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BGH Beschluss vom 11.08.2021 - 3 StR 118/21

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Verfahrensgang

LG Mainz (Beschluss vom 25.01.2021; Aktenzeichen 1 KLs 3100 Js 5887/19)

 

Tenor

1. Der Beschluss des Landgerichts Mainz vom 25. Januar 2021 wird aufgehoben.

2. Der Angeklagte wird darauf hingewiesen, dass die Monatsfrist zur Begründung seiner Revision mit der Zustellung dieses Beschlusses zu laufen beginnt.

3. Die Sache wird dem Landgericht Mainz zur Entgegennahme einer eventuellen weiteren Revisionsbegründung zurückgegeben.

 

Tatbestand

I.

Rz. 1

Das Landgericht Mainz hat den Angeklagten mit Urteil vom 30. November 2020 freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen das Urteil hat der Pflichtverteidiger binnen Wochenfrist Revision eingelegt. Jenem hat der Strafkammervorsitzende alsdann das schriftliche Urteil zustellen lassen. Anstelle des urlaubsabwesenden Verteidigers hat jedoch am 21. Dezember 2020 einer seiner Kollegen das Empfangsbekenntnis unterschrieben.

Rz. 2

Mit Beschluss vom 25. Januar 2021 (Az. 1 KLs …) hat das Landgericht die Revision des Angeklagten mangels fristgerechter Begründung verworfen. Diese Entscheidung hat den Verteidiger am 2. Februar 2021 erreicht. Erst dadurch hat er vom zuvor ergangenen Urteil Kenntnis erlangt. Mit am 9. Februar 2021 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat er im Namen des Angeklagten unter näheren Ausführungen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die Frist zur Revisionsbegründung beantragt und die „allgemeine Sach- und Verfahrensrüge” erhoben.

 

Entscheidungsgründe

II.

Rz. 3

Der Wiedereinsetzungsantrag ist gemäß § 300 StPO in einen Antrag auf Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses vom 25. Januar 2021 umzudeuten. Dieser Rechtsbehelf ist gemäß § 346 Abs. 2 Satz 1 StPO statthaft und fristgerecht eingelegt. Er hat auch in der Sache Erfolg.

Rz. 4

1. Der Verwerfungsbeschluss erweist sich als rechtsfehlerhaft. Mangels wirksamer Zustellung des Urteils hat die Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht am 21. Dezember 2020 zu laufen begonnen (§ 345 Abs. 1 Satz 2 StPO). Denn eine Zustellung ist grundsätzlich nicht ordnungsgemäß bewirkt, wenn anstelle des Pflichtverteidigers eine andere Person das Empfangsbekenntnis unterschreibt (BGH, Beschlüsse vom 12. April 1988 – 4 StR 105/88, BGHR StPO § 37 Abs. 1 Pflichtverteidiger 1; vom 28. April 2005 – 4 StR 21/05, BeckRS 2005, 6315; vom 12. Februar 2014 – 1 StR 601/13, NStZ-RR 2014, 149; OLG Köln, Beschluss vom 19. Juni 2018 – 1 RVs 129/18, juris Rn. 1; MüKoStPO/Knauer/Kudlich, § 345 Rn. 17 mwN; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 345 Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 37 Rn. 19).

Rz. 5

Eine Ausnahme hiervon liegt nicht vor. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Unterzeichner des Empfangsbekenntnisses, ein Fachanwalt für Arbeitsrecht und wie der Verteidiger nur angestellter Rechtsanwalt in der Kanzlei, gemäß § 53 BRAO als Vertreter eingesetzt war und als solcher aufgetreten ist, sind nicht ersichtlich. Es kann deshalb dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Vertretung eines Pflichtverteidigers bei der Bewirkung von Zustellungen überhaupt möglich ist (zur Vertretung bei der Revisionseinlegung s. BGH, Beschlüsse vom 29. November 2018 – 5 StR 410/18, juris; vom 22. August 2001 – 1 StR 354/01, BGHR StPO § 346 Abs. 1 Form 2; vom 5. Februar 1992 – 5 StR 673/91, NStZ 1992, 248).

Rz. 6

2. Eine Entscheidung des Senats über die Revision kommt derzeit noch nicht in Betracht. Zwar ist der Zustellungsmangel mit der tatsächlichen Kenntnisnahme des Urteils durch den Pflichtverteidiger am 2. Februar 2021 gemäß § 37 Abs. 1 StPO, § 189 ZPO geheilt worden. Auch die Revisionsanträge sind gestellt. Die Monatsfrist des § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO zur Begründung der Revision beginnt jedoch erst mit der Zustellung dieses Beschlusses zu laufen. Insoweit gilt:

Rz. 7

Wird eine Revision zu Unrecht als unzulässig verworfen und der Verwerfungsbeschluss zu einem Zeitpunkt zugestellt, in dem die Begründungsfrist noch nicht abgelaufen ist, so beginnt letztere erst mit der Zustellung der den Verwerfungsbeschluss aufhebenden Entscheidung des Revisionsgerichts. Denn dem Revisionsführer kann nicht zugemutet werden, die Revisionsbegründung in Kenntnis der negativen Entscheidung des Tatgerichts vorsorglich innerhalb der noch verbleibenden Frist einzureichen. Ihm ist vielmehr Gelegenheit zu geben, binnen eines Monats nach Zustellung der Aufhebungsentscheidung seine Revision (hier: weiter) zu begründen (BGH, Beschluss vom 6. März 2014 – 4 StR 553/13, NJW 2014, 1686, 1687 Rn. 9; OLG Bamberg, Beschluss vom 4. Juni 2018 – 2 OLG 120 Ss 29/18, juris Rn. 8; OLG Köln, Beschluss vom 19. Juni 2018 – 1 RVs 129/18, juris Rn. 8; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 345 Rn. 3 mwN; LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 345 Rn. 11).

Rz. 8

Die Sache ist deshalb zur Fortsetzung des Revisionsverfahrens (§ 347 StPO) an das Landgericht zurückzugeben.

Rz. 9

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (s. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 346 Rn. 12).

 

Unterschriften

Schäfer, Berg, Erbguth, RiBGH Dr. Kreicker befindet sich im Urlaub und ist deshalb gehindert zu unterschreiben. Schäfer, Voigt

 

Fundstellen

Haufe-Index 14803496

NStZ-RR 2022, 6

StRR 2021, 3

StV 2021, 807

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