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BGH Beschluss vom 30.10.2001 - VI ZB 43/01

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Leitsatz (amtlich)

Vortrag einer ausreichenden Büroorganisation erfordert die Darlegung, welche Weisungen hinsichtlich der Eintragung einer Vorfrist in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten erteilt waren.

 

Normenkette

ZPO § 233

 

Verfahrensgang

OLG Celle

LG Lüneburg

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluß des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 8. August 2001 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 33.184,80 DM.

 

Gründe

I.

Der Kläger hat gegen das am 21. April 2001 zugestellte Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 17. April 2001 am 18. Mai 2001 Berufung eingelegt und um Akteneinsicht gebeten. Das Berufungsgericht hat die Akten am 11. Juni 2001 für eine Woche dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers übersandt. Sie gingen am 14. Juni 2001 wieder beim Oberlandesgericht ein.

Am 21. Juni 2001 hat der Kläger Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beantragt und mit weiterem Schriftsatz vom selben Tage die Berufung begründet. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat er vorgetragen, die bei seinen Prozeßbevollmächtigten seit Jahren tätige Rechtsanwaltsfachangestellte G. habe seinem Anwalt die Akten zur Bearbeitung der Berufungsbegründung am 19. Juni 2001 zusammen mit einem Antrag auf Fristverlängerung und mit dem Hinweis vorgelegt, die Begründungsfrist laufe am 21. Juni 2001 ab. Diese Frist habe die absolut zuverlässige Mitarbeiterin, die ausschließlich die Fristen bearbeite, notiert gehabt. Sein Anwalt habe sich auf die korrekte Fristnotierung der langjährigen Mitarbeiterin verlassen und die Berufungsbegründung am 21. Juni 2001 diktiert. Die Richtigkeit dieser Angaben hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers anwaltlich versichert und eine eidesstattliche Versicherung der Angestellten G. vorgelegt. Nach dieser war sie seit 1993 in der Kanzlei als ReNo-Gehilfin angestellt, notiert und kontrolliert seit diesem Zeitpunkt die Fristabläufe selbständig, ohne daß ihr bisher eine Unregelmäßigkeit unterlaufen sei.

Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Der Kläger müsse sich ein Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten zurechnen lassen. Dieser habe nicht glaubhaft gemacht, die Arbeit seiner Mitarbeiterin G. unregelmäßig durch geeignete Stichproben überprüft zu haben, wie es seine Pflicht auch bei einer ansonsten zuverlässigen Kraft gewesen sei. Im übrigen habe er es unterlassen, sich nach Erhalt der Gerichtsakten selbst Gewißheit über den Ablauf der Begründungsfrist zu verschaffen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Klägers hat im Ergebnis keinen Erfolg. Dem Kläger ist ein Verschulden seines Prozeßvertreters anzulasten (§ 85 Abs. 2 ZPO) und es ist nicht auszuschließen, daß dieses Verschulden zur Versäumung der Berufungsbegründungsfrist geführt hat.

1. Allerdings hält es rechtlicher Überprüfung nicht stand, wenn das Berufungsgericht meint, der Prozeßbevollmächtigte des Klägers habe nicht glaubhaft gemacht, seine Mitarbeiterin G. „unregelmäßig durch geeignete Stichproben überprüft zu haben”.

Der Kläger hatte dargelegt und durch eine – wenn auch pauschale (vgl. BGH, Beschluß vom 13. Januar 1988 – IVa ZB 13/87 – VersR 1988, 610) – anwaltliche Versicherung seines Prozeßbevollmächtigten und durch eidesstattliche Versicherung der Anwaltsgehilfin G. vom 21. Juni 2001 glaubhaft gemacht, daß G. als langjährige Mitarbeiterin seines Prozeßbevollmächtigten bis zu dem hier zur Entscheidung stehenden Vorfall stets die zu beachtenden Fristen zuverlässig notiert und berücksichtigt habe. Daraus folgt, daß ihr hier erstmals ein Versehen unterlaufen wäre (vgl. BGH, Beschluß vom 23. November 2000 – IX ZB 83/00 – NJW 2001, 1578 f.).

Zwar ist dem Berufungsgericht zuzugeben, daß selbst langjährige und gewissenhafte Angestellte in einem Anwaltsbüro – wenn auch nur in gewissen Zeitabständen (vgl. BGH, Beschluß vom 8. November 1967 – VIII ZB 38/67 – VersR 1967, 1204, 1205) – überwacht werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1999 – IX ZR 364/98 – NJW 1999, 2120, 2121 m.w.N.) und daß der Kläger zur Wahrnehmung dieser Überwachungspflicht durch seinen Prozeßbevollmächtigten nichts vorgetragen hat. Der Vortrag des Klägers, es habe seinem Prozeßbevollmächtigten als Bestätigung für G.'s Zuverlässigkeit gedient, daß diese in der Vergangenheit die Akten stets rechtzeitig vor Fristablauf vorgelegt habe, läßt eher darauf schließen, die erforderliche Überwachung sei unterblieben.

Der Begründung des Beschlusses ist aber nicht zu entnehmen, mit welchen Stichproben der erstmals auftretende Fehler einer langjährig zuverlässigen Mitarbeiterin hätte verhindert werden können.

2. Der angefochtene Beschluß hat jedoch aus einem anderen Grund Bestand. Der Kläger hat, obwohl das seine Sache gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1999 – IX ZR 364/98 aaO), keine fehlerfreie Organisation der Notierung und Kontrolle von Rechtsmittelfristen im Büro seines Prozeßbevollmächtigten vorgetragen und glaubhaft gemacht. Eine fehlerfreie Organisation erfordert in der Regel, daß das mutmaßliche Ende der Frist zur Begründung der Berufung bei oder alsbald nach Einreichung der Berufungsschrift vermerkt wird (vgl. BGH, Beschluß vom 9. Januar 2001 – VIII ZB 26/00 – VersR 2001, 1132; vom 17. September 1998 – I ZB 33/98 – VersR 1999, 1171; vom 19. März 1998 – IX ZB 3/98 – VersR 1998, 1570; vom 23. Juli 1997 – IV ZB 8/97 – VersR 1998, 77, jeweils m.w.N.). Die zunächst notierte Frist muß bei Erhalt der gerichtlichen Mitteilung über den tatsächlichen Eingang der Berufung nachgeprüft und gegebenenfalls korrigiert werden (vgl. Senat, Beschluß vom 5. Oktober 1999 – VI ZB 22/99 – VersR 2000, 202 m.w.N.). Ferner muß der Anwalt regelmäßig eine Vorfrist eintragen lassen um sicher zu stellen, daß ihm auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch hinreichend Zeit für die Anfertigung der Berufungsbegründung verbleibt (vgl. Senat, Beschluß vom 5. Oktober 1999 – VI ZB 22/99 – VersR 2000, 202; BGH, Beschluß vom 23. Juli 1997 – IV ZB 8/97 – VersR 1998, 77).

Zu alledem hat der Kläger nichts vorgetragen. Auch der anwaltlichen Versicherung seines Prozeßbevollmächtigten und der eidesstattlichen Versicherung der Angestellten G. ist dazu nichts zu entnehmen. Vielmehr ist offenbar weder eine vorläufige Frist noch eine Vorfrist, sondern ausschließlich die fehlerhaft erst ab Montag, den 21. Mai 2001 gerechnete Begründungsfrist notiert worden.

Bei Eintragung einer Vorfrist wäre die Fristversäumung vermieden worden. Wäre die Vorfrist wie üblich mit mehr als drei Tagen notiert worden, wäre eine Vorlage der Handakten an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers vor Ablauf der Begründungsfrist erfolgt, der drohende Fristablauf bemerkt und etwa durch Antrag auf erstmalige Fristverlängerung verhindert worden.

3. Da die Fristversäumung nach allem auf einer Pflichtwidrigkeit des Prozeßbevollmächtigten des Klägers beruht, hat das Berufungsgericht die nachgesuchte Wiedereinsetzung zu Recht versagt. Es kann daher offen bleiben, ob dem Prozeßbevollmächtigten auch deshalb ein dem Kläger zuzurechnendes Verschulden an der Fristversäumung vorzuwerfen wäre, weil er sich nach Vorlage der Gerichtsakten nicht selbst Gewißheit über den Ablauf der Begründungsfrist verschafft hat, oder ob er diese entsprechend seinem Vortrag nicht zu Gesicht bekommen hat.

 

Unterschriften

Dr. Müller, Dr. Dressler, Dr. Greiner, Wellner, Pauge

 

Fundstellen

Haufe-Index 657753

BB 2002, 541

BB 2002, 68

DStZ 2002, 84

NJW 2002, 443

BGHR 2002, 173

ZAP 2002, 75

MDR 2002, 180

VersR 2002, 506

BRAK-Mitt. 2002, 25

KammerForum 2002, 196

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