1 Leitsatz

Ist ein Teil des gemeinschaftlichen Eigentums (hier: eine Gartenfläche) nur über eine Fläche zu erreichen, für die eine Sondernutzungsrechtsvereinbarung besteht (hier: eine Hoffläche), so unterliegt die Sondernutzungsrechtsvereinbarung einer immanenten Schranke, die dazu führt, dass die anderen Wohnungseigentümer dieses zum Erreichen der im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Fläche durchqueren dürfen.

2 Normenkette

§§ 10, 16 Abs. 1 Satz 3 WEG

3 Das Problem

In einer Wohnungseigentumsanlage gibt es ein Vorder- und ein Hinterhaus. K ist Wohnungseigentümer der Einheit II, welche die Räumlichkeiten im ersten und zweiten Obergeschoss des Vorderhauses umfasst. B ist Wohnungs- und Teileigentümer der Einheit I, welche die Einheit im Erdgeschoss des Vorderhauses sowie die Räumlichkeiten des Hinterhauses umfasst. Zwischen den Häusern liegt ein Innenhof, an dem eine Sondernutzungsrechtsvereinbarung zugunsten des jeweiligen Eigentümers der Einheit I, hier also des B, besteht. Die Gemeinschaftsordnung lautet: "Dem jeweiligen Eigentümer des im Aufteilungsplans mit Nr. I bezeichneten Teileigentums (Gaststätte) wird das unwiderrufliche Sondernutzungsrecht an der zwischen dem Vorder- und Hinterhaus befindlichen Hoffläche eingeräumt. […] Die Funktion des Hofes als Zugangsweg für Fußgänger, die das Vorder- oder das Hinterhaus aufsuchen wollen, bleibt unberührt." Hinter dem Hinterhaus befindet sich im gemeinschaftlichen Eigentum eine nicht einer Sondernutzungsrechtsvereinbarung unterliegende Gartenfläche. Nach der Baugenehmigung sollten hier Parkplätze vorgehalten werden. Die Gemeinschaftsordnung verhält sich zu Parkplätzen aber nicht. Die Gartenfläche wurde auch nie als Stellfläche für Kraftfahrzeuge genutzt. Zu der Gartenfläche führt nur der Weg über den Hof. Nachdem ein – in der Gemeinschaftsordnung nicht vorgesehener – Anbau am Hinterhaus gebaut wird, erfolgt der Zugang durch einen garagenartigen Tunnel, der aufgrund seiner geringen Breite den allermeisten Pkw eine Durchfahrt nicht erlaubt. Mit einer 2019 erhobenen Klage begehrt K die Gewährung des Zugangs zur Gartenfläche.

4 Die Entscheidung

Mit Erfolg! K stehe gem. § 16 Abs. 1 Satz 3 WEG ein Recht zum Mitgebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums an der hinter dem Hinterhaus befindlichen Fläche zu. Um sein Mitgebrauchsrecht ausüben zu können, müsse K zu dieser hinteren Gemeinschaftsfläche gelangen können. Der einzige Weg hierhin führe über den Hof, für den eine Sondernutzungsrechtsvereinbarung besteht. Zwar schließe die Sondernutzungsrechtsvereinbarung grundsätzlich die anderen Wohnungseigentümer aus. Unter den gegebenen Umständen des Einzelfalls habe B es aber hinzunehmen, dass K zum Zwecke des Zugangs zur hinteren Gemeinschaftsfläche die Hoffläche durchschreite; diesen einzigen Zugang dürfe B nicht verwehren. Die für jedes Eigentum geltenden, letztlich auf der Sozialbindung nach Art. 14 Abs. 2 GG beruhenden Schranken seien innerhalb des in besonderer Weise von gegenseitigen Rücksichtnahme- und Treuepflichten geprägten Gemeinschaftsverhältnisses der Wohnungseigentümergemeinschaft noch verstärkt. Dementsprechend unterliege auch hier die Sondernutzungsrechtsvereinbarung einer immanenten Schranke, nämlich, dass über deren Fläche Zugang zum hinter dem Hinterhaus gelegenen Garten zu gewähren sei. Dies sehe die Gemeinschaftsordnung auch ausdrücklich vor. Obwohl als Wegeziele nur das Vorder- und das Hinterhaus genannt seien, sei die Gemeinschaftsordnung dahingehend zu verstehen, dass der Hof auch Zugang zu dem hinter dem Hinterhaus gelegenen gemeinschaftlichen Eigentum bieten müsse.

5 Hinweis

Problemüberblick

Im Fall geht es vor allem darum, ob der an einer Sondernutzungsrechtsvereinbarung Berechtigte nach Treu und Glauben Einschränkungen seiner Rechte hinnehmen muss. Das Problem ist nicht neu.

Zugangsproblem

Einer Sondernutzungsrechtsvereinbarung steht es nicht entgegen, dass der entsprechende Raum oder, wie im Fall, die entsprechende Fläche der einzige Zugang zum gemeinschaftlichen Eigentum ist. Die Sondernutzungsrechtsvereinbarung muss dann allerdings ein Mitgebrauchsrecht der anderen Wohnungseigentümer vorsehen. Diesen muss es beispielsweise erlaubt sein, regelmäßig den Raum, der hinter dem Raum liegt, an dem ein Sondernutzungsrecht besteht, zu betreten. Dies muss ausdrücklich angeordnet werden. Ein dauerhafter Mitgebrauch kann nicht aus § 242 BGB hergeleitet werden (BGH, Urteil. v. 23.3.2018, V ZR 65/17, Rn. 10; SWK-WEG-R/Elzer, 1. Aufl. 2023, Sondernutzungsrecht Rn. 39). Dem LG ist daher nur zuzustimmen, wenn die Sondernutzungsrechtsvereinbarung einen Mitgebrauch bestimmt.

Was ist für die Verwaltung besonders wichtig?

Jede Verwaltung muss wissen, welche Sondernutzungsrechtsvereinbarungen es in einer Wohnungseigentumsanlage gibt und welchen Inhalt sie haben. Besteht Streit, kann auf Feststellung geklagt werden. Im Einzelfall richtet sich diese Klage auch gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer.

6 Entscheidung

LG Frankfurt a. M., Urteil v. 7.9.2023, 2-13 S 98/21

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