstände unberücksichtigt gelassen (§§ 133, 157 BGB, § 286 ZPO). Da weitere Feststellungen nicht mehr in Betracht kommen, kann der Senat die Auslegung der Vereinbarung selbst vornehmen (vgl. BGHZ 65, 107, 112; 109, 19, 22). Hiernach ist eine Stundung nicht vereinbart.
a) Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist zunächst von ihrem Wortlaut auszugehen. Davon daß die Fälligkeit der offenstehenden, einvernehmlich festgestellten Forderung von 60.000 DM nachträglich hinausgeschoben werden sollte, ist in der Vertragsurkunde nicht die Rede. Wenn es in der Vereinbarung heißt, der Kläger solle die erste Rate aus den vorgesehenen Landverkäufen zur Tilgung der Forderung erhalten, ist dies nicht dahin zu verstehen, daß er ausschließlich auf eine Befriedigung aus den von den Beklagten zu erzielenden Verkaufserlösen verwiesen wurde. Auch ihrem Sinne nach ist in dieser Abrede eher eine zusätzliche Sicherungs- bzw. Befriedigungsmöglichkeit für den Kläger als eine Einschränkung seiner Rechte enthalten.
b) Bei der Auslegung von Verträgen sind die Interessen der Parteien und die von ihnen verfolgten Zwecke zu berücksichtigen. Die Revision weist zutreffend darauf hin, daß die von dem Berufungsgericht vorgenommene Auslegung die Belange des Klägers außer Betracht läßt. Seine Forderung von 60.000 DM betrifft Gehaltsrückstände aus den Jahren 1986 und 1987, die er mehrfach dringend angemahnt hatte, weil er und seine Familie ohne finanziellen Rückhalt seien. Die Forderungen des Klägers waren in der genannten Höhe unstreitig, er hatte sich sogar noch höherer fälliger Ansprüche berühmt.
c) In dem handschriftlichen Vorentwurf zu der Vereinbarung ist die angebliche Stundungsabrede nach der Unterschrift des Beklagten zu 1 wiedergegeben, und sie wurde auch erst nachträglich hinzugefügt. Der Eintritt des Beklagten zu 1, des Ehemannes der Geschäftsführerin der Beklagten zu 2, in das Vertragsverhältnis des Klägers und der Beklagten zu 2 war schon zuvor ausgehandelt. Der von dem Beklagten zu 1 erklärte Schuldbeitritt kann demnach nicht als Gegenleistung für eine von dem Kläger zu gewährende Stundung angesehen werden, zumal der Beklagte zu 1 als Eigentümer der Liegenschaft derjenige war, dem die Verwaltungstätigkeit des Klägers zugute kam. Die Bitte der Beklagten um noch etwas Geduld, die sie vor der Vereinbarung vom 7. April 1988 geäußert hatten, rechtfertigt gleichfalls nicht die Annahme des Berufungsgerichts, daß die Forderung erst aus den Erlösen der Landverkäufe getilgt werden sollte, selbst wenn diese aus der Sicht der Parteien zeitlich nahe erschienen.
d) Dadurch, daß das Berufungsgericht die in der Vertragsurkunde ausgesprochene zeitliche Befristung „vorläufig bis September 1988” und die noch ausdrücklich zugelassene Abkürzungsmöglichkeit lediglich auf die weitere Tätigkeit des Klägers und auf seine Vergütung, nicht aber auf die angenommene Stundung bezieht, stellt es, ohne eine Begründung für seine einschränkende Auslegung geben zu können, allein auf die Interessen der Beklagten ab. Der nicht endgültige Charakter der Vereinbarung insgesamt kam im übrigen auch schon in der Bezeichnung „Vorläufige Vereinbarung” zum Ausdruck.
e) Schließlich hat das Berufungsgericht auch nicht in seine Betrachtung einbezogen, daß sich die Beklagten, die die Klage mit einer Reihe von Einwänden, insbesondere auch mit bestrittenen Gegenforderungen, bekämpfen, bis zur Berufungsinstanz nicht auf die angebliche Stundung der Forderung berufen haben. Das spätere Verhalten der an dem Rechtsgeschäft Beteiligten kann aber Rückschlüsse auf ihren seinerzeitigen tatsächlichen Willen und ihr Verständnis von dem Inhalt des Vereinbarten zulassen (Senatsurteil vom 28. Juni 1971 – III ZR 103/68 – WM 1971, 1513, 1515; BGH, Urteil vom 24. Juni 1988 – V ZR 49/87 – BGHR BGB § 133 Erklärungswert 1). Zudem ist auch ein vorläufiger Verzicht des Gläubigers auf eine Geltendmachung seiner fälligen Forderung nicht ohne weiteres zu vermuten (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1983 – VI ZR 19/82 – NJW 1984, 1346, 1347 für den Erlaßvertrag). Vielmehr müssen für einen entsprechenden Verzichtswillen eindeutige Anhaltspunkte gegeben sein (vgl. BGHZ 105, 250, 257 zum Verzicht des Unterhaltsschuldners auf die Einhaltung der Einjahresgrenze der §§ 64 EheG und 1585 b Abs. 3 BGB), insbesondere wenn es sich um eine Gehaltsforderung handelt, die ihrer Natur nach kurzfristig zu erfüllen ist und auch einer kurzen Verjährung (vgl. § 196 Abs. 1 Nr. 8 BGB) unterliegt. Das Berufungsgericht hat keinen triftigen Grund dafür genannt, daß der Kläger die Verpflichtung hätte eingehen sollen, für einen nicht absehbaren Zeitraum ohne jede Verzinsung und weitere Sicherung von der Geltendmachung einer fälligen Forderung für erbrachte Dienstleistungen in einer derartigen Größenordnung Abstand zu nehmen.
3. Auch die weitere Rüge der Revision, selbst eine Stundung des vom Berufungsgericht angenommenen Inhalts wäre jedenfalls bis zur letzten mündlichen Verhandlung im Januar 1991 hinfällig geworden, ist berechtigt. Die Parteien gingen bei Abschluß der Vereinbarung davon aus, daß die Beklagten ihre Verkaufsabsichten in nächster Zeit verwirklichen könnten. Eine zeitlich unbefristete, aber nach dem Geschäftswillen der Parteien an ein bestimmtes künftiges Ereignis gebundene Stundungsabrede ist wegen Fehlens der Geschäftsgrundlage (§ 242 BGB) im Wege der Vertragsanpassung auf einen angemessenen Zeitraum zu beschränken, wenn der ungefähre Zeitpunkt, an dem dieses Ereignis nach den gemeinsamen Vorstellungen der Parteien eintreten sollte, erheblich überschritten ist (OLG Hamm, MDR 1977, 928; OLG Frankfurt, BB 1982, 208; vgl. MünchKomm/Keller, BGB 2. Aufl. § 271 Rn. 15). Das Berufungsgericht sieht zwar diesen rechtlichen Ansatzpunkt für eine Beendigung der angenommenen Stundung. Die Revision rügt jedoch zu Recht, daß das Berufungsgericht den Zeitraum von mehr als 2 3/4 Jahren bis zur letzten mündlichen Verhandlung als noch nicht unangemessen lang für die beabsichtigte Durchführung der Landverkäufe wertet. Ein angemessener Zeitraum ist, auch unter Berücksichtigung der Verjährungsfrist für die Vergütungsforderung des Klägers von zwei Jahren (§ 196 Abs. 1 Nr. 8 BGB), bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht längst verstrichen gewesen.
II.
Da es weiterer Feststellungen zu den Einwendungen der Beklagten bedarf, muß der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Das Berufungsgericht hat insbesondere auch, von seinem Standpunkt aus zu Recht, noch keine Entscheidung über die Gegenforderungen der Beklagten getroffen.
Unterschriften
Krohn, Engelhardt, Werp, Rinne, Deppert
Fundstellen