Rz. 19

Der (Mindest-)Umfang des gesetzlichen Zusatzurlaubs nach § 208 SGB IX ist – wie der Umfang des Urlaubs nach dem BUrlG – zwingendes Recht. Er unterliegt weder der Disposition der Tarifvertragsparteien zum Nachteil des schwerbehinderten Arbeitnehmers[1] noch der Disposition der Arbeitsvertragsparteien[2]. Der Anspruch auf bezahlten Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen steht auch dann nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien, wenn längere Zeit aus gesundheitlichen Gründen nicht die geschuldete Arbeitsleistung erbracht wurde. Kraft ausdrücklicher Anordnung des Gesetzgebers in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG kann von den Vorschriften der §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrlG auch in Tarifverträgen nicht abgewichen werden. Das Verbot der Abweichung gilt unabhängig davon, ob im Urlaubsjahr eine Arbeitsleistung erbracht wurde oder der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen daran ganz oder teilweise gehindert war. Ein anderes Verständnis des Abweichungsverbots in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG würde nach der Rechtsprechung des BAG der Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts nicht gerecht.[3] Auch wenn z. B. die Zwölftelungsvorschriften des § 5 Abs. 1 BUrlG heranzuziehen sind, könnten die Tarifvertragsparteien nicht die Verringerung des gesetzlichen Mindesturlaubs für Arbeitnehmer anordnen, die in der zweiten Jahreshälfte ausscheiden.[4]

 

Rz. 20

Nach der (neueren) Rechtsprechung des BAG kann der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf den Anspruch auf Urlaubsabgeltung verzichten, z. B. durch Vereinbarung einer Ausgleichs- oder Abgeltungsklausel in einem Vergleich. Der Abgeltungsanspruch ist nach der vollständigen Aufgabe der Surrogatstheorie durch das BAG ein reiner Geldanspruch und nicht mehr Surrogat des Urlaubsanspruchs.[5] Ein Verzicht ist insoweit auch unionsrechtlich unproblematisch. Der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen ist unionsrechtlich nicht verbürgt.[6] Außerdem steht Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG[7] einem rechtsgeschäftlichen Verzicht nämlich dann nicht entgegen, wenn der Arbeitnehmer die tatsächliche Möglichkeit hatte, die Ansprüche vor deren Untergang zu realisieren. Dies ist der Fall, wenn Arbeitsvertragsparteien erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Ausgleichsklausel vereinbaren, die auch einen (etwaigen) Urlaubsabgeltungsanspruch des Arbeitnehmers erfasst.[8] Dies gilt jedenfalls auch für den Schwerbehindertenzusatzurlaub.

[1] BAG, Urteil v. 8.3.1994, 9 AZR 49/93, zu 3.2 der Gründe, NZA 1994, 1095.
[3] BAG, Urteil v. 7.8.2012, 9 AZR 353/10, Rz. 9, 10, NZA 2012, 1216; s. hierzu auch Zimmermann, § 13 BUrlG, Rz. 58.
[6] Dau/Düwell/Joussen-Düwell, SGB IX, 6. Aufl. 2021, § 208 SGB IX, Rz. 49.
[7] ABl. L 299 v. 18.11.2003, S. 9.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge