Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuerveranlagung trotz vorangegangenen Lohnsteuerjahresausgleichs

 

Leitsatz (NV)

1. Hat das Finanzamt einen Lohnsteuerjahresausgleich durchgeführt, obwohl der Steuerpflichtige außer Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit den Betrag von 800 DM übersteigende Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung angegeben hatte, so ist es trotz des bestandskräftigen Lohnsteuerjahresausgleichsbescheids nicht gehindert, anschließend eine Einkommensteuerveranlagung vorzunehmen (Anschluß an die Rechtsprechung seit dem Beschluß des BFH vom 21. 10. 1985 GrS 2/84, BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207).

2. Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn das Finanzamt in den Erläuterungen zum Lohnsteuerjahresausgleichsbescheid ausgesprochen hat, daß eine Veranlagung zur Einkommensteuer nicht in Betracht komme.

3. Kein Verstoß gegen Treu und Glauben.

 

Normenkette

EStG § 46 Abs. 2 Nr. 1, § 42; AO 1977 § 155 Abs. 1 S. 3

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Ehefrau hatten für das Streitjahr 1977 eine Einkommensteuererklärung abgegeben, in der sie außer Einnahmen des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit von 25 656 DM Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 3563 DM erklärt hatten. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) führte einen Lohnsteuer-Jahresausgleich durch. Das FA setzte durch Bescheid vom 21. November 1978 unter Berechnung der Jahreslohnsteuer auf 2084 DM einen Erstattungsbetrag von 1059,43 DM fest. Der Bescheid enthielt die Erläuterung: ,,Eine Veranlagung zur Einkommensteuer kommt nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen des § 46 EStG nicht erfüllt sind. Es wurde deshalb ein Lohnsteuer-Jahresausgleich durchgeführt." Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 11. Januar 1979 erließ das FA einen Einkommensteuerbescheid für 1977, in dem es unter Ansatz der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 1979 DM die Einkommensteuer auf 2520 DM festsetzte. Den Einspruch wies das FA mit der Begründung zurück, der Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1977 sei nach § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) berichtigt worden.

Das Finanzgericht (FA) hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, daß das FA den bestandskräftigen Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1977 weder nach § 129 AO 1977 berichtigen noch nach den §§ 172 f. AO 1977 habe ändern dürfen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 42 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 155 AO 1977 und des § 129 AO 1977. Abgesehen davon, daß der Bundesfinanzhof (BFH) bisher noch nicht entschieden habe, ob ein bestandskräftig durchgeführter Lohnsteuer-Jahresausgleich einer Einkommensteuerveranlagung des Steuerpflichtigen für dasselbe Jahre entgegenstehe, sei im Streitfall jedenfalls die Berichtigung nach § 129 AO 1977 zulässig.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt unter Aufhebung der Vorentscheidung zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, daß die Veranlagung zur Einkommensteuer nach bestandskräftig durchgeführtem Lohnsteuer-Jahresausgleich nur unter den gesetzlichen Voraussetzungen für die Änderung bzw. Berichtigung bestandskräftiger Bescheide zulässig ist. Wie der Große Senat des BFH durch Beschluß vom 21. Oktober 1985 GrS 2/84 (BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207) entschieden hat, steht die Bestandskraft eines nach § 42 EStG ergangenen Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheids einer Einkommensteuerveranlagung desselben Steuerpflichtigen für dasselbe Kalenderjahr nicht entgegen, auch wenn das FA nach Eintritt der Bestandskraft den gleichgebliebenen Sachverhalt nunmehr rechtlich anders würdigt und aufgrund dieser Würdigung zu dem Ergebnis gelangt, daß die Veranlagungsgrenzen des § 46 Abs. 1 EStG überschritten sind (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 15. April 1986 IX R 141/84, BFH/NV 1986, 609). Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in dem genannten Beschluß des Großen Senats unter C III.

Da die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung mehr als 800 DM betrugen (§ 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG), war das FA durch die vorherige Durchführung eines Lohnsteuer-Jahresausgleichs nicht gehindert, den Kläger für das Streitjahr zur Einkommensteuer zu veranlagen. Daß der Kläger keinen Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich gestellt, sondern eine Einkommensteuererklärung abgegeben hat, kann zu keiner anderen Beurteilung führen. Maßgeblich ist, daß zunächst ein Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid ergangen ist. Durch die Erläuterung in diesem Bescheid, daß eine Veranlagung zur Einkommensteuer nicht in Betracht kommt, hat das FA keinen weiteren Steuerbescheid im Sinne von § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 erlassen (vgl. zur Ablehnung eines Antrags auf Steuerfestsetzung Urteil des BFH vom 4. Juni 1986, BFHE 147, 393, BStBl II 1987, 3).

Der Einkommensteuerveranlagung stehen auch nicht die Grundsätze von Treu und Glauben entgegen. Würde mit Rücksicht auf Treu und Glauben eine Einkommensteuerveranlagung im Streitfall ausgeschlossen, so würde das Ergebnis der Entscheidung des Großen Senats in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207 gerade ins Gegenteil verkehrt. Dies kann nicht rechtens sein, zumal der Kläger nicht geltend gemacht hat, er habe auf Grund der - zu Unrecht erfolgten - Erstattung des FA wirtschaftlich disponiert (vgl. Urteil des BFH vom 18. März 1986 VI R 175/82, BFH/NV 1986, 537).

Die Vorentscheidung war danach aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Da das FA berechtigt war, den Kläger für das Streitjahr zur Einkommensteuer zu veranlagen, und die Höhe der angesetzten Einkünfte unstreitig ist, war die Klage als unbegründet abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415450

BFH/NV 1988, 362

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