Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermäßigter Steuersatz, Rechtsanwaltsleistungen, die im Rahmen von Prozesskostenbeihilfe durch die öffentliche Hand vergütet werden

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Französische Republik hat dadurch gegen ihre Pflichten aus den Art. 96 und 98 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem verstoßen, dass sie einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Leistungen anwendet, die von den Rechtsanwälten, den Rechtsanwälten beim Conseil d’État und bei der Cour de cassation und den „avoués“ erbracht werden und für die diese vollständig oder teilweise durch den Staat im Rahmen der Prozesskostenhilfe entschädigt werden.

2. Die Französische Republik trägt die Kosten.

 

Normenkette

EGRL 112/2006 Art. 96, 98 Abs. 2

 

Beteiligte

Kommission / Frankreich

Europäische Kommission

Französische Republik

 

Tatbestand

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Mehrwertsteuer ‐ Ermäßigter Steuersatz ‐ Art. 96 und 98 Abs. 2 ‐ Anhang III Nr. 15 ‐ Prozesskostenhilfe ‐ Rechtsanwaltsleistungen ‐ Vollständige oder teilweise Entschädigung durch den Staat“

In der Rechtssache C-492/08

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 14. November 2008,

Europäische Kommission, vertreten durch M. Afonso als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Französische Republik, vertreten durch G. de Bergues und J.-S. Pilczer als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter A. Borg Barthet, M. Ilešič (Berichterstatter) und M. Safjan sowie der Richterin M. Berger,

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Februar 2010

folgendes

Urteil

Rz. 1

Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Pflichten aus den Art. 96 und 98 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) verstoßen hat, dass sie einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Leistungen anwendet, die von den Rechtsanwälten, den Rechtsanwälten beim Conseil d’État und bei der Cour de cassation und den „avoués“ erbracht werden und für die diese im Rahmen der Prozesskostenhilfe vollständig oder teilweise durch den Staat entschädigt werden.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 2

Die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) ist durch die Richtlinie 2006/112 mit Wirkung zum 1. Januar 2007 neu gefasst und ersetzt worden.

Rz. 3

Art. 96 der Richtlinie 2006/112, der Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 1 Satz 1 der Sechsten Richtlinie ersetzt, bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten wenden einen Mehrwertsteuer-Normalsatz an, den jeder Mitgliedstaat als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festsetzt und der für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist.“

Rz. 4

Art. 97 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112, der Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 1 Satz 2 der Sechsten Richtlinie ersetzt, sieht vor, dass „[v]om 1. Januar 2006 bis zum 31. Dezember 2010 … der Normalsatz mindestens 15 % betragen [muss]“.

Rz. 5

Art. 98 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/112, der Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der Sechsten Richtlinie entspricht, lautet:

„(1) Die Mitgliedstaaten können einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden.

(2) Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar.

…“

Rz. 6

Anhang III der Richtlinie 2006/112 („Verzeichnis der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, auf die ermäßigte MwSt-Sätze gemäß Artikel 98 angewandt werden können“) nennt in Nr. 15 „Lieferung von Gegenständen und Erbringung von Dienstleistungen durch von den Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit, soweit sie nicht gemäß den Artikeln 132, 135 und 136 von der Steuer befreit sind“. Diese Vorschrift entspricht Nr. 14 des Anhangs H der Sechsten Richtlinie.

Rz. 7

Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112, der Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie ersetzt, nennt als eine der Steuerbefreiungen für bestimmte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden“.

Nationales Recht

Rz. 8

Art. 279 des Code général...

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