Zusammenfassung
"Gratifikation" ist kein präzise definierter Rechtsbegriff. In der Regel stellt eine Gratifikation eine Sonderzahlung dar, die aus einem bestimmten Anlass zusätzlich zum laufenden Entgelt gewährt und nicht in jedem Abrechnungszeitraum fällig wird. In der Praxis und in diesem Beitrag wird deshalb auch von "Sonderzuwendung" oder "Sonderzahlung" gesprochen. Beispiele für solche Gratifikationen sind Weihnachts- oder Urlaubsgeld, Jubiläumszuwendungen, Tantiemen oder Bonuszahlungen. Der Arbeitnehmer hat nur unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf die Gratifikation.
Gratifikations-/Sonderzahlungen sind nicht gesetzlich geregelt. Anspruchsgrundlagen sind in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder Arbeitsverträgen zu finden. Daneben können Ansprüche aus betrieblicher Übung oder dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz bestehen. Arbeitsvertragliche Regelungen werden von den Gerichten anhand der §§ 305 ff. BGB kontrolliert (AGB-Kontrolle).
1 Begriff der Gratifikation/Sonderzahlung
Die Gratifikation/Sonderzahlung ist eine arbeitgeberseitige Leistung aus dem Arbeitsverhältnis, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt gewährt wird. Ohne spezielle Anspruchsgrundlage kann der Arbeitgeber grundsätzlich frei darüber entscheiden, ob er überhaupt eine Gratifikation gewähren will. Er kann im Rahmen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes auch den Kreis der Begünstigten und die Voraussetzungen des Anspruchs bestimmen.
1.1 Zweck der Sonderzahlungen
Gratifikationen können mit unterschiedlichem Zweck geleistet werden, was zu unterschiedlichen Rechtsfolgen führt. Hier ist also Vorsicht geboten.
Sonderzahlung mit Entgeltcharakter
Sonderzahlungen mit reinem Entgeltcharakter sind solche, die Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung sind. Diese werden oft nur einmal jährlich bezahlt – die Fälligkeit des verdienten Entgelts ist also hinausgeschoben, um die Zahlung zu einem bestimmten Zeitpunkt zu konzentrieren, so z. B. für die Weihnachtszeit in Form des 13. Monatsgehalts.
Sonderzahlung zur Belohnung der Betriebstreue
Es gibt aber auch Sonderzahlungen, deren Zweck die Anerkennung für geleistete Dienste, also erwiesenen Betriebstreue (Retention Bonus) oder Anreiz für zukünftige Leistungen, also zukünftige Betriebstreue (beispielsweise Signing Fee) ist. Solche Gratifikationen/Sonderzahlungen haben keinen Entgeltcharakter, sondern sollen den Arbeitnehmer an das Unternehmen binden.
Sonderzahlung mit Mischcharakter
Ferner gibt es Gratifikationen/Sonderzahlungen mit Mischcharakter, d. h. diese Zahlungen sind sowohl Entgelt für geleistete Arbeit als auch Belohnung für die Betriebstreue.
Auslegung
Um welche Art der Sonderzahlung es sich handelt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Die Bezeichnung einer Jahressonderzahlung (z. B. als 13. Monatsgehalt oder Weihnachtsgratifikation) ist nur Indiz für die Zweckbestimmung. Es kommt vielmehr auf die inhaltliche Ausgestaltung der Gratifikation/Sonderzahlung an. Eine im Arbeitsvertrag enthaltene Stichtagsklausel spricht beispielsweise für den Zweck der Betriebstreue, eine Klausel, die die Gratifikation/Sonderzahlung anteilig für Ein- und Austrittsjahr vorsieht, spricht für die Honorierung erbrachter Arbeitsleistung.
Bestehen Zweifel, welchen Zweck die Sonderzahlung verfolgt, gilt Folgendes:
Macht die Zahlung einen wesentlichen Anteil der (jährlichen) Gesamtvergütung des Arbeitnehmers aus, ist anerkannt, dass es sich regelmäßig um Arbeitsentgelt handelt, das als Gegenleistung zur erbrachten Arbeitsleistung geschuldet wird. Ein wesentlicher Anteil an der Gesamtvergütung in diesem Sinn ist allerdings nicht anzunehmen, wenn die Höhe der Sonderzahlung sich unterhalb eines Monatsentgelts und damit noch in der Größenordnung typischer Gratifikationen ohne Vergütungscharakter bewegt. Lässt die Auslegung einer Vertragsbedingung (die auch durch betriebliche Übung begründet werden kann) unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände – und damit auch der Höhe der Sonderzahlung – mehrere Ergebnisse zu, ohne dass ein Auslegungsergebnis den klaren Vorzug verdient, dann besteht ein nicht behebbarer Zweifel i. S. v. § 305c Abs. 2 BGB. Der Arbeitgeber muss in diesem Fall die ihm ungünstigste und für den Arbeitnehmer als Vertragspartner günstigste Auslegungsmöglichkeit gegen sich gelten lassen. Verlangt also der dauererkrankte Arbeitnehmer Weihnachtsgeld in Höhe von weniger als einem Gehalt, das der Arbeitgeber mehr als 3 Mal vorbehaltlos an die Arbeitnehmer des Betriebs bezahlt hatte und lässt die Bezeichnung einer Leistung als "Weihnachtsgeld" neben einer möglichen Auslegung als arbeitsleistungsbezogene Sonderzuwendung auch einen anderen Zweck zu, dann ist die Auslegung zu wählen, die dem Arbeitnehmer zum Erfolg verhilft und damit in diesem Fall davon auszugehen, dass Zweck der Sonderzahlung die Betriebstreue ist.