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BGH Urteil vom 08.05.1985 - IVa ZR 230/83

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtbarkeit von Testamentsverfügungen

 

Leitsatz (amtlich)

  1. Anfechtbar im Rahmen des § 2078 Abs. 1, 2 BGB sind immer nur einzelne im Testament enthaltene Verfügungen, nicht die Verfügung von Todes wegen als solche.
  2. Wem die Aufhebung einer testamentarischen Erbeinsetzung unmittelbar zustatten käme und wer deshalb anfechtungsberechtigt ist, läßt sich nur im Vergleich mit der Rechtslage beurteilen, wie sie sich infolge der Anfechtung darstellen würde.
  3. Zur Frage, welche Wirkung die Anfechtung eines von mehreren Anfechtungsberechtigten hat.
 

Normenkette

BGB § 2080 Abs. 1, § 2078 Abs. 1-2

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 29. April 1983 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Frau Cäcilia Emma N. geb. B. (Erblasserin) verstarb am 13. Oktober 1976 im Alter von 81 Jahren. Ihr Ehemann war am 19. März 1969 vorverstorben. Ihr einziger Abkömmling, der am 26. Juli 1921 geborene Sohn Robert Arthur N., ist seit 1944 als Soldat im Osten kriegsvermißt; Nachforschungen nach ihm blieben ohne Erfolg. Trotzdem hielt die Erblasserin an der Hoffnung fest, ihr Sohn werde eines Tages doch wieder zurückkehren. Durch notarielles Testament vom 1. Juli 1969 setzte sie demgemäß den Sohn (und ersatzweise dessen etwaige Abkömmlinge) zu ihrem Alleinerben ein. In zweiter Linie ersatzweise bestimmte sie drei Neffen zu ihren Erben zu gleichen Anteilen, und zwar den Beklagten, den Zeugen Franz E. und Adolf B. In diesem Testament heißt es ferner:

"Es ist mein dringender Wunsch, daß mein Sohn ... vor dem Jahre 1999 nicht für tot erklärt wird. Sollte dies gleichwohl geschehen, so sollen die an seine Stelle tretenden Ersatzerben vor dem Jahre 1999 nicht in den Besitz des Nachlasses gelangen. ..."

Mit einem weiteren notariellen Testament vom 26. Januar 1976 widerrief die Erblasserin in Abschnitt I alle bis dahin von ihr errichteten Verfügungen von Todes wegen. Weiter heißt es in diesem Testament:

"II.

Zum alleinigen Erben ... bestimme ich meinen Sohn ...

Sollte dieser vor mir verstorben sein, so sollen in erster Linie seine etwaigen Abkömmlinge ... an seine Stelle treten.

Sollten solche Abkömmlinge nicht vorhanden sein, so bestimme ich zu meinem alleinigen Ersatzerben ... (den Kläger) ...

III.

Es ist mein dringender Wunsch, daß mein Sohn ... nicht vor dem 1. Oktober 1990 für tot erklärt wird. Der Nachlaß von mir soll bis zu diesem Zeitpunkt für meinen Sohn von meinem Testamentsvollstrecker verwaltet werden. ..."

Die Erblasserin bestimmte den Kläger auch zum Testamentsvollstrecker; dieser ist mit der Erblasserin nicht verwandt oder verschwägert. Er hatte 1973 in einem der Häuser der Erblasserin ein Ladenlokal (Friseurgeschäft) und 1974 auch eine Wohnung gemietet, hatte sich um die Erblasserin gekümmert und hatte auf deren Wunsch auch weitere vergebliche Nachforschungen nach dem Sohn angestellt. Außerdem ordnete die Erblasserin in ihrem Testament von 1976 verschiedene Vermächtnisse an, und zwar u.a. eine lebenslange Rente zugunsten ihrer Schwester Rosa T. geb. B., der Mutter des Beklagten. Diese hat die Erblasserin überlebt.

In einer von der Erblasserin und vom Kläger unterzeichneten Erklärung vom 22. Juni 1976 verpflichtete sich dieser, die Nachforschungen nach deren Sohn bis zu seinem Lebensende fortzusetzen. Nach dem Tode der Erblasserin am 13. Oktober 1976 beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 22. Oktober 1976, deren Sohn für tot zu erklären. Diesem Antrag gab das Amtsgericht durch rechtskräftigen Beschluß vom 15. August 1977 statt; als Zeitpunkt des Todes wurde der 31. Dezember 1945, 24.00 Uhr, festgestellt. Darauf focht der Beklagte mit Schriftsatz vom 31. Juli 1978 das Testament von 1976 mit der Begründung an, zur Errichtung des Testaments sei die Erblasserin durch die irrige Annahme bestimmt worden, der Kläger werde ihre Erwartung erfüllen, den Sohn nicht alsbald für tot erklären zu lassen. Der Kläger läßt die Anfechtung nicht gelten. Es liege kein Anfechtungsgrund vor. Die Anfechtung sei auch verspätet, weil der Beklagte schon vor dem 31. Juli 1977 über das Todeserklärungsverfahren unterrichtet gewesen sei. Der Beklagte hält das Testament von 1976 schon deshalb für unwirksam, weil die Erblasserin seinerzeit testierunfähig gewesen sei. Im übrigen sei der Kläger auch erbunwürdig.

Der Kläger begehrt die Feststellung, daß er der Erbe der Erblasserin sei. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage für unbegründet gehalten. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Der Beklagte ist trotz ordnungsgemäßer Ladung im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen und nicht durch einen beim Revisionsgericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten. Der Kläger bittet, durch Versäumnisurteil zu entscheiden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt im Versäumnisverfahren zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht läßt offen, ob die Erblasserin bei Errichtung des Testaments vom 26. Januar 1976 testierfähig war oder nicht. Der Kläger sei schon deshalb nicht (Ersatz-)Erbe der Erblasserin, weil der Beklagte das Testament gemäß §§ 2078 Abs. 1, 2, 2080 Abs. 1, 2081 Abs. 1, 2082 BGB wirksam angefochten habe mit der Folge, daß die (Ersatz-)Erbeinsetzung des Klägers unwirksam sei. Der Beklagte sei zur Anfechtung berechtigt gewesen (§ 2080 Abs. 1 BGB), weil er in dem Testament vom 1. Juli 1969 zum Ersatzmiterben berufen worden sei und weil die Erblasserin statt dessen 1976 den Kläger zum Ersatzerben bestimmt habe. Die Unwirksamkeit des Testaments von 1976 könne somit dem Beklagten zugute kommen. Davon abgesehen komme der Beklagte bei einem Wegfall seiner Mutter auch als gesetzlicher Miterbe in Betracht.

Das Berufungsgericht stellt fest, die Erblasserin sei zur Einsetzung des Klägers als Ersatzerben durch die irrige Annahme oder Erwartung bestimmt worden, der Kläger werde ihrem dringenden Wunsch entsprechen und ihren Sohn nicht alsbald für tot erklären lassen. Wenn die Erblasserin gewußt oder damit gerechnet hätte, daß der Kläger sich über diesen ihren Wunsch hinwegsetzen und sich auf diese Weise alsbald in den vollen Genuß der Erbschaft setzen werde, würde sie ihn nicht zum Ersatzerben und zum Testamentsvollstrecker eingesetzt haben. Die Anfechtung sei auch rechtzeitig erklärt worden.

II.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Anfechtungsberechtigung des Beklagten halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Das Berufungsgericht hat nicht beachtet, daß gemäß § 2080 Abs. 1 BGB zur Anfechtung einer letztwilligen Verfügung nur derjenige berechtigt ist, dem deren Aufhebung unmittelbar zustatten kommen würde. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts genügt es daher nicht, wenn die Unwirksamkeit der Erbeinsetzung des Klägers dem Beklagten im Hinblick auf seine Einsetzung als Ersatzmiterbe in dem Testament von 1969 dem Beklagten (nur) zugute kommen "kann" oder wenn der Beklagte alsdann als gesetzlicher Miterbe (lediglich) "in Betracht kommt". Vielmehr hätte der Beklagte nur dann als anfechtungsberechtigt angesehen werden dürfen, wenn der Wegfall des Klägers als (Ersatz-)Erben für den Beklagten unmittelbar von Vorteil wäre. Dieser Vorteil kann nicht bloß unterstellt, sondern muß festgestellt werden. Andernfalls würde auch derjenige zur Anfechtung zugelassen, dessen Erklärung weniger weit reichen würde, als er geltend macht, und dem die Anfechtung daher gerade nicht unmittelbar zugute käme. Als einen derartigen Vorteil nimmt der Beklagte für sich in Anspruch, aufgrund des Testaments von 1969 zusammen mit dem Zeugen Franz E. und mit Adolf B. als Miterben zu 1/3 berufen zu sein. Daß dem Beklagten dieser (oder ein anderer) Vorteil infolge der Anfechtung tatsächlich zufiele, versteht sich nicht von selbst. Das gilt um so mehr, als die Erblasserin nach dem Vortrag des Klägers von ihren Verwandten schwer enttäuscht gewesen sein und die testamentarische Zuwendung an den Beklagten von 1969 deshalb im Jahre 1976 aufgehoben haben soll.

Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts, der sich der Senat anschließt, ist im Rahmen des § 2078 Abs. 1, 2 BGB nicht das Testament als solches, sondern es sind immer nur einzelne in ihm enthaltene letztwillige Verfügungen (RGZ 70, 391, 394) anfechtbar; dabei geht die Anfechtbarkeit im Hinblick auf den ausdrücklichen Wortlaut des § 2078 BGB nur so weit, wie der Irrtum gereicht und auf den Inhalt der Erklärung eingewirkt hat (RGZ 70, 391, 395). In diesem Zusammenhang tritt bei Vorliegen auch der Voraussetzungen der §§ 2081, 2082 BGB gemäß § 142 Abs. 1 BGB im allgemeinen lediglich Teilnichtigkeit ein.

Bei Beachtung dieser Grundsätze wäre das Berufungsgericht darauf gestoßen, daß die von ihm gegebene Begründung für sich allein nur die Anfechtung der (Ersatz-)Erbeinsetzung des Klägers in Abschnitt II Abs. 3 des Testaments von 1976 betrifft. Wem die Aufhebung der Erbeinsetzung des Klägers unmittelbar zustatten käme, läßt sich aber nur durch Vergleich mit der Rechtslage beurteilen, wie sie sich infolge der Anfechtung darstellen würde (RG LZ 1920, Sp. 340 f.).

1.

In Abschnitt I des Testaments von 1976 hatte die Erblasserin alle bis dahin errichteten Verfügungen von Todes wegen widerrufen (§ 2253 Abs. 1 BGB). Infolgedessen könnte der Beklagte als gewillkürter Miterbe aufgrund des Testaments von 1969 nur dann berufen sein, wenn infolge der Anfechtung zugleich auch dieser Widerruf seine Wirkung verloren hätte, sei es nun vollständig oder mindestens, soweit es sich um den Widerruf der (Ersatz-)Miterbeinsetzung des Beklagten handelt. Dies hängt zunächst davon ab, ob die Anfechtung des Beklagten, die sich auch gegen Abschnitt I des Testaments von 1976 richtet, insoweit ebenfalls durchgreifen würde, ob nämlich anzunehmen ist (§ 2078 Abs. 1 BGB), daß die Erblasserin die 1969 verfügte Erbeinsetzung ohne den festgestellten Irrtum nicht widerrufen haben würde. Hierzu bedarf es weiterer Aufklärung durch den Tatrichter. Sollte dem Beklagten der ihm hier obliegende Beweis (vgl. BGH, Urteil vom 31.10.1962 - V ZR 129/62 - LM BGB § 2078 Nr. 8) nicht gelingen, dann wäre weiter zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 2085 BGB erfüllt sind (zur Beweislast vgl. Baumgärtel/Strieder, Handbuch der Beweislast im Privatrecht Bd. 2 § 2085 BGB).

2.

Wenn das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang ein Anfechtungsrecht des Beklagten auch im Hinblick auf ein mögliches gesetzliches Erbrecht in Betracht zieht, dann kann dem nicht gefolgt werden. Ein gesetzliches Erbrecht des Beklagten nach der Erblasserin ist schon deshalb nicht anzunehmen, weil dessen Mutter, eine Schwester der Erblasserin, zur Zeit des Erbfalles unstreitig noch gelebt hat und ihn deshalb gemäß §§ 1925 Abs. 3 Satz 1, 1924 Abs. 2 BGB von der gesetzlichen Erbfolge ausschließen dürfte. Daß die Mutter des Beklagten die Erbschaft ausgeschlagen hätte, ist nicht dargetan.

3.

Eine wirksame Anfechtung der Erbeinsetzung des Klägers von anderer Seite ist nicht ersichtlich. Insbesondere die Erklärung des Beklagten vor dem Nachlaßgericht vom 3. Januar 1978 - BU 9 I -, der sich die Mutter des Beklagten angeschlossen haben soll, stellt keine Anfechtung durch die Mutter dar. Sie ist lediglich eine Erklärung im Rahmen des Verfahrens vor dem Nachlaßgericht und läßt nicht erkennen, daß der Beklagte oder seine Mutter an ein eigenes Anfechtungsrecht gedacht, ein solches für sich in Anspruch genommen und von diesem mit dem genannten Schriftsatz hätten Gebrauch machen wollen. Erbunwürdigkeitsklage (§ 2342 BGB) gegen den Kläger ist nicht erhoben worden.

Unter diesen Umständen kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben.

III.

Sollte sich ergeben, daß die (Ersatz-)Miterbeinsetzung des Beklagten und auch diejenige des Zeugen E. und des Adolf B. in dem Testament von 1969 ohne den Irrtum der Erblasserin bestehen geblieben wäre, und daß also (auch) der Beklagte anfechtungsberechtigt ist, dann stellt sich die Frage, wie weit die Wirkung seiner Anfechtung reicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 21.12.1960 - V ZR 76/60 = LM BGB § 2080 Nr. 1) und nach der im Schrifttum fast einmütig vertretenen Auffassung wirkt eine begründete Anfechtung einer Verfügung gemäß § 2078 BGB, auch wenn sie nur von einem der mehreren Anfechtungsberechtigten (rechtzeitig) erklärt wird, nicht nur zu dessen Gunsten, sondern absolut und kommt auch den übrigen Beteiligten zugute. Der hiergegen von Leipold (MünchKomm, BGB § 2080 Rdn. 8; vgl. auch § 2078 Rdn. 1-3) gerichteten Kritik ist entgegenzuhalten, daß die Anfechtung einer Verfügung von Todes wegen nach dem Verständnis der ganz überwiegenden Meinung nicht nur dem Interesse des davon betroffenen Anfechtungsberechtigten dient, sondern zugleich auch dem Interesse des Erblassers zugute kommt, dessen Willensmangel "absolut" Rechnung trägt und seinem (hypothetischen) Willen in größerem Umfang zum Erfolg verhilft. Das entspricht dem Grundgedanken des § 2078 Abs. 1 BGB, der dahin geht, die begründete Anfechtung eines dazu Berechtigten durchgreifen zu lassen, "soweit" die Verfügung von dem Willensmangel betroffen ist, und nicht nur, "soweit der Anfechtungsberechtigte durch die Verfügung benachteiligt wird". Ein etwaiges gegenläufiges Interesse eines (weiteren) Anfechtungsberechtigten, der es bei der anfechtbaren Verfügung (partiell) belassen und deshalb nicht anfechten will, hat womöglich geringeres Gewicht als das Interesse des Erblassers an einer ("absoluten") Korrektur seiner Verfügung und an dessen gewissermaßen treuhänderischer Wahrnehmung durch einen mitbetroffenen Anfechtungsberechtigten. Die herrschende Meinung ist zudem besser geeignet, (beim Erbvertrag und beim gemeinschaftlichen Testament) den Gleichlauf der Anfechtung gemäß § 2078 BGB mit derjenigen nach § 2281 BGB zu gewährleisten.

 

Unterschriften

Dr. Hoegen

Rottmüller

Dr. Lang

Dr. Schmidt-Kessel

Dr. Ritter

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456150

NJW 1985, 2025

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