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BGH Beschluss vom 09.06.2010 - XII ZB 132/09

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Leitsatz (amtlich)

Der Beginn der einmonatigen Berufungsfrist des § 517 ZPO setzt die Zustellung einer Ausfertigung des in vollständiger Form abgefassten Urteils voraus.

 

Normenkette

ZPO §§ 166, 317, 517

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Beschluss vom 01.07.2009; Aktenzeichen II-8 UF 103/09)

AG Dülmen (Urteil vom 05.02.2009; Aktenzeichen 6 F 271/07)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 8. Senats für Familiensachen des OLG Hamm vom 1.7.2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das OLG zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 1.669 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Parteien streiten um Abänderung eines Urteils zum nachehelichen Unterhalt aus der geschiedenen ersten Ehe des Klägers. Das Urteil des AG vom 5.2.2009 ist dem Kläger nicht in Ausfertigung, sondern in beglaubigter Abschrift am 27.3.2009 zugestellt worden. Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil ist am 23.5.2009 beim OLG eingegangen, die Berufungsbegründung am 27.5.2009.

Rz. 2

Das OLG hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der Berufungsfrist des § 517 ZPO eingegangen sei. Die Berufungsfrist habe mit Zustellung der beglaubigten Abschrift des Urteils begonnen.

Rz. 3

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht begehrt.

II.

Rz. 4

Für das Verfahren ist gem. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 16.12.2009 - XII ZR 50/08, FamRZ 2010, 357 Tz. 7 m.w.N.).

Rz. 5

Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und nach § 574 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig. Sie ist auch begründet.

Rz. 6

1. Die Monatsfrist zur Einlegung der Berufung beginnt nach § 517 ZPO mit Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils. Die Zustellung erfolgt nach § 317 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 166 Abs. 2 ZPO von Amts wegen. Freilich bleibt das Original des Urteils stets bei den Akten. Stattdessen ist eine Ausfertigung zuzustellen (Wieczorek/Schütze/Rensen ZPO, 3. Aufl., § 317 Rz. 7).

Rz. 7

a) Eine Ausfertigung ist eine in gesetzlich bestimmter Form gefertigte Abschrift, die dem Zweck dient, die bei den Akten verbleibende Urschrift nach außen zu vertreten (BGH v. 30.5.1990 - XII ZB 33/90, FamRZ 1990, 1227). Durch die Ausfertigung soll dem Zustellungsempfänger die Gewähr der Übereinstimmung mit der bei den Akten verbleibenden Urteilsurschrift geboten werden (BGHZ 100, 234, 237 = NJW 1987, 2868 m.w.N. sowie BGH Beschlüsse v. 20.6.1989 - X ZB 12/87; v. 28.11.2006 - VIII ZB 116/05 - jeweils veröffentlicht bei juris). Der Ausfertigungsvermerk bezeugt als eine besondere Art der Beurkundung, dass die Ausfertigung mit der Urschrift des Urteils übereinstimmt. Wegen dieser Besonderheit verlangt das Gesetz, dass die Ausfertigung von einem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben und mit dem Gerichtssiegel zu versehen ist (§ 317 Abs. 4 ZPO).

Rz. 8

Mit der Unterschrift erklärt der Urkundsbeamte, dass die in der Ausfertigung wiedergegebenen Teile des Urteils gleich lautend mit denen der Urschrift sind. Diese Erklärung braucht nicht wörtlich in dem Ausfertigungsvermerk enthalten zu sein. Das Gesetz sieht eine bestimmte äußere Form für den Ausfertigungsvermerk nicht vor (BGH, Urt. v. 13.3.1969 - III ZR 178/67, VersR 1969, 709, 710). Die Urteilsabschrift muss aber zumindest durch die Unterschrift des Urkundsbeamten, das Gerichtssiegel oder den Dienststempel und Worte wie "Ausfertigung" oder "ausgefertigt" erkennen lassen, dass es sich um eine Ausfertigung i.S.d. § 317 Abs. 4 ZPO handeln soll (BGH, Urt. v. 18.5.1994 - IV ZR 8/94, VersR 1994, 1495). Der BGH hat deswegen bereits mehrfach die Zustellung beglaubigter Abschriften, die den Beglaubigungsvermerk nicht enthielten oder ihn unvollständig wiedergaben, für unwirksam gehalten, weil es damit für den Zustellungsempfänger an der Gewähr fehle, dass das ihm zugestellte Schriftstück der Urschrift entsprach (vgl. BGHZ 100, 234, 237 f. = NJW 1987, 2868).

Rz. 9

b) Ob an Stelle einer Urteilsausfertigung auch eine beglaubigte Urteilsabschrift die Zustellungswirkung des § 517 ZPO begründen kann, ist in der Literatur umstritten (vgl. BGH, Urt. v. 18.5.1994 - IV ZR 8/94, VersR 1994, 1495).

Rz. 10

aa) Teilweise wird vertreten, dass die in § 517 ZPO vorausgesetzte Amtszustellung statt in der Form einer vollständigen Urteilsausfertigung auch durch eine beglaubigte Abschrift des Urteils erfolgen kann (Thomas/Putzo/Reichold ZPO, 30. Aufl., § 517 Rz. 2; Hk-ZPO/Wöstmann 3. Aufl., § 517 Rz. 2 und Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 517 Rz. 9).

Rz. 11

Überwiegend wird allerdings unter Hinweis auf die Bedeutung einer Ausfertigung und die Vorschrift des § 317 Abs. 1 und 4 ZPO vertreten, dass nur die Zustellung einer Ausfertigung der gerichtlichen Entscheidung die Berufungsfrist nach § 517 ZPO in Lauf setzen kann (Zöller/Vollkommer ZPO, 28. Aufl., § 317 Rz. 4; Musielak/Musielak ZPO, 7. Aufl., § 317 Rz. 3; Wieczorek/Schütze/Rensen ZPO, 3. Aufl., § 317 Rz. 7 und Prütting/Gehrlein/Lemke ZPO § 517 Rz. 5).

Rz. 12

bb) Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an.

Rz. 13

Die nach § 166 Abs. 2 ZPO von Amts wegen zuzustellenden Dokumente können grundsätzlich in Urschrift, Ausfertigung oder (beglaubigter) Abschrift zugestellt werden. Dabei ist die Zustellung einer beglaubigten Abschrift stets dann ausreichend, wenn das Gesetz keine andere Regelung enthält (Zöller/Stöber ZPO, 28. Aufl., § 166 Rz. 5). Denn eine besondere Form der Zustellung hat der Gesetzgeber ausdrücklich speziellen materiell- oder prozessrechtlichen Vorschriften vorbehalten (BT-Drucks. 14/4554, 15). Eine solche spezielle Vorschrift enthält das Gesetz in § 317 ZPO für die Zustellung von Urteilen.

Rz. 14

Dass die Übergabe einer bloßen Abschrift des Urteils nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße und wirksame Zustellung erfüllt, hat der BGH bereits entschieden (BGH Beschl. v. 20.6.1989 - X ZB 12/87 - veröffentlicht bei juris). Soweit die Zustellung einer beglaubigten Abschrift für ausreichend erachtet wird, geht dies auf das frühere Recht zurück, das bis Juni 1977 eine Zustellung im Parteibetrieb vorsah. Die darauf beruhende Rechtsprechung beschränkt sich deswegen auf Fälle, in denen eine beglaubigte Abschrift einer bereits vorliegenden Urteilsausfertigung zugestellt wurde (BGH, Urt. v. 10.6.1964 - VIII ZR 286/63, MDR 1964, 916 und Beschlüsse v. 1.7.1974 - VIII ZB 17/74 - BGHWarn 1974, 475; v. 29.9.1959 - VIII ZB 5/59, NJW 1959, 2117, 2118 m.w.N.). Auf die Zustellung einer beglaubigten Abschrift des Urteils ohne vorliegende Ausfertigung des Urteils ist diese Rechtsprechung nicht übertragbar. Solange keine Ausfertigung der in den Akten verbleibenden Urschrift des Urteils erstellt ist, ist der Zweck, das Urteil nach außen zu vertreten, nicht erreicht (vgl. BGH Beschl. v. 28.11.2006 - VIII ZB 116/05 - veröffentlicht bei juris). Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH entspricht die Form der Ausfertigung der besonderen Bedeutung und Wichtigkeit der kundzugebenden Entscheidung. Erst der Ausfertigungsvermerk verleiht der Ausfertigung die Eigenschaft einer öffentlichen Urkunde und bezeugt deren Übereinstimmung mit der in den Akten verbleibenden Urschrift (BGHZ 100, 234, 237 = NJW 1987, 2868 m.w.N.; vgl. auch § 47 BeurkG). Entsprechend lautet die amtliche Überschrift des § 317 ZPO auch "Urteilszustellung und -ausfertigung" und für schriftlich vorliegende Urteile sieht § 317 Abs. 4 ZPO lediglich die Erstellung von Ausfertigungen und Auszügen vor.

Rz. 15

Für die Zustellung als Voraussetzung für den Beginn der Rechtsmittelfrist kommt es entscheidend auf äußere Form und Inhalt der zur Zustellung verwendeten Ausfertigung an; bei Abweichungen zwischen Urschrift und Ausfertigung ist allein die Ausfertigung maßgeblich, weil allein sie nach außen in Erscheinung tritt und die Beschwerdepartei ihre Rechte nur anhand der Ausfertigung wahrnehmen kann und muss (BGH v. 24.1.2001 - XII ZB 75/00, NJW 2001, 1653, 1654 und BGH Beschl. v. 25.5.2006 - IV ZB 47/05, FamRZ 2006, 1114, 1115).

Rz. 16

2. Die danach für den Beginn der Berufungsfrist nach §§ 517, 317 ZPO notwendige Ausfertigung des angefochtenen Urteils ist dem Kläger nicht bereits am 27.3.2009 zugestellt worden.

Rz. 17

a) Allerdings mangelt es nicht schon deshalb an einer wirksamen Zustellung des Urteils, weil - wie die Rechtsbeschwerde meint - die Unterschrift der mitwirkenden Richterin in der zugestellten beglaubigten Abschrift nicht ordnungsgemäß wiedergegeben sei. Das ist nach der Rechtsprechung des BGH der Fall, wenn die Unterschrift in Klammern gesetzt und kein weiterer Hinweis (etwa "gez.") hinzugefügt ist, dass der Richter das Urteil unterschrieben hat. Nach der Rechtsprechung des BGH reicht es allerdings aus, wenn in der Ausfertigung die Namen der beteiligten Richter in Maschinenschrift ohne Klammern angegeben sind. Dann ist im Allgemeinen ein weiterer auf die Unterzeichnung hinweisender Zusatz nicht erforderlich (BGH v. 30.5.1990 - XII ZB 33/90, FamRZ 1990, 1227; BGH, Urt. v. 18.5.1994 - IV ZR 8/94, VersR 1994, 1495 und Beschl. v. 1.4.1981 - VIII ZB 24/81, VersR 1981, 576).

Rz. 18

b) Bei der dem Kläger zugestellten Abschrift handelt es sich jedoch nicht um eine Ausfertigung des Urteils. Denn dieser Abschrift fehlt ein Ausfertigungsvermerk, der - wie ausgeführt - nicht durch den vorhandenen Beglaubigungsvermerk ersetzt werden kann.

Rz. 19

3. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung ergibt sich eine wirksame Zustellung am 27.3.2009 auch nicht aus der früheren Rechtsprechung des BGH zur Parteizustellung.

Rz. 20

Soweit im Rahmen der bis Juni 1977 vorzunehmenden Parteizustellung eine beglaubigte Abschrift der Urteilsausfertigung zugestellt werden durfte, hing die Wirksamkeit der Zustellung davon ab, dass die beglaubigte Abschrift in allen wesentlichen Punkten mit der zuvor erteilten Ausfertigung übereinstimmte (BGH Beschl. v. 1.7.1974 - VIII ZB 17/74 - BGHWarn 1974, 475). Es folgt schon aus der Natur der Sache, dass eine beglaubigte Abschrift nicht erstellt werden kann, bevor das Original - und im Falle einer beglaubigten Abschrift der Ausfertigung die Ausfertigung selbst - erstellt ist. Entsprechend sieht § 317 Abs. 2 ZPO vor, dass Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften eines Urteils nicht erteilt werden dürfen, solange das Urteil nicht verkündet und nicht unterschrieben ist (vgl. BGH v. 30.5.2007 - XII ZB 82/06, NJW 2007, 3640 Tz. 20).

Rz. 21

Hier wurde die vollstreckbare Ausfertigung des angefochtenen Urteils ausweislich der Gerichtsakten erst am 4.5.2009 erstellt. Bei der schon zuvor am 27.3.2009 zugestellten beglaubigten Abschrift kann es sich mithin nicht um die Beglaubigung der erst später erstellten Urteilsausfertigung handeln.

Rz. 22

4. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH beginnt der Lauf der einmonatigen Berufungsfrist aus § 517 ZPO nicht, wenn den Anforderungen, die an eine ordnungsgemäße Ausfertigung und Zustellung des erstinstanzlichen Urteils zu stellen sind, nicht Genüge getan ist (BGH, Urt. v. 18.5.1994 - IV ZR 8/94, VersR 1994, 1495). Das ist auch hier der Fall.

Rz. 23

Im Zeitpunkt der Zustellung am 27.3.2009 war entgegen der zwingenden Vorschrift des § 317 ZPO noch keine Ausfertigung des angefochtenen Urteils erteilt. Die Zustellung der beglaubigten Abschrift des Urteils hat die Berufungsfrist deswegen noch nicht in Lauf gesetzt. Selbst nach Erteilung der vollstreckbaren Urteilsausfertigung am 4.5.2009 ist keine weitere Zustellung an den Kläger erfolgt. Er hat folglich mit der am 23.5.2009 eingegangenen Berufungsschrift die Berufungsfrist des § 517 ZPO und mit der am 27.5.2009 eingegangenen Berufungsbegründung die Begründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO gewahrt. Das Berufungsgericht hat die Berufung deswegen zu Unrecht verworfen. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers ist der Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur weiteren Veranlassung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2353295

BGHZ 2011, 22

NJW 2010, 2519

NJW 2010, 8

EBE/BGH 2010, 219

FamRZ 2010, 1246

FuR 2010, 510

JR 2011, 486

WM 2010, 1771

ZIP 2010, 1464

AnwBl 2010, 193

MDR 2010, 946

VersR 2010, 1384

FamRB 2010, 267

PA 2010, 175

ZFE 2011, 242

r+s 2010, 536

FK 2010, 210

Rafa-Z 2010, 11

Rafa-Z 2011, 10

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