Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Export über den Ladentisch bei Versendung mittels Spediteurs

 

Leitsatz (NV)

Ließ der ausländische Abnehmer den Gegenstand der Lieferung durch einen Spediteur ins Ausland verbringen, lag nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 der 2. UStDV i.d.F. der Zweiten Verordnung zur Änderung der 2. UStDV vom 17. April 1982, BGBl I 1972, 611, BStBl I 1972, 276 ein Versendungsfall vor (Ausfuhr des Gegenstandes durch einen Beauftragten).

 

Normenkette

UStG 1967/1973 § 4 Nr. 1; UStG 1967/1973 § 6 Abs. 1; UStG 1967/1973 § 6 Abs. 2; 2. UStDV i.d.F. der Zweiten Verordnung zur Änderung der 2. UStDV vom 17. April 1972 (BGBl I 1972, 611, BStBl I 1972, 276) § 1 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 2

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Einzelhandelsgeschäft mit gebrauchten Kraftfahrzeugen (vornehmlich Unfallwagen). Sie veräußerte Fahrzeuge an Ausländer, die sich die Wagen im Geschäftslokal der Klägerin aussuchten und gegen Aushändigung des Kraftfahrzeugbriefes bar bezahlten. In dem Kaufvertrag vermerkte die Klägerin jeweils aus dem vorgelegten Paß Namen, Anschrift und Paßnummer des Käufers sowie den Empfänger der später zu erstattenden Mehrwertsteuer. In den hier streitigen Verkaufsfällen gelangten die Fahrzeuge ,,durch Einschaltung eines Spediteurs" über das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ins Ausland. Nach Erhalt der Ausfuhrerklärungen bzw. Speditionsbescheinigungen, in denen die Ausfuhr der Fahrzeuge bescheinigt wurde, erstattete die Klägerin den Käufern die Mehrwertsteuer. Bestätigungen der Grenzzollstelle oder einer ausländischen Zollstelle über die Identität des ausländischen Abnehmers (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 Buchst. f der Zweiten Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes (Mehrwertsteuer) - 2. UStDV - vom 11. Oktober 1967, BGBl I 1967, 980, BStBl I 1967, 364, in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der 2. UStDV vom 17. April 1972, BGBl I 1972, 611, BStBl I 1972, 276) liegen nicht vor. Solche Bestätigungen hielt der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) deswegen für erforderlich, weil es sich bei den Verkäufen um ,,Exporte über den Ladentisch" handele. Er versagte daher die Steuerfreiheit des § 4 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1967/1973.

Einspruch und Klage begründete die Klägerin wie folgt:

Ein ,,Verkauf über den Ladentisch" sei nur dann gegeben, wenn der Käufer die Ware mitnehme und selbst ausführe. Nach dem Erlaß des Senators für Finanzen vom 19. Juli 1972 über die Zweite Verordnung zur Änderung der 2. UStDV (Steuer- und Zollblatt Berlin - StZBl. Bln. - 1972, 863, dort Abschn. B Nr. 1 Abs. 2 letzter Satz) brauche die Bestätigung der Grenzzollstelle nicht beigebracht zu werden, sofern der Unternehmer den Lieferungsgegenstand ,,an den ausländischen Abnehmer unmittelbar ins Ausland befördert oder versendet (Fälle des § 3 Abs. 7 UStG)"; hier genüge als Nachweis die Ausfuhrbescheinigung des Spediteurs. Im übrigen sei den ausländischen Käufern die Verfügungsmacht nicht im Inland verschafft worden. Die Kraftfahrzeuge seien in allen Fällen von ihr selbst versendet worden; auf ihren Namen lauteten daher die Speditionsbescheinigungen.

Das Finanzgericht (FG) hat die nach erfolglosem Einspruch eingelegte Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

Die Tatbestandsvoraussetzungen des ,,Exportes über den Ladentisch" seien gegeben. Den Abnehmern sei die Verfügungsmacht über den Gegenstand der Lieferung in einem Ladengeschäft oder in einer anderen im Einzelhandel üblichen Weise verschafft worden, und zwar durch Übertragung des Eigentums nach §§ 929, 930 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Für die Annahme eines ,,Geschäftes über den Ladentisch" sei nicht erforderlich, daß der Erwerber den Gegenstand sofort und/oder persönlich mitnehme. Satz 2 des § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. f der 2. UStDV betreffe gerade den Fall, daß die Grenzzollstelle die erforderliche Bestätigung deswegen nicht erteilen könne, weil der Abnehmer die Zollgrenze nicht mit dem Gegenstand der Lieferung überschreite. Auf die (ersatzweise) Bestätigung der Grenzzollstelle einer ausländischen Zollstelle oder einer deutschen konsularischen Vertretung könne wegen der Gefahr einer mißbräuchlichen Inanspruchnahme der Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen nicht verzichtet werden. In jedem Falle müsse das Grenzübertrittspapier auf Hinweise für einen etwaigen Wohnsitz im Inland überprüft werden.

Auf die Frage, ob vorliegend auch Namen und Anschriften des ausländischen Abnehmers fehlen - Hinweise hierauf ergaben sich aus dem Betriebsprüfungsbericht -, komme es daher nicht mehr an.

Der von der Klägerin zitierte Erlaß des Senators für Finanzen rechtfertige keine andere Entscheidung. Das Gericht sei an diesen Erlaß nicht gebunden. Darüber hinaus betreffe die Verwaltungsanweisung den hier nicht gegebenen Fall, daß dem Abnehmer vor Beginn der Beförderung oder Verwendung noch keine Verfügungsmacht verschafft worden sei.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Sie trägt vor:

Satz 2 des § 1 Abs. 2 Nr. 2 der 2. UStDV stelle auf die Verschaffung der Verfügungsmacht im Inland ab. Diese Ergänzung beziehe sich aber nur auf die Nr. 2, was aus der Folgebezeichnung ,,Buchstaben e) und f)" eindeutig hervorgehe. Die Nr. 1 des § 1 Abs. 2 der 2. UStDV sei durch die Änderung aufgrund der Zweiten Verordnung zur Änderung der 2. UStDV nicht berührt. Anderenfalls hätte der neue Verordnungstext vor der Nr. 1 oder als Nr. 3 eingefügt sein müssen. Werde der Gegenstand durch einen Spediteur transportiert, komme es auf die Begriffe ,,Ladengeschäft" und ,,Verfügungsmacht" nicht an. Zusätzliche Zollbestätigungen seien daher nicht erforderlich. Die vom FG gesehene ,,Gefahr des Mißbrauchs" könne eine ausdehnende Auslegung der einschlägigen Bestimmungen nicht rechtfertigen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 1978 und Änderung der Umsatzsteuerbescheide vom 21. Juli 1977 die Umsatzsteuer 1972 um 2 745,06 DM, die Umsatzsteuer 1974 um 257,66 DM und die Umsatzsteuer 1975 um 1 392,55 DM herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das FG hat zu Unrecht entschieden, daß die Lieferungen nicht als Ausfuhrlieferungen (§ 4 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 UStG 1967/1973) steuerfrei seien, weil die Klägerin Lieferungen ,,an einen ausländischen Abnehmer" (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967/1973) nicht buchmäßig nachgewiesen habe (§ 6 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UStG 1967/1973, § 1 Abs. 2 Nr. 2, § 2 der 2. UStDV).

11. Eine steuerfreie Ausfuhrlieferung liegt vor, wenn der Unternehmer Lieferungen an einen ausländischen Abnehmer bewirkt hat (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 UStG 1967/1973), der Gegenstand der Lieferung in das Ausland gelangt ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1967/1973), die Ausfuhr des Gegenstandes der Lieferung durch Belege nachgewiesen ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 UStG 1967/1973) und die vorstehenden Voraussetzungen auch buchmäßig nachgewiesen sind (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 UStG 1967/1973). Wie der belegmäßige Ausfuhrnachweis (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 UStG 1967/1973) und der buchmäßige Nachweis - auch hinsichtlich des ,,ausländischen Abnehmers" - (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. Nr. 1 UStG 1967/1973) zu führen sind, hat der Bundesminister der Finanzen (BMF) mit Zustimmung des Bundesrates aufgrund gesetzlicher Ermächtigung (§ 6 Abs. 2 UStG 1967/1973) in §§ 1 und 2 der 2. UStDV bestimmt.

2. § 1 Abs. 1 und 2 Nr. 1 und 2 Satz 1 (Buchst. a bis d) der 2. UStDV regelt den durch Belege zu erbringenden Ausfuhrnachweis. Die buchmäßig nachzuweisenden Voraussetzungen - auch hinsichtlich der in § 6 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967/1973 normierten Tatbestandsmerkmale - ergeben sich aus § 2 der 2. UStDV; u. a. sollen ,,regelmäßig . . . aufgezeichnet werden . . . Name und Anschrift des Abnehmers oder Auftraggebers" (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 der 2. UStDV). Darüber hinaus enthält § 1 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 der 2. UStDV eine kombinierte Regelung des Ausfuhrnachweises und des - wegen der Gefahr mißbräuchlicher Inanspruchnahme der Steuerfreiheit für Ausfuhrlieferungen verschärften (BRDrucks 106/72) - buchmäßigen Nachweises zum Tatbestand des ausländischen Abnehmers; diese Regelung ist von der Ermächtigung des § 6 Abs. 2 UStG 1967/1973 gedeckt (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. Oktober 1979 V B 5/79, BFHE 129, 226, BStBl II 1980, 110).

3. Im vorliegenden Fall sind die Anforderungen an den Ausfuhrnachweis ausschließlich am Maßstab des § 1 Abs. 2 Nr. 1 der 2. UStDV zu beurteilen. Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt sind die Gebrauchtwagen durch Spediteure ins Ausland verbracht worden. Dies läßt nach der gegebenen Sachlage nur den Schluß zu, daß entweder die Klägerin oder die ausländischen Abnehmer die ,,Ausfuhr des Gegenstandes durch einen Beauftragten" haben vornehmen lassen. Mithin liegen ,,Versendungsfälle" i. S. von § 1 Abs. 2 Nr. 1 der 2. UStDV vor.

Mit ,,allen übrigen Fällen" meint § 1 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 der 2. UStDV die Beförderung durch den Unternehmer selbst sowie den Fall, daß der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung abholt und in das Ausland verbringt. Für diese ,,übrigen Fälle" trifft der nachfolgende Satz 2 des § 1 Abs. 2 Nr. 2 der 2. UStDV eine weitere Regelung. Der Standort dieses Satzes 2, sein inhaltlicher Anschluß an Satz 1 (,,zusätzlich zu den bezeichneten Angaben") wie auch die fortlaufende Gliederung durch die Buchst. a) bis f) lassen § 1 Abs. 2 Nr. 2 der 2. UStDV als einen die ,,übrigen Fälle" betreffenden Regelungsverbund erscheinen. Eine Rückbeziehung des § 1 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 der 2. UStDV auf die in dessen Abs. 2 Nr. 1 geregelten Versendungsfälle ist nicht möglich.

Der Senat verkennt nicht, daß auch dann, wenn ein im Inland verweilender Abnehmer, statt den Gegenstand selbst mitzunehmen, von hier aus dessen Versendung veranlaßt, die Gefahr mißbräuchlicher Inanspruchnahme der Steuerfreiheit für Ausfuhrlieferungen besteht, der § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 der 2. UStDV entgegenwirken will. Indes hat der Verordnungsgeber einen auch diese Gefahrenlage berücksichtigenden Regelungswillen nicht zum Ausdruck gebracht.

4. Das FG hat - auf der Grundlage der von ihm vertretenen Rechtsauffassung zu Recht - ungeprüft gelassen, ob der durch § 1 Abs. 2 Nr. 1 der 2. UStDV geforderte Ausfuhrnachweis erbracht ist. Es wird diese Prüfung nachholen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1988, 527

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