Rz. 98

Nach § 112 Abs. 4 BetrVG entscheidet die Einigungsstelle über die Aufstellung des Sozialplans einschließlich des finanziellen Volumens verbindlich, wenn zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat hierüber keine Einigung zustande kommt. Das ist regelmäßig den Fall, wenn der Tatbestand einer Betriebsänderung im Sinn von § 111 BetrVG erfüllt ist. Die Erzwingbarkeit des Sozialplans durch einen Spruch der Einigungsstelle stellt § 112a BetrVG aber noch zusätzliche Voraussetzungen auf.[1] In der Einigungsstelle kann ein Sozialplan auf zwei verschiedene Arten zustande kommen. Auch in der Einigungsstelle können sich Arbeitgeber und Betriebsrat noch auf einen Sozialplan einigen. Für einen solchen Sozialplan gelten dann die Regeln eines freiwilligen Sozialplans. Kommt eine solche Einigung nicht zustande, entscheidet die Einigungsstelle durch Spruch mit einfacher Mehrheit (also u. U. durch die Stimmen einer Seite und des Vorsitzenden, § 76 Abs. 3 Satz 2 BetrVG) über den Sozialplan. In diesem Fall sind hinsichtlich des Inhaltes des Sozialplans wichtige Einschränkungen zu beachten.

[1] Wegen der Einzelheiten des Verfahrens siehe unten Rz. 143.

3.2.4.1 Enger Ermessensspielraum der Einigungsstelle

 

Rz. 99

Die Einigungsstelle ist bei der Errichtung des Sozialplans an die Grundsätze – und gleichzeitig Ermessensgrenzen – des § 112 Abs. 5 BetrVG gebunden. Sie hat bei der Ausgestaltung des Sozialplans daher vor allem die sozialen Belange der Arbeitnehmer zu berücksichtigen und auf die wirtschaftlichen Belange des Unternehmens zu achten. Als soziale Belange der Arbeitnehmer sind nur Nachteile zu verstehen, die infolge der Betriebsänderung entstehen; weitere Nachteile kann die Einigungsstelle nicht berücksichtigen. Auf Arbeitgeberseite ist auf die Belange des Unternehmens zu achten. Das Gesetz stellt hinsichtlich der wirtschaftlichen Vertretbarkeit auf die Belange des Unternehmens – nicht des Betriebs – ab. Im gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen ist für jedes der beteiligten Unternehmen eine gesonderte Betrachtung vorzunehmen.[1]

Bei zu einem Konzern verflochtenen Unternehmen halten sich die Literaturstimmen, die eine wirtschaftliche Vertretbarkeit konzernweit betrachtet, mit denjenigen, die auch insoweit eine unternehmensweite Betrachtung für richtig halten, die Waage.[2] Jedenfalls dann, wenn die – umstrittenen – Voraussetzungen für eine Durchgriffshaftung vorliegen, kann die Einigungsstelle auch die wirtschaftliche Situation des beherrschenden Unternehmens berücksichtigten. Das kommt zum einen bei Bestehen eines Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrags in Betracht. Daneben kommt für "qualifiziert faktische Konzerne" eine Durchgriffshaftung in Betracht; allerdings ist diese Rechtsfigur vom BGH aufgegeben worden (das BAG hat seine Position in BAG, Urteil v. 26.10.2010, 3 AZR 502/08 für das Betriebsrentenrecht offen gelassen, für den hier interessierenden Zusammenhang gibt es keine Entscheidungen). Ein Zurechnungsdurchgriff auf die beherrschenden Gesellschafter ist aber dann möglich, wenn sie in die Unternehmensführung der Gesellschaft eingreifen, um deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zumindest teilweise unmittelbar zu ihren Gunsten oder zugunsten eines von ihnen ebenfalls beherrschten Dritten abzuschöpfen.[3] Der vom BGH entwickelte Schadensersatzanspruch der GmbH gegen den Alleingesellschafter aus § 826 BGB wegen Existenzvernichtungshaftung zählt zum Vermögen der Gesellschaft, die Gläubigerin dieses Anspruchs ist. Deshalb ist er auch bei der Beurteilung der Vermögenslage der Gesellschaft und der daran knüpfenden wirtschaftlichen Vertretbarkeit eines Sozialplans zu berücksichtigen (BAG, Beschluss v. 15.3.2011, 1 ABR 97/09).

Besonderheiten gelten bei einer Spaltung nach § 134 UmwG. Spaltet ein Unternehmen (Ausgangsrechtsträger) sein Vermögen in eine Anlagegesellschaft und eine Betriebsgesellschaft i. S. d. § 134 Abs. 1 UmwG, wird die Einstandspflicht der Anlagegesellschaft in den Fällen der §§ 111-113 BetrVG zugunsten der Arbeitnehmer der Betriebsgesellschaft erweitert. Dies gilt für alle Arten der Spaltung i. S. d. § 123 UmwG. § 134 Abs. 1 UmwG bestimmt nicht nur eine Haftung der Anlagegesellschaft für die darin genannten Ansprüche der Arbeitnehmer der Betriebsgesellschaft, sondern erlaubt darüber hinaus auch einen Bemessungsdurchgriff bei der Aufstellung eines Sozialplans für die Betriebsgesellschaft. Der Bemessungsdurchgriff ist aber der Höhe nach auf die bei der Spaltung entzogenen Vermögensteile begrenzt (BAG, Beschluss v. 15.3.2011, 1 ABR 97/09). Bei der Prüfung, wie sehr der Sozialplan das Unternehmen belastet und ob er möglicherweise dessen Fortbestand gefährdet, ist sowohl das Verhältnis von Aktiva und Passiva als auch die Liquiditätslage zu berücksichtigen. Führt die Erfüllung der Sozialplanverbindlichkeiten zu einer Illiquidität, zur bilanziellen Überschuldung oder zu einer nicht mehr vertretbaren Schmälerung des Eigenkapitals, ist die Grenze der wirtschaftlichen Vertretbarkeit regelmäßig überschritten (BAG, Beschluss v. 22.1.2013, 1 ABR 85/11).

 

Rz. 100

§ 112 ...

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