rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendung des Mindestlohngesetzes sowie der damit verbundenen Dokumentationspflichten bei einem im EU-Ausland (hier: Polen) ansässigen Unternehmen der Transport- und Logistikbranche hinsichtlich Fahrten mit Be- oder Entladung in Deutschland sowie hinsichtlich Kabotagefahrten verfassungsrechtlich zulässig

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Auch wenn ein Unternehmen der Transport- und Logistikbranche in Polen ansässig ist und auf die mit seinen Fahrern geschlossenen Arbeitsverträge grundsätzlich polnisches Recht anwendbar ist, unterliegt es dem Mindestlohngesetz und den aus § 17 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 MiLoG, § 2 Abs. 3 S. 3 MiLoMeldV folgenden Dokumentations- und Bereithaltungspflichten, soweit seine Arbeitnehmer Transporte aus oder nach einem anderen Mitgliedstaat mit Be- oder Entladung in Deutschland oder Kabotagefahrten durchführen.

2. Die Anwendbarkeit des Mindestlohngesetzes ist auch nicht im Wege teleologischer Reduktion auf solche Fälle zu beschränken, bei denen die entsandten ausländischen Arbeitnehmer nicht nur kurzzeitig – etwa länger als sieben Tage – im Inland tätig werden (Anschluss an FG Baden-Württemberg, Urteile v. 17.7.2018, 11 K 544/16 und 11 K 2644/16).

3. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns auch im Speditions- und Transportsektor und die damit verbundene Dokumentationspflicht stehen im Einklang mit Europarecht sowie Verfassungsrecht und verstoßen insbesondere nicht gegen die auch im Verkehrssektor geltende Dienstleistungsfreiheit, die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 ff. AEUV) sowie das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Die mit der Geltung des Mindestlohns verbundenen Dokumentations- und Bereithaltungspflichten erweisen sich im Hinblick auf die damit verfolgten gesetzgeberischen Ziele als verhältnismäßig.

 

Normenkette

SchwarzArbG § 2 Abs. 1 Nr. 4; MiLoG §§ 15-16, 17 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 1 Abs. 2, § 20; AEntG § 2 Nr. 1, § 6 Abs. 1 S. 1; SGB IV § 7 Abs. 1; GG Art. 12 Abs. 1; RL 96/71/EG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c, Abs. 2-3; Rom-I VO Art. 1 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1-3, Art. 8; AEUV Art. 26 Abs. 2, Art. 18, 34, 56, 58, 91; MiLoMeldV § 2 Abs. 3 S. 3; MiLoAufzV § 1 Abs. 1; EGV 1072/2009 Art. 17; FGO § 41

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Klägerin Dokumentationspflichten nach dem Mindestlohngesetz zu erfüllen hat.

Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft polnischen Rechts mit Sitz in der Republik Polen, die im internationalen Güterfernverkehr tätig ist und über eine Gemeinschaftslizenz nach Art. 4 Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 vom 21. Oktober 2009 über gemeinsame Regeln für den Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs (VO (EG) Nr. 1072/2009) verfügt. Ihren Angaben zufolge beschäftigt sie regelmäßig zwischen 50 und 60 angestellte Lkw-Fahrer, die auf 50 Fahrzeugen täglich Transportdienstleistungen erbringen und dabei ca. 1500 Arbeitsstunden monatlich auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland fahren. Neben grenzüberschreitenden Straßen- und Gütertransportleistungen handelt es sich dabei auch um Kabotage- und Transitfahrten.

Die Klägerin reichte in der Vergangenheit die von ihr geforderte Einsatzplanung für Arbeitgeber bei der Bundeszollverwaltung ein und versicherte dabei unter anderem, die zum Nachweis der Erfüllung der Vorgaben des Mindestlohngesetzes erforderlichen Unterlagen auf Anforderung der Behörden der Zollverwaltung für eine Prüfung in deutscher Sprache in Deutschland bereitzustellen, soweit diese Unterlagen zunächst nur im Ausland bereitgehalten werden. Aus der exemplarisch für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2015 vorgelegten Anmeldung geht hervor, dass sich die Fahrer der Klägerin durchschnittlich acht Tage monatlich auf dem Gebiet der Bundesrepublik aufhalten.

Die Klägerin hatte sich zunächst gemeinsam mit anderen Gesellschaften im Wege der Rechtssatzverfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht gewendet, um die Aufhebung des Mindestlohngesetzes und damit der sich daraus ergebenden Dokumentationspflichten zu erreichen. Das Bundesverfassungsgericht verwarf die Verfassungsbeschwerde mit Beschluss vom 25. Juni 2015 (1 BvR 555/15, NJW 2015, 2242) als unzulässig. Die Verfassungsbeschwerde genüge dem Grundsatz der Subsidiarität nicht, denn es sei der Klägerin zumutbar, zunächst vor den Fachgerichten auf Feststellung zu klagen, nicht zu den nach §§ 16, 17 Abs. 2 und § 20 Mindestlohngesetz (MiLoG) gebotenen Handlungen verpflichtet zu sein. Es liege nahe, dass die Fachgerichte ein berechtigtes rechtliches Interesse an der Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses für derartige negative Feststellungsklagen bejahen würden.

Die Klägerin, die sich zuvor wiederholt an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gewendet hatte, hat am 15. April 2016 Klage zum Verwaltungsgericht Köln erhob...

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