Leitsatz

Ist ein Anspruch auf Erstattung zu Unrecht festgesetzter Stromsteuer nach Unionsrecht zu verzinsen, wenn der niedrigeren Festsetzung der Stromsteuer die fakultative Steuerermäßigung nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. a RL 2003/96 zugrunde lag und die zu hohe Steuerfestsetzung ausschließlich auf einem Fehler bei der Anwendung der nationalen Vorschrift, die zur Umsetzung des Art. 17 Abs. 1 Buchst. a RL 2003/96 erlassen wurde, auf den Streitfall beruhte?

 

Normenkette

§ 9 Abs. 3 StromStG i.d.F. vom 19.12.2008, Art. 17 Abs. 1 Buchst. a EGRL 96/2003

 

Sachverhalt

Die Klägerin, ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes, bezog im Streitjahr 2010 unversteuerten Wechselstrom und speiste diesen in Akkumulatoren ein. Diese Strommenge erklärte sie als Eigenverbrauch zum ermäßigten Steuersatz nach § 9 Abs. 3 StromStG und leistete monatliche Vorauszahlungen. Das HZA lehnte die Steuerermäßigung erst ab. Nachdem die Klägerin in dem Parallelverfahren für das Jahr 2006 Erfolg hatte, änderte das HZA auch die Festsetzung für 2010 und erstattete die entsprechende Stromsteuer.

Auf die Stromsteuererstattung beantragte die Klägerin Zinsen, was das HZA und das FG (FG München, Urteil vom 22.2.2018, 14 K 924/15) ablehnten. Das FG lehnte Prozesszinsen nach § 236 AO ab, weil der Anspruch hinsichtlich der Stromsteuer 2010 nicht rechtshängig gewesen war. Auch einen unionsrechtlichen Zinsanspruch verneinte das FG, letztlich weil der Klägerin eine nach Unionsrecht lediglich fakultative Steuerermäßigung versagt worden sei. Hiergegen wendet sich die Klägerin. Nach ihrer Ansicht stehe allein der Umstand, dass es sich um eine fakultative Steuerermäßigung handele, der Unionsrechtswidrigkeit der Versagung der Steuerermäßigung nicht entgegen.

 

Entscheidung

Der BFH hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die unter den Praxis-Hinweisen dargestellte Frage zur Entscheidung vorgelegt.

 

Hinweis

Im Streitfall geht es um die Verzinsung von Steuererstattungsansprüchen nach unionsrechtlichen Grundsätzen. Mit den Verzinsungsregeln nach nationalem Recht (z.B. Prozesszinsen nach § 236 AO) hat sich der BFH nicht befasst.

1. Wenn ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen die Vorschriften des Unionsrechts Steuern erhoben hat, besteht nach Rechtsprechung des EuGH ein Anspruch auf Erstattung nicht nur der zu Unrecht erhobenen Steuer, sondern auch der Beträge, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Steuer an diesen Staat gezahlt oder von diesem einbehalten worden sind. Darunter fallen auch die Einbußen aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Geldbeträgen (EuGH, Urteil vom 19.7.2012, C-591/10, Littlewoods Retail u.a., EU:C:2012:478, Rz. 25, BFH/NV 2012, 1563; EuGH, Urteil vom 27.9.2012, C-113/10, C-147/10, C-234/10, Zuckerfabrik Jülich, EU:C:2012, 591, Rz. 65, Haufe-Index 3335668, ZfZ 2013, 76; EuGH, Urteil vom 18.4.2013, C-565/11, Irimie, EU:C:2013:250, Rz. 21, Haufe-Index 3695753, HFR 2013, 659; EuGH, Urteil vom 15.10.2014, C-331/13, Nicula, EU:C:2014:2285, Rz. 28, Haufe-Index 7363091, ABlEU 2014 Nr. C 462, 7, und EuGH, Urteil vom 18.1.2017, C-365/15, Wortmann, EU:C:2017:19, Rz. 37 ff., Haufe-Index 10179727, ZfZ 2017, 42; BFH, Urteil vom 22.9.2015, VII R 32/14, BFH/NV 2016, 358, BStBl II 2016, 323).

Danach sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgaben zuzüglich Zinsen zu erstatten, wobei die Bedingungen für die Zahlung der Zinsen den Mitgliedstaaten überlassen sind.

2. Im Streitfall bestand die Besonderheit, dass es sich um einen Steuererstattungsanspruch aufgrund einer fehlerhaften Anwendung von nationalem Recht handelte und dass die dem zugrunde liegende Steuerermäßigung nach den unionsrechtlichen Vorgaben lediglich fakultativ war. Die Regelung in § 9 Abs. 3 StromStG beruht auf Art. 17 Abs. 1 Buchst. a EGRL 96/2003 (EnergieStRL). Dieser räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, Steuerermäßigungen für energieintensive Betriebe vorzusehen. Die Mitgliedstaaten waren also nicht verpflichtet, diese Steuerbegünstigung zu gewähren.

3. Der BFH stellt dem EuGH die obige Frage und neigt der Auffassung zu, dass kein Verstoß gegen Unionsrecht vorliege, wenn der Mitgliedstaat gar nicht verpflichtet war, die Steuerbegünstigung einzuführen. Denn nach Ansicht des BFH hatte die Bundesrepublik Deutschland die Vorgaben der Richtlinie korrekt umgesetzt. Lediglich das HZA hatte die nationalen Regelungen falsch angewendet.

4. Allerdings hatte der BFH Zweifel, ob unterschiedliche Rechtsgrundlagen im Unionsrecht (obligatorische oder fakultative Steuerbegünstigung) eine Ungleichbehandlung bei der Verzinsung von Erstattungsansprüchen rechtfertigten. Dies, zumal dies für den Steuerpflichtigen keinen Unterschied mache: in beiden Fällen könne er über den zu viel gezahlten Steuerbetrag nicht verfügen.

5. Es bleibt abzuwarten, wie der EuGH die Frage beantworten wird. Jedenfalls sollte bei Erstattungsansprüchen immer auch an den unionsrechtlichen Zinsanspruch gedacht und ein solcher beantragt werden.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 19.11...

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