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BAG Urteil vom 31.10.1991 - 8 AZR 637/90

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsprivileg des Unternehmers gemäß § 636 RVO

 

Normenkette

RVO § 636 Abs. 1 S. 1; BGB § 823 Abs. 1, §§ 847, 276

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 29.10.1990; Aktenzeichen 4 Sa 411/90)

ArbG Husum (Urteil vom 12.07.1990; Aktenzeichen 2 Ca 67/90)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 29. Oktober 1990 – 4 Sa 411/90 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der am 25. August 1966 geborene Kläger war als Auszubildender in der Bäckerei des Beklagten beschäftigt. Am 24. Januar 1987 erlitt er bei der Reinigung einer Teigknetmaschine eine schwere Handverletzung. Von dem Rührhaken der Knetmaschine wurden ihm bis auf den Daumen sämtliche Finger der rechten Hand abgetrennt. Der Kläger wurde wegen der Handverletzung mehrfach stationär und ambulant behandelt. Der Kläger brach seine Berufsausbildung zum Bäcker ab und nahm eine Berufsausbildung zum Kaufmann auf.

Mit seiner am 24. Januar 1990 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage macht der Kläger die Zahlung eines Schmerzensgeldes geltend und begehrt Feststellung der Schadenersatzpflicht des Beklagten.

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe ca. zwei bis drei Monate vor dem Unfalltag die Sicherungsautomatik an der Teigknetmaschine entfernen oder überbrücken lassen. Seit dieser Zeit habe das auf der Teigknetmaschine befindliche Metallgitter geöffnet werden können, ohne daß sich dadurch die Maschine abgeschaltet habe. Der Beklagte habe die Sicherungsfunktion nicht wieder in Betrieb setzen lassen, um bei der Bedienung und Reinigung der Teigknetmaschine eine Zeitersparnis zu erreichen. Er habe ausdrücklich die Anweisung erteilt, daß die Teigknetmaschine während des laufenden Betriebes gereinigt werden müsse. Der Unfall habe sich gegen fünf Uhr ereignet, nachdem er, der Kläger, seine Arbeit bereits um 23.45 Uhr aufgenommen gehabt habe. Wegen der Unfallfolgen könne er keinen handwerklichen Beruf mehr ausüben. Allein dies stelle eine große, seelische Belastung für ihn dar. Durch verringerte Freizeitgestaltungsmöglichkeiten seien seine sozialen Kontakte eingeschränkt. Der Beklagte habe den Unfall mit bedingtem Vorsatz herbeigeführt. Deshalb sei ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,– DM angemessen.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen,

  1. an den Kläger ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
  2. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den künftigen materiellen und immateriellen Schaden zu erstatten, soweit diese Forderung nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme als unbegründet abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung ist vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen worden. Mit seiner zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage abgewiesen.

I. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts schuldet der Beklagte dem Kläger keinen Schadenersatz für den am 24. Januar 1987 eingetretenen Personenschaden, weil er gemäß § 636 RVO von jeglicher Haftung freigestellt sei. Der Beklagte habe den Arbeitsunfall nicht vorsätzlich herbeigeführt. Insbesondere scheide bedingter Vorsatz aus, denn der Beklagte habe den Unfallschaden nicht gebilligt. Eine derartige Billigung könne auch bei Unterstellung des Beweises des gesamten Sachvortrages des Klägers nicht angenommen werden. Hieraus könne zwar auf die vorsätzliche Verletzung von Schutzgesetzen geschlossen werden, doch belege dies nicht, daß der Beklagte auch die Körperverletzung gebilligt habe.

II. Diesem Ergebnis und auch seiner Begründung ist beizutreten. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. nur Urteil vom 27. Juni 1975 – 3 AZR 457/74 – AP Nr. 9 zu § 636 RVO) und des Bundesgerichtshofes (vgl. nur BGHZ 75, 328, 330 1.) sowie der herrschenden Meinung im Schrifttum (vgl. nur Hofmann, Haftpflichtrecht für die Praxis, 1989, S. 322; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, Kommentar, 3. Aufl., Stand: 1. Dezember 1990, § 636 RVO, Anm. 13; Kalb in Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 20. Aufl., S. 1173; Plagemann/Plagemann, Gesetzliche Unfallversicherung 1981, S. 170, Rz 417), daß aufgrund des Gesetzeswortlauts, seiner Entstehungsgeschichte und des Normzwecks der Vorsatz des Unternehmers den Arbeitsunfall als das Schadensereignis mitumfassen muß. Die vorsätzliche Verletzung von Schutzgesetzen, auch wenn sie adäquat kausal den Arbeitsunfall herbeigeführt hat, genügt nicht dem gesetzlichen Erfordernis der vorsätzlichen Herbeiführung des Arbeitsunfalls, es sei denn, der Unfall selbst wurde auch gewollt oder gebilligt. Hiervon abzuweichen besteht keine Veranlassung. Werden der unstreitige Sachstand und das streitige Vorbringen des Klägers daraufhin gewürdigt, ob sie belegen, daß der Beklagte den Unfall vom 24. Januar 1987 vorsätzlich herbeiführte, kann eine entsprechende Feststellung nicht getroffen werden. Dabei ist von maßgeblicher Bedeutung, daß der Begriff „Vorsatz” eine innere Tatsache bezeichnet, die sich im Streitfall nur aus äußeren Hilfstatsachen ergeben kann. Dies gilt auch für den bedingten Vorsatz, der von der bewußten Fahrlässigkeit abzugrenzen ist.

Bewußt fahrlässig handelt, wer den möglicherweise eintretenden Erfolg sieht, aber hofft, er werde nicht eintreten, oder wem es gleichgültig ist, ob er eintritt. Bedingt vorsätzlich handelt dagegen, wer den möglicherweise eintretenden Erfolg für den Fall seines Eintritts billigt (vgl. BAG Urteil vom 8. Dezember 1970 – 1 AZR 81/70 – AP Nr. 4 zu § 636 RVO mit zustimmender Anm. von Weitnauer und Preusche). Dementsprechend nimmt der Bundesgerichtshof (BGHZ 7, 311, 313 bedingten Vorsatz an), wenn der als möglich erkannte rechtswidrige Erfolg billigend in Kauf genommen wird.

Eine derartige Billigung des Arbeitsunfalles – nämlich das Abtrennen von vier Fingern – hat das Landesarbeitsgericht zu Recht als nicht festgestellt erachtet. Das gilt auch dann, wenn die vom Kläger vorgetragenen Hilfstatsachen als wahr unterstellt werden. Selbst wenn der Beklagte die gesetzliche Arbeitszeitregelung verletzt haben sollte, die Sicherungsautomatik an der Teigknetmaschine hätte entfernen lassen und die Teigknetmaschine in diesem Zustand betrieben haben sollte und darüber hinaus die damit verbundene Gefahr gekannt und dazu noch die Anweisung erteilt haben sollte, die Maschine während des laufenden Betriebs zu reinigen, ist damit der bedingte Vorsatz des Beklagten für den konkreten Unfall nicht dargelegt. Es ergibt sich nicht, daß der Beklagte die Verletzung des zur Reinigung der Teigknetmaschine eingesetzten Mitarbeiters billigte. Insbesondere reichte es nicht aus, wenn der Beklagte zwar die Möglichkeit einer Verletzung erkannt haben sollte, aber annahm, „es werde schon gutgehen”. Eine derartige Leichtfertigkeit begründete „nur” den Vorwurf bewußter, grober Fahrlässigkeit, die aber den Haftungsausschluß des § 636 RVO unberührt läßt.

In dieser Frage ist das Landesarbeitsgericht zutreffend von der Darlegungs- und Beweislast des Klägers ausgegangen. Die vorsätzliche Herbeiführung des Arbeitsunfalles im Sinne von § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO stellt eine gesetzliche Ausnahme von der wiederum eine Ausnahme von allgemeinen Haftungsnormen bildenden Haftungsfreistellung des § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO dar (vgl. Steinfeltz in Wussow. Unfallhaftpflichtrecht, 13. Aufl., Rz 1536). Dementsprechend obliegen die Darlegung und gegebenenfalls der Beweis vorsätzlichen Handelns des Unternehmers der Partei, die uneingeschränkte Haftung des Unternehmers geltend macht. Dies ist vom Landesarbeitsgericht richtig gesehen worden, wenn es den Kläger für darlegungspflichtig hält und bei Unterstellung des Beweises seines Sachvortrages zur Unschlüssigkeit der Klage gelangt.

Da der Haftungsausschluß des § 636 RVO in verfassungsrechtlich wirksamer Weise auch Schmerzensgeldansprüche umfaßt (vgl. BVerfG Beschluß vom 7. November 1972 – 1 BvL 4/71, 17/71, 10/72, 1 BvR 355/71 – BVerfGE 34, 118 = AP Nr. 6 zu § 636 RVO), ist die Klage insgesamt unbegründet und die Revision zurückzuweisen.

 

Unterschriften

Michels-Holl, Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Rosendahl, Dr. Umfug

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1073420

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